Kurz und Strache betonen Trendwende in Migrationsfrage; Opposition spricht von verpasster Chance
– Bilanz des EU-Ratsvorsitzes fällt bei Abgeordneten gespalten aus
Wien (pk) - Rund zwei Wochen vor dem offiziellen Ende des österreichischen EU-Ratsvorsitzes hat der
Nationalrat am 12. Dezember Bilanz über die europapolitische Performance der Regierung in den vergangenen
sechs Monaten gezogen. Während Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz Christian Strache in ihren
EU-Erklärungen insbesondere von einer durch Österreich eingeleiteten Trendwende in der europäischen
Migrationspolitik sprachen, kann die Opposition diese nicht erkennen und sieht eine verpasste Chance.
Die NEOS kritisieren etwa "immer wiederkehrende hohle Phrasen" seitens der Regierung, die sich aus Sicht
der Oppositionspartei nun mit fremden Federn schmückt. In dieselbe Kerbe schlug in der Nationalratsdebatte
auch die SPÖ. Wovor Europa wirklich Schutz brauche, seien die leeren Versprechungen der österreichischen
Regierung, so ihr Urteil in Anspielung auf das Ratsvorsitzmotto "Ein Europa, das schützt". Wirklich
zentrale Fragen sind nach Meinung der Liste JETZT nicht einmal gestreift worden. Man habe den Ratsvorsitz unter
das Generalthema der Migration gestellt, auch dort seien keine konkreten Ergebnisse wie eine zeitnahe personelle
Aufstockung der Grenzschutzagentur Frontex erzielt worden. Ausschließlich Lob für den Ratsvorsitz kam
von den Abgeordneten der ÖVP und FPÖ.
Zwei Anträge der SPÖ, in denen sie sich im Zuge der Debatte für den Abschluss der Finanztransaktions-
und Digitalsteuer sowie für die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumpung einsetzen, fanden im Nationalrat
keine Mehrheit. Auch die NEOS hatten mir ihrer Brexit-Initiative kein Glück. Darin hatten sie sich für
eine rechtliche Gleichstellung von UnionsbürgerInnen und britischen StaatsbürgerInnen nach dem Brexit
eingesetzt.
Kurz: Österreich hat in Migrationsfrage europäische Trendwende eingeleitet
Österreich habe den Ratsvorsitz etwa angesichts des bevorstehenden Brexit oder der Migrationsfrage in einer
herausfordernden Gemengelage übernommen und mit Engagement gearbeitet, so der Bundeskanzler, gleichzeitig
sei es gelungen, eigene Schwerpunkte zu setzen. So habe Österreich im Juni auf EU-Ebene in der Migrationsfrage
eine Trendwende weg von der Verteilungsblockade eingeleitet. Nun werde nicht mehr nur die Debatte geführt,
wie man in der EU mit Migration umgehen soll, vielmehr gehe es nun um die Bekämpfung von illegaler Migration.
Zentral sei dafür die Beschlussfassung zur Stärkung von Frontex und die Kooperation mit Drittstaaten
gewesen.
Auch in der Zusammenarbeit mit Transitländern habe man neue Wege beschreiten können, so Kurz. Die Auswirkungen
der Trendwende seien zudem bereits sichtbar. Insgesamt sei im Vergleich zu 2015 ein Rückgang von 95% bei den
Ankünften von illegalen MigrantInnen in der EU zu verzeichnen, auch die Zahl der Todesopfer bzw. Menschen,
die auf ihrem Weg im Mittelmeer ertrinken, sei massiv zurückgegangen. "Wir befinden uns nach langem Ringen
innerhalb der EU seit dem Jahr 2015 endlich auf dem richtigen Weg", so der Kanzler, Österreich werde
sich auch über den Vorsitz hinaus in dieser Frage einbringen.
Auf das Konto Österreichs würden zudem etwa Fortschritte in der Vollendung des digitalen Binnenmarkts
gehen, zudem habe man zusammen mit Bulgarien den Westbalkan wieder stärker auf das Radar der EU gebracht.
So seien etwa nicht nur neue Kapitel eröffnet worden, sondern auch eine neue Dynamik der Annäherung entstanden.
Österreich werde den Westbalkan auch weiterhin auf seinem Weg in die EU unterstützen, zumal mehr Sicherheit
und Stabilität in der südosteuropäischen Region direkte positive Auswirkungen auf Österreich
haben würden.
Der Kanzler hob zudem Österreichs Engagement für den afrikanischen Kontinent hervor. Es sei das klare
Ziel, die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas zu unterstützen. Auch im Kampf gegen Antisemitismus habe Österreich
etwa mit der EU-Erklärung gegen Antisemitismus viel erreicht. "Wir werden als überzeugte Europäer
bis zum letzten Tag alles geben", so der Kanzler.
Brexit: Kurz hofft, dass sich "die vernünftigen Kräfte in Großbritannien" durchsetzen
Was den Brexit betrifft, sollte alles daran gesetzt werden, einen geordneten Austritt zustande zu bringen, sagte
der Kanzler einmal mehr. "Die Briten verlassen die EU, nicht aber Europa", so Kurz, es gehe vor allem
auch um ein gutes Miteinander nach dem EU-Austritt der Briten. Während des heutigen Europäischen Rats
müsse noch einmal ein Anlauf unternommen werden, um zu versuchen, mit Großbritanniens Premierministerin
Theresa May einen Weg zu finden, den Deal durch das britische Parlament zu bringen. Das Austrittsabkommen dürfe
nicht mehr aufgeschnürt werden, man müsse einen Weg finden, der für beide Seiten gut ist. "Ich
hoffe, dass sich die vernünftigen Kräfte in Großbritannien durchsetzen", so Kurz.
Strache: Europa verlässt in Flüchtlingsfrage Sackgasse der Zwangsverteilung
In seinem Resümee meinte Vizekanzler Heinz Christian Strache, dass der Ratsvorsitz eine durchaus spannende
Herausforderung gewesen sei. Die Regierung sei mit dem Anspruch angetreten, auf Basis der österreichischen
Neutralität Brückenbauer für schwierige Fragen zu sein. An über 300 Veranstaltungen und Konferenzen
hätten so rund 80.000 Delegierte teilgenommen. Was den wirtschaftlichen Mehrwert betrifft, so hat der Ratsvorsitz
laut Angaben des Vizekanzlers rund 135 Mio. € zum Bruttoinlandsprodukt beigetragen. "Der Tourismus zählt
zu den Top-Gewinnern", so Strache.
Eine der größten Errungenschaften stelle allerdings die Bewusstseinsveränderung in der europäischen
Migrationsfrage etwa mit einem Maßnahmenpaket zur Schlepperbekämpfung dar. Durch politische Fehlentwicklungen
im Außengrenzschutz habe das Vertrauen der BürgerInnen in den letzten Jahren gelitten. "Wenn es
um die innere Sicherheit in Österreich geht, nimmt uns niemand die Entscheidung ab, da haben wir die Verantwortung",
so der Vizekanzler. Europa verlasse nun die Sackgasse der Zwangsverteilung und gehe in die richtige Richtung.
Zu Österreichs Erfolgen während des Ratsvorsitzes würden zudem auch Fortschritte in der Sportpolitik,
im Kampf gegen Antisemitismus, im Gesundheits-, Verkehrs- sowie im Sozialbereich zählen. Die Regierung habe
sich darauf konzentriert, konkrete Dinge umzusetzen. Die Arbeit werde nach der Ratspräsidentschaft gerade
in der Sicherheits- und Migrationsfrage nicht enden, so Strache.
Rendi-Wagner: Noch nie hat eine Regierung so viel versprochen und so wenig gehalten
In ihrer Abrechnung mit Österreichs EU-Ratsvorsitz meinte SPÖ-Klubchefin Pamela-Rendi Wagner, dass noch
nie von einer Regierung so viel versprochen und so wenig gehalten worden sei. Angesichts des Mottos "Ein Europa,
das schützt", stelle sich die Frage, wen die Regierung schützen wolle. Sie vermisst konkrete Maßnahmen,
um etwa UnternehmerInnen vor der Steuerflucht von Großkonzernen, BäuerInnen vor verdorrten Feldern in
Folge des Klimawandels oder die Jugend vor prekären Arbeitsbedingungen zu schützen. Versprochen worden
sei die Sicherung des Wohlstandes durch die Digitalisierung, herausgekommen seien wenige Ergebnisse bis gar keine.
Auch beim Thema Migration sei nichts Konkretes gelungen, wenn es etwa um die Hilfe vor Ort, Rücknahmeabkommen
oder die Bekämpfung von Fluchtursachen geht. Stattdessen seien Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit
im Vorfeld gekürzt worden, so die Kritik Rendi-Wagners. Zusätzliche Frontex-Grenzschutzbeamte würden
2027 und damit erst sieben Jahre später als geplant bereitgestellt werden können, so die SPÖ-Klubchefin.
Auch in der Sozialpolitik sei nicht viel geschehen und die "groß angekündigte Digitalsteuer"
sei nicht umgesetzt worden. Damit würden große, multinationale Konzerne weiterhin damit durchkommen,
minimale bis gar keine Steuern zu zahlen, während jeder Arbeitnehmer seine Einkommenssteuer von seinem Lohn
abgeben müsse und kleine Unternehmen voll besteuert würden. "Sie haben nichts dafür getan,
dass Europa in den zentralen Fragen vorankommt", so ihr Urteil. Die Menschen zu schützen, würde
bedeuten, sich für Gerechtigkeit und ein gemeinsames Europa einzusetzen, diese Chance sei von der Regierung
verpasst worden.
Meinl-Reisinger: Regierung hat Chance nicht genutzt, eine Linie zwischen Nationalismus und europäischer
Sachpolitik zu ziehen
Von einer verpassten, enormen Chance, eine Linie zwischen Nationalismus und Populismus sowie einer europäischen
Sachpolitik zu ziehen, sprach auch Beate Meinl-Reisinger (NEOS). Was Populismus und Nationalismus anrichten kann,
würde sich derzeit in Großbritannien mit einem drohenden ökonomischen Desaster und einer Staatskrise
zeigen. Dort habe man Milch und Honig versprochen, allerdings würden auch im österreichischen Parlament
Populisten sitzen, die ebenfalls mit der Idee eines österreichischen EU-Austritts zündeln würden.
"Mehr Nationalismus und Populismus macht die Menschen arm und unsicher", so Meinl-Reisinger, die sich
für ein zweites Brexit-Referendum in Großbritannien aussprach. Wichtig sei jedenfalls, dafür Sorge
zu tragen, dass die Rechte von UnionsbürgerInnen sowie der BritInnen sichergestellt werden.
Was die Ratspräsidentschaft betrifft, bedaure sie es sehr, dass von der Regierung stets die immer gleichen
"Phrasen gedroschen" worden seien und der Vorsitz unter dem monothematischen Fokus auf Migration und
Asyl gestanden habe. Die angeblichen Fortschritte in Bezug auf Frontex seien unter den Staats- und Regierungschefs
schon im Vorhinein klar gewesen, Kurz und Strache würden sich demnach mit fremden Federn schmücken. Keine
Ergebnisse gebe es außerdem in Bezug auf Kooperationen mit Nordafrika. Stattdessen habe man mit Worten wie
Subsidiarität gezündelt.
Rossmann: Es braucht mehr als den Schutz von Außengrenzen
Wie Meinl-Resinger kritisierte auch JETZT-Klubchef Bruno Rossmann, dass Österreichs Ratsvorsitz ausschließlich
unter das Generalthema der Migration bzw. den Schutz der Außengrenzen gestellt worden sei. "Wo ist die
Trendwende?", so Rossmann in Richtung Regierung, der ebenfalls konkrete Fortschritte in Sachen Abkommen mit
Drittstaaten oder in der personellen Aufstockung von Frontex vermisst. Mit der Trendwende, von der ständig
gesprochen werde, hätten sich Kurz und Strache auf EU-Ebene nicht durchsetzen können. Zumal es mehr brauche,
als den Schutz der Außengrenzen, nämlich Gespräche über eine solidarische Verteilung von Flüchtlingen,
die Hilfe vor Ort oder eine geänderte Handelspolitik der EU gegenüber Afrika.
"Ein Europa, das schützt, ist mehr", so Rossmann. Viele Themen, die unter den Nägeln brennen,
etwa der Klimaschutz, die soziale Frage oder die Steuerflucht, seien nicht angepackt worden. Wozu die Vernachlässigung
der sozialen Frage führen kann, wenn man etwa nichts gegen Armut oder für einen europäischen Mindestlohn
unternimmt, habe sich in Großbritannien gezeigt und zeige sich derzeit auch in Frankreich. In Großbritannien
seien die Menschen den Rechtspopulisten auf den Leim gegangen, so der JETZT-Klubchef.
Zudem lege Kurz sehr viel Wert darauf, Fluchtrouten zu schließen, während seines Vorsitzes sei allerdings
keine einzige Steuerfluchtroute geschlossen worden. Die Finanztransaktionssteuer sei in eine Aktienbesteuerung
umgewandelt und unter Österreichs Ratsvorsitz endgültig begraben worden.
Lopatka: Österreichs EU-Ratsvorsitz zeigt beeindruckende Bilanz
Nur Positives über die Performance der Regierung kam vom Vorsitzenden des EU-Unterausschusses Reinhold Lopatka
(ÖVP). Österreichs Ratsvorsitz zeige eine beeindruckende Bilanz, er habe zwar kein Lob vonseiten der
SPÖ erwartet, allerdings eine faire Beurteilung. Es werde etwa übersehen, dass Finanzminister Hartwig
Löger auf EU-Ebene für die Besteuerung von Großkonzernen gekämpft habe. Mit Blick auf Europa
sei zu betonen, dass Österreichs dritte Ratspräsidentschaft unter den schwierigsten Voraussetzungen stattgefunden
habe. Frankreich versinke gerade im Chaos, die britische Regierungschefin kämpfe um ihr politisches Überleben
und Italien entwickle sich in eine dramatische Situation für die gesamte Eurozone. Ganz im Gegenteil hebe
sich hier die österreichische Regierung positiv ab.
"Unter diesen Voraussetzungen ist Großartiges geleistet worden", so Lopatka, der Regierung sei
es gelungen, den Fokus auf den Außengrenzschutz zu legen und in Europa davon wegzukommen, dass Flüchtlinge
über Frontex nach Europa gebracht werden. Die EU muss nach Meinung Lopatkas zudem wieder bürgernäher
werden. Durch den Anstieg an Verordnungen, bei denen Nationalstaaten kein Mitsprachrecht zukommt, habe sich die
Kommission immer weiter wegbewegt. Auch hier sei ein Umdenken erreicht worden. "Gelebte Subsidiarität
bringt die EU den BürgerInnen näher", so Lopatka.
Steger: Regierung hat hervorragende Leistung gezeigt
Die Opposition habe mit ihrer Kritik eindeutig bewiesen, dass es ihr nur darum gehe, irgendetwas an der Regierung
schlecht zu reden, so Petra Steger (FPÖ), die in der Debatte zu mehr Sachlichkeit aufforderte. Auch Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker habe Österreichs Vorsitz als Best Practice bezeichnet. Die Regierung habe hervorragende
Leistung gezeigt, zumal in jedem der vorgenommenen Programmpunkte wichtige Fortschritte erzielt worden seien. Etwa
gebe es zum ersten Mal eine gemeinsame Erklärung des Rates zur Bekämpfung von Antisemitismus. "Auch
das ist ein historischer Erfolg der Regierung", so Steger. Im Bereich der Sozialpolitik sollte die SPÖ
wiederum zur Kenntnis nehmen, dass es sich um keine Untätigkeit der Regierung handelt, sondern die Utopie
einer Sozialunion schlichtweg nicht geteilt werde.
In der Migrationsfrage habe ein Umdenken stattgefunden und es gehe in Europa nun in die richtige Richtung. Die
Politik der letzten Jahre habe zu einer größeren Spaltung Europas geführt als die "bösen
Rechtsextremen". Es sei zentrale und wichtige Aufgabe eines jeden Staates, seine BürgerInnen vor illegaler
Migration zu schützen. Demnach sei Österreich mit der Nichtunterzeichnung des UNO-Migrationspakts ein
Vordenker.
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Auch die weitere Debatte im Nationalrat über die Bilanz des österreichischen EU-Ratsvorsitzes brachte
keine Annäherung der jeweiligen Sichtweisen von Regierung und Opposition. Die Bandbreite der Beurteilungen
reichte von "äußerst erfolgreich" und "Politikwechsel" bis hin zu "Inszenierungsnebel",
"Debakel" und "politischer Verantwortungslosigkeit". Lediglich die NEOS sahen die Dinge differenzierter
und meinten, die Wahrheit werde zwischen überschäumenden Lob und vernichtender Kritik wohl in der Mittel
liegen.
SPÖ: Österreichischer Ratsvorsitz hat nichts weitergebracht
Von einem Debakel sprach seitens der SPÖ Jörg Leichtfried und zitierte dabei kritische JournalistInnen,
die helfen würden, den "Inszenierungsnebel" zu durchschauen. Europa sei ein Traum von einem grenzenlosen
Raum und einem funktionierenden Schengen-System, sagte Leichtfried, die Regierung habe aber keinen einzigen Beschluss
zu Frontex zustande gebracht. Passiert sei auch nichts im Hinblick auf eine koordinierte Migrations- und Asylpolitik,
die Bundesregierung rühme sich lediglich, die Grenzen zu schließen. Dieser Kritik schloss sich auch
seine Fraktionskollegin Muna Duzdar vollinhaltlich an. Für sie ist es unverständlich, dass man auf den
Außengrenzschutz drängt und dafür finanziell nichts beitragen will. Als verantwortungslos bezeichnete
sie auch, wie die Bundesregierung mit der Flüchtlings- und Migrationsfrage umgeht. Sie hegte dabei den Verdacht,
dass die Regierung ganz bewusst so handelt, um mit der schwierigen Situation Stimmungsmache betreiben und damit
punkten zu können.
Sowohl Leichtfried als auch Duzdar vermissen vom österreichischen Ratsvorsitz Maßnahmen gegen das Lohn-
und Sozialdumping. Ebenso wenig werde gegen Scheinfirmen und Scheinselbständige unternommen. Es könne
auch nicht sein, dass es in der EU zu einem Wettbewerb nach unten kommt, warfen beide ein. Das führe zur Entfremdung
der BürgerInnen. Duzdar warf dem Kanzler dezidiert vor, sozialen Rechten keine Bedeutung beizumessen. Ferner
gab Leichtfried der Regierung Schuld daran, dass es noch nicht zu einer Digitalsteuer gekommen ist und die Finanztransaktionssteuer
zu Grabe getragen worden sei. Die EU stehe heute zerrütteter und gespaltener denn je da, so das Resümee
der beiden SPÖ-PolitikerInnen.
JETZT: Regierung handelt verantwortungslos
Ins gleiche Horn stieß Peter Pilz von der Fraktion JETZT. Er ortete fünf Fragen, die nach wie vor ungelöst
sind und beschuldigte die Regierung der Verantwortungslosigkeit. So habe es nicht einmal einen Versuch gegeben,
eine Antwort auf die Klimakrise zu finden, so Pilz. Ähnlich wie die SPÖ beklagte er, dass es keine Finanztransaktionssteuer
geben werde und warnte in diesem Zusammenhang davor, dass damit die nächste Finanzkrise drohe. Denn man habe
es nicht geschafft, den unkontrollierten Handel mit gefährlichen Finanzprodukten zu unterbinden. Außerdem
liege kein europäisches Konzept zu einer humanen Digitalisierung vor, so der weitere Vorwurf von Pilz.
Er vermisste zudem Schritte zu einer Sozialunion und forderte eine europäische Arbeitslosenversicherung ein,
zu der es nicht einmal Überlegungen gebe. Schließlich sei die Verstärkung von FRONTEX auf ein Jahrzehnt
begraben worden, Europa habe auch unter österreichischem Vorsitz keine gemeinsame Antwort auf die Probleme
der großen Wanderbewegungen gegeben. Auch den Menschen vor Ort zu helfen, sind laut Pilz nur leere Versprechungen,
denn mit seinem Beitrag zum Welternährungsprogramm liegt Österreich lediglich auf Platz 43. Pilz nannte
das "eine menschliche Schande".
NEOS bewerten politische Herangehensweise der Regierung negativ
Für die NEOS wiederum gibt es Dinge, die gut abgearbeitet wurden, und Dinge, die schlecht gelaufen sind. Laut
Claudia Gamon und Irmgard Griss liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Gamon lobte vor allem die Arbeit der österreichischen
BeamtInnen, wobei sie betonte, bei der Beurteilung gehe es um die politische Herangehensweise, und diese fällt
den NEOS zufolge wenig positiv aus.
So ortete Gamon beim Thema EU-Budget eine eher innenpolitische Stoßrichtung und weniger das Bemühen
um eine europapolitische Weiterentwicklung. Die Regierung habe beispielsweise keine konkreten Einsparungsvorschläge
vorgelegt, begründete sie ihre Einschätzung. Auch hält sie die ursprünglich angedachte Aufstockung
von Frontex für unrealistisch. Bei der Migration verlasse sich die Politik eher darauf, dass die Probleme
von anderen gelöst werden. Ähnlich wie SPÖ-Abgeordnete Duzdar mutmaßte auch Gamon, dass die
Regierung nicht daran interessiert sei, Probleme zu lösen, da man in schwierigen Situationen viel leichter
politisches Kleingeld schlagen könne.
Ihr Fraktionskollege Gerald Loacker bekrittelte die Performance des Ratsvorsitzes als "lauwarm", die
Sozialministerin hat in seinen Augen eine traurige Rolle gespielt. Die Arbeitsagentur, die nun kommen soll, habe
keinen Mehrwert, sie bringe nur mehr Bürokratie, da es bereits vier Agenturen und Behörden gebe, die
de facto dieselben Aufgaben haben.
Hart ins Gericht mit der Bundesregierung ging Michael Bernhard von den NEOS in Bezug auf die Klimapolitik. Dass
der Klimawandel von Menschen beeinflusst ist, sei keine Glaubensfrage mehr und auch keine Ideologie, sagte er.
Handeln sei ein Gebot der Stunde, die Umweltministerin habe es während der Ratspräsidentschaft jedoch
geschafft, Zahlen zu präsentieren, die weder den Zielen der EU noch jenen des Pariser Klimaabkommens noch
den eigenen Zielen entsprächen. Man müsse endlich aus dem Ignorieren und Leugnen herauskommen, forderte
er.
Irmgard Griss (NEOS) versuchte einen allgemeineren Ansatz und appellierte an alle mitzuhelfen, für das Positive
der EU – nämlich den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Bewusstsein zu schaffen. Die wichtigste
Frage ist für sie, ob es Österreich gelungen ist, den Menschen Europa näher zu bringen. Es gehe
darum, über Europa ins Gespräch zu kommen und nicht nur über Europa zu schimpfen. Europa stelle
ein heterogenes Gebilde dar, wo Krisen ein Normalzustand seien, sagte sie. Aber durch Krisen würden Kräfte
mobilisiert und die EU sei aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen.
Konform mit Griss ging der fraktionslose Abgeordnete Efgani Dönmez. Besonders positiv bewertete er die Bemühungen
um die Heranführung der Länder des Westbalkans an die EU, denn zur Überwindung der großen
Spannungen sei eine Beitrittsperspektive wichtig. Einen kritischen Blick warf Dönmez auf die Türkei und
unterstützte die Regierung, die für eine Beendigung der Beitrittsgespräche eintritt. "Mit diesen
Islamisten ist kein Staat zu machen", stellte Dönmez fest. Er warb aber dafür, den säkularen
und liberalen Kräften in der Türkei solidarisch beizustehen. Dönmez sprach sich auch für eine
neue Kooperation mit der Türkei auf Augenhöhe aus. Den Islamisten müsse man aber die rote Linie
zeigen.
ÖVP: Österreich hat in schwierigen Zeiten große Herausforderungen angepackt und vieles weitergebracht
Eine ganz andere Sichtweise kam von den RednerInnen der beiden Regierungsparteien. Er könne schon nicht mehr
hören, dass man Österreich permanent umweltpolitisch schlecht redet und die Fakten außer Acht lässt,
betonte etwa Karlheinz Kopf (ÖVP). So sei beispielsweise die österreichische Wirtschaft mit ihren hohen
Umweltstandards eine der besten. Ebenso verteidigte Nikolaus Berlakovich (ÖVP) die Klimapolitik Österreichs
und attestierte Nachhaltigkeitsministerin Köstinger, sich bei der Klimakonferenz in Kattowitz mit allen Kräften
um eine europäische koordinierte Position zu bemühen.
Fazit für Kopf ist, dass Österreich als kleines Land in schwierigen Zeiten große Herausforderungen
angepackt und vieles weitergebracht hat, beispielsweise in der Frage der Subsidiarität. Man habe die Aufgaben
hervorragend bewältigt, betonte er unisono mit Nikolaus Berlakovich. Letzterer gab gegenüber der Opposition
zu bedenken, dass die Ratspräsidentschaft keine Wundertüte sei, aus der man Lösungen herauszaubern
könne. Österreich habe aber mit seinen politischen Schwerpunkten der Union einen Stempel aufgedrückt
und es sei gelungen als Mittler eine starke Stimme zu erheben.
Das Subsidiaritätsprinzip wurde auch von Kira Grünberg (ÖVP) unterstrichen, die die zahlreichen
regionalen Veranstaltungen während des Ratsvorsitzes begrüßte. Diese hätten dazu beigetragen,
die EU näher an die BürgerInnen zu bringen. Besonders zufrieden zeigte sich Grünberg über die
Annahme der neuen EU-Jugendstrategie.
Kopf wies auch darauf hin, dass Russland und die USA ein globaler Unsicherheitsfaktor geworden seien, Österreich
aber in seiner unmittelbaren Nachbarschaft am Westbalkan einen Beitrag zur Stabilität geleistet habe. Darin
war er mit Nikolaus Berlakovich einer Meinung. Auf dem Westbalkan sei Österreich als Brückenbauer unter
Einbindung der Zivilgesellschaft aufgetreten, betonte Berlakovich. Zentraler Punkt sei dabei der permanente Dialog
mit der Bevölkerung.
Auch für den mittelfristigen Finanzrahmen sei durch den Brexit die Ausgangslage schwierig gewesen, sagte Karlheinz
Kopf. Und auch hier sei es gelungen, eine vernünftige Balance zwischen notwendigen Offensivmaßnahmen
einerseits und den Leistungen der Mitgliedstaaten andererseits zu schaffen. Ebenso beachtlich für ihn war
die parlamentarische Dimension. Kopf hob in diesem Zusammenhang das COSAC-Plenum und die Fiskalpaktkonferenz hervor.
Was die Migrationspolitik betrifft, so entgegnete Berlakovich den SPÖ-RednerInnen, dass der Traum vom grenzenlosen
Europa platze, wenn man die Probleme nicht offen anspricht. Ernst Gödl (ÖVP) schloss daran an und brachte
die Afrikapolitik zur Sprache. Hier habe der Bundeskanzler eine gute Performance geboten, sagte er. Der Wohlstand
Europas sei eng mit einem stabilen Afrika verknüpft. Das kommende Afrika-Forum sieht Gödl als einen wichtigen
Beitrag zur Hilfe vor Ort.
FPÖ: Es ist ein Politikwechsel gelungen
Die FPÖ-Redner konzentrierten sich in ihren Beiträgen auf die Flüchtlings- und Migrationsfrage und
hielten der SPÖ vor, dass es die Sozialdemokratie gewesen sei, die im Jahr 2015 den Traum vom grenzenlosen
Europa zerstört habe.
Roman Haider (FPÖ) wandte sich dezidiert gegen eine unkontrollierte Massenzuwanderung aus fremden Kulturen,
denn das wäre seiner Meinung nach das Ende des Rechts- und Sozialstaates, das Ende der Trennung zwischen Staat
und Religion, das Ende der liberalen Gesellschaft und das Ende der europäischen Kultur. Er bekräftigte
die negative Haltung zum Migrationspakt und meinte, mit dem Flüchtlingspakt könne er leben, denn dort
werde eine Trennlinie zwischen Flüchtlingen und MigrantInnen gezogen. Vieles darin sei bereits Teil der eigenen
Rechtsordnung, es dürfe jedoch kein neues Völkerrecht daraus entstehen, so Haider.
Auch für Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) fällt der österreichische Ratsvorsitz zu den verantwortungsvollsten
der letzten Jahre. In der Vergangenheit habe man mit den Grundfreiheiten Schindluder getrieben, meinte er, der
österreichische Ratsvorsitz habe mitgeholfen, hier einen Politikwechsel einzuleiten. Das beginne beim Schutz
der Außengrenzen, zudem sei die Stärkung von Frontex eingeleitet worden. Ebenso sei die Besteuerung
von Großkonzernen, die Finanztransaktionssteuer und die Digitalsteuer nicht mehr vom Tisch zu wischen. Vom
Innenminister sei zudem die Sicherheitspolitik vorangetrieben worden. Österreich stehe am Scheideweg zwischen
Scheitern und der Neugeburt einer praktischen Politik im Sinne der BürgerInnen, gab Bösch zu bedenken.
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