Nationalrat zieht Bilanz über Österreichs EU-Ratsvorsitz

 

erstellt am
13. 12. 18
13:00 MEZ

Kurz und Strache betonen Trendwende in Migrationsfrage; Opposition spricht von verpasster Chance – Bilanz des EU-Ratsvorsitzes fällt bei Abgeordneten gespalten aus
Wien (pk) - Rund zwei Wochen vor dem offiziellen Ende des österreichischen EU-Ratsvorsitzes hat der Nationalrat am 12. Dezember Bilanz über die europapolitische Performance der Regierung in den vergangenen sechs Monaten gezogen. Während Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz Christian Strache in ihren EU-Erklärungen insbesondere von einer durch Österreich eingeleiteten Trendwende in der europäischen Migrationspolitik sprachen, kann die Opposition diese nicht erkennen und sieht eine verpasste Chance.

Die NEOS kritisieren etwa "immer wiederkehrende hohle Phrasen" seitens der Regierung, die sich aus Sicht der Oppositionspartei nun mit fremden Federn schmückt. In dieselbe Kerbe schlug in der Nationalratsdebatte auch die SPÖ. Wovor Europa wirklich Schutz brauche, seien die leeren Versprechungen der österreichischen Regierung, so ihr Urteil in Anspielung auf das Ratsvorsitzmotto "Ein Europa, das schützt". Wirklich zentrale Fragen sind nach Meinung der Liste JETZT nicht einmal gestreift worden. Man habe den Ratsvorsitz unter das Generalthema der Migration gestellt, auch dort seien keine konkreten Ergebnisse wie eine zeitnahe personelle Aufstockung der Grenzschutzagentur Frontex erzielt worden. Ausschließlich Lob für den Ratsvorsitz kam von den Abgeordneten der ÖVP und FPÖ.

Zwei Anträge der SPÖ, in denen sie sich im Zuge der Debatte für den Abschluss der Finanztransaktions- und Digitalsteuer sowie für die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumpung einsetzen, fanden im Nationalrat keine Mehrheit. Auch die NEOS hatten mir ihrer Brexit-Initiative kein Glück. Darin hatten sie sich für eine rechtliche Gleichstellung von UnionsbürgerInnen und britischen StaatsbürgerInnen nach dem Brexit eingesetzt.

Kurz: Österreich hat in Migrationsfrage europäische Trendwende eingeleitet
Österreich habe den Ratsvorsitz etwa angesichts des bevorstehenden Brexit oder der Migrationsfrage in einer herausfordernden Gemengelage übernommen und mit Engagement gearbeitet, so der Bundeskanzler, gleichzeitig sei es gelungen, eigene Schwerpunkte zu setzen. So habe Österreich im Juni auf EU-Ebene in der Migrationsfrage eine Trendwende weg von der Verteilungsblockade eingeleitet. Nun werde nicht mehr nur die Debatte geführt, wie man in der EU mit Migration umgehen soll, vielmehr gehe es nun um die Bekämpfung von illegaler Migration. Zentral sei dafür die Beschlussfassung zur Stärkung von Frontex und die Kooperation mit Drittstaaten gewesen.

Auch in der Zusammenarbeit mit Transitländern habe man neue Wege beschreiten können, so Kurz. Die Auswirkungen der Trendwende seien zudem bereits sichtbar. Insgesamt sei im Vergleich zu 2015 ein Rückgang von 95% bei den Ankünften von illegalen MigrantInnen in der EU zu verzeichnen, auch die Zahl der Todesopfer bzw. Menschen, die auf ihrem Weg im Mittelmeer ertrinken, sei massiv zurückgegangen. "Wir befinden uns nach langem Ringen innerhalb der EU seit dem Jahr 2015 endlich auf dem richtigen Weg", so der Kanzler, Österreich werde sich auch über den Vorsitz hinaus in dieser Frage einbringen.

Auf das Konto Österreichs würden zudem etwa Fortschritte in der Vollendung des digitalen Binnenmarkts gehen, zudem habe man zusammen mit Bulgarien den Westbalkan wieder stärker auf das Radar der EU gebracht. So seien etwa nicht nur neue Kapitel eröffnet worden, sondern auch eine neue Dynamik der Annäherung entstanden. Österreich werde den Westbalkan auch weiterhin auf seinem Weg in die EU unterstützen, zumal mehr Sicherheit und Stabilität in der südosteuropäischen Region direkte positive Auswirkungen auf Österreich haben würden.

Der Kanzler hob zudem Österreichs Engagement für den afrikanischen Kontinent hervor. Es sei das klare Ziel, die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas zu unterstützen. Auch im Kampf gegen Antisemitismus habe Österreich etwa mit der EU-Erklärung gegen Antisemitismus viel erreicht. "Wir werden als überzeugte Europäer bis zum letzten Tag alles geben", so der Kanzler.

Brexit: Kurz hofft, dass sich "die vernünftigen Kräfte in Großbritannien" durchsetzen
Was den Brexit betrifft, sollte alles daran gesetzt werden, einen geordneten Austritt zustande zu bringen, sagte der Kanzler einmal mehr. "Die Briten verlassen die EU, nicht aber Europa", so Kurz, es gehe vor allem auch um ein gutes Miteinander nach dem EU-Austritt der Briten. Während des heutigen Europäischen Rats müsse noch einmal ein Anlauf unternommen werden, um zu versuchen, mit Großbritanniens Premierministerin Theresa May einen Weg zu finden, den Deal durch das britische Parlament zu bringen. Das Austrittsabkommen dürfe nicht mehr aufgeschnürt werden, man müsse einen Weg finden, der für beide Seiten gut ist. "Ich hoffe, dass sich die vernünftigen Kräfte in Großbritannien durchsetzen", so Kurz.

Strache: Europa verlässt in Flüchtlingsfrage Sackgasse der Zwangsverteilung
In seinem Resümee meinte Vizekanzler Heinz Christian Strache, dass der Ratsvorsitz eine durchaus spannende Herausforderung gewesen sei. Die Regierung sei mit dem Anspruch angetreten, auf Basis der österreichischen Neutralität Brückenbauer für schwierige Fragen zu sein. An über 300 Veranstaltungen und Konferenzen hätten so rund 80.000 Delegierte teilgenommen. Was den wirtschaftlichen Mehrwert betrifft, so hat der Ratsvorsitz laut Angaben des Vizekanzlers rund 135 Mio. € zum Bruttoinlandsprodukt beigetragen. "Der Tourismus zählt zu den Top-Gewinnern", so Strache.

Eine der größten Errungenschaften stelle allerdings die Bewusstseinsveränderung in der europäischen Migrationsfrage etwa mit einem Maßnahmenpaket zur Schlepperbekämpfung dar. Durch politische Fehlentwicklungen im Außengrenzschutz habe das Vertrauen der BürgerInnen in den letzten Jahren gelitten. "Wenn es um die innere Sicherheit in Österreich geht, nimmt uns niemand die Entscheidung ab, da haben wir die Verantwortung", so der Vizekanzler. Europa verlasse nun die Sackgasse der Zwangsverteilung und gehe in die richtige Richtung.

Zu Österreichs Erfolgen während des Ratsvorsitzes würden zudem auch Fortschritte in der Sportpolitik, im Kampf gegen Antisemitismus, im Gesundheits-, Verkehrs- sowie im Sozialbereich zählen. Die Regierung habe sich darauf konzentriert, konkrete Dinge umzusetzen. Die Arbeit werde nach der Ratspräsidentschaft gerade in der Sicherheits- und Migrationsfrage nicht enden, so Strache.

Rendi-Wagner: Noch nie hat eine Regierung so viel versprochen und so wenig gehalten
In ihrer Abrechnung mit Österreichs EU-Ratsvorsitz meinte SPÖ-Klubchefin Pamela-Rendi Wagner, dass noch nie von einer Regierung so viel versprochen und so wenig gehalten worden sei. Angesichts des Mottos "Ein Europa, das schützt", stelle sich die Frage, wen die Regierung schützen wolle. Sie vermisst konkrete Maßnahmen, um etwa UnternehmerInnen vor der Steuerflucht von Großkonzernen, BäuerInnen vor verdorrten Feldern in Folge des Klimawandels oder die Jugend vor prekären Arbeitsbedingungen zu schützen. Versprochen worden sei die Sicherung des Wohlstandes durch die Digitalisierung, herausgekommen seien wenige Ergebnisse bis gar keine. Auch beim Thema Migration sei nichts Konkretes gelungen, wenn es etwa um die Hilfe vor Ort, Rücknahmeabkommen oder die Bekämpfung von Fluchtursachen geht. Stattdessen seien Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit im Vorfeld gekürzt worden, so die Kritik Rendi-Wagners. Zusätzliche Frontex-Grenzschutzbeamte würden 2027 und damit erst sieben Jahre später als geplant bereitgestellt werden können, so die SPÖ-Klubchefin.

Auch in der Sozialpolitik sei nicht viel geschehen und die "groß angekündigte Digitalsteuer" sei nicht umgesetzt worden. Damit würden große, multinationale Konzerne weiterhin damit durchkommen, minimale bis gar keine Steuern zu zahlen, während jeder Arbeitnehmer seine Einkommenssteuer von seinem Lohn abgeben müsse und kleine Unternehmen voll besteuert würden. "Sie haben nichts dafür getan, dass Europa in den zentralen Fragen vorankommt", so ihr Urteil. Die Menschen zu schützen, würde bedeuten, sich für Gerechtigkeit und ein gemeinsames Europa einzusetzen, diese Chance sei von der Regierung verpasst worden.

Meinl-Reisinger: Regierung hat Chance nicht genutzt, eine Linie zwischen Nationalismus und europäischer Sachpolitik zu ziehen
Von einer verpassten, enormen Chance, eine Linie zwischen Nationalismus und Populismus sowie einer europäischen Sachpolitik zu ziehen, sprach auch Beate Meinl-Reisinger (NEOS). Was Populismus und Nationalismus anrichten kann, würde sich derzeit in Großbritannien mit einem drohenden ökonomischen Desaster und einer Staatskrise zeigen. Dort habe man Milch und Honig versprochen, allerdings würden auch im österreichischen Parlament Populisten sitzen, die ebenfalls mit der Idee eines österreichischen EU-Austritts zündeln würden. "Mehr Nationalismus und Populismus macht die Menschen arm und unsicher", so Meinl-Reisinger, die sich für ein zweites Brexit-Referendum in Großbritannien aussprach. Wichtig sei jedenfalls, dafür Sorge zu tragen, dass die Rechte von UnionsbürgerInnen sowie der BritInnen sichergestellt werden.

Was die Ratspräsidentschaft betrifft, bedaure sie es sehr, dass von der Regierung stets die immer gleichen "Phrasen gedroschen" worden seien und der Vorsitz unter dem monothematischen Fokus auf Migration und Asyl gestanden habe. Die angeblichen Fortschritte in Bezug auf Frontex seien unter den Staats- und Regierungschefs schon im Vorhinein klar gewesen, Kurz und Strache würden sich demnach mit fremden Federn schmücken. Keine Ergebnisse gebe es außerdem in Bezug auf Kooperationen mit Nordafrika. Stattdessen habe man mit Worten wie Subsidiarität gezündelt.

Rossmann: Es braucht mehr als den Schutz von Außengrenzen
Wie Meinl-Resinger kritisierte auch JETZT-Klubchef Bruno Rossmann, dass Österreichs Ratsvorsitz ausschließlich unter das Generalthema der Migration bzw. den Schutz der Außengrenzen gestellt worden sei. "Wo ist die Trendwende?", so Rossmann in Richtung Regierung, der ebenfalls konkrete Fortschritte in Sachen Abkommen mit Drittstaaten oder in der personellen Aufstockung von Frontex vermisst. Mit der Trendwende, von der ständig gesprochen werde, hätten sich Kurz und Strache auf EU-Ebene nicht durchsetzen können. Zumal es mehr brauche, als den Schutz der Außengrenzen, nämlich Gespräche über eine solidarische Verteilung von Flüchtlingen, die Hilfe vor Ort oder eine geänderte Handelspolitik der EU gegenüber Afrika.


"Ein Europa, das schützt, ist mehr", so Rossmann. Viele Themen, die unter den Nägeln brennen, etwa der Klimaschutz, die soziale Frage oder die Steuerflucht, seien nicht angepackt worden. Wozu die Vernachlässigung der sozialen Frage führen kann, wenn man etwa nichts gegen Armut oder für einen europäischen Mindestlohn unternimmt, habe sich in Großbritannien gezeigt und zeige sich derzeit auch in Frankreich. In Großbritannien seien die Menschen den Rechtspopulisten auf den Leim gegangen, so der JETZT-Klubchef.

Zudem lege Kurz sehr viel Wert darauf, Fluchtrouten zu schließen, während seines Vorsitzes sei allerdings keine einzige Steuerfluchtroute geschlossen worden. Die Finanztransaktionssteuer sei in eine Aktienbesteuerung umgewandelt und unter Österreichs Ratsvorsitz endgültig begraben worden.

Lopatka: Österreichs EU-Ratsvorsitz zeigt beeindruckende Bilanz
Nur Positives über die Performance der Regierung kam vom Vorsitzenden des EU-Unterausschusses Reinhold Lopatka (ÖVP). Österreichs Ratsvorsitz zeige eine beeindruckende Bilanz, er habe zwar kein Lob vonseiten der SPÖ erwartet, allerdings eine faire Beurteilung. Es werde etwa übersehen, dass Finanzminister Hartwig Löger auf EU-Ebene für die Besteuerung von Großkonzernen gekämpft habe. Mit Blick auf Europa sei zu betonen, dass Österreichs dritte Ratspräsidentschaft unter den schwierigsten Voraussetzungen stattgefunden habe. Frankreich versinke gerade im Chaos, die britische Regierungschefin kämpfe um ihr politisches Überleben und Italien entwickle sich in eine dramatische Situation für die gesamte Eurozone. Ganz im Gegenteil hebe sich hier die österreichische Regierung positiv ab.

"Unter diesen Voraussetzungen ist Großartiges geleistet worden", so Lopatka, der Regierung sei es gelungen, den Fokus auf den Außengrenzschutz zu legen und in Europa davon wegzukommen, dass Flüchtlinge über Frontex nach Europa gebracht werden. Die EU muss nach Meinung Lopatkas zudem wieder bürgernäher werden. Durch den Anstieg an Verordnungen, bei denen Nationalstaaten kein Mitsprachrecht zukommt, habe sich die Kommission immer weiter wegbewegt. Auch hier sei ein Umdenken erreicht worden. "Gelebte Subsidiarität bringt die EU den BürgerInnen näher", so Lopatka.

Steger: Regierung hat hervorragende Leistung gezeigt
Die Opposition habe mit ihrer Kritik eindeutig bewiesen, dass es ihr nur darum gehe, irgendetwas an der Regierung schlecht zu reden, so Petra Steger (FPÖ), die in der Debatte zu mehr Sachlichkeit aufforderte. Auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe Österreichs Vorsitz als Best Practice bezeichnet. Die Regierung habe hervorragende Leistung gezeigt, zumal in jedem der vorgenommenen Programmpunkte wichtige Fortschritte erzielt worden seien. Etwa gebe es zum ersten Mal eine gemeinsame Erklärung des Rates zur Bekämpfung von Antisemitismus. "Auch das ist ein historischer Erfolg der Regierung", so Steger. Im Bereich der Sozialpolitik sollte die SPÖ wiederum zur Kenntnis nehmen, dass es sich um keine Untätigkeit der Regierung handelt, sondern die Utopie einer Sozialunion schlichtweg nicht geteilt werde.

In der Migrationsfrage habe ein Umdenken stattgefunden und es gehe in Europa nun in die richtige Richtung. Die Politik der letzten Jahre habe zu einer größeren Spaltung Europas geführt als die "bösen Rechtsextremen". Es sei zentrale und wichtige Aufgabe eines jeden Staates, seine BürgerInnen vor illegaler Migration zu schützen. Demnach sei Österreich mit der Nichtunterzeichnung des UNO-Migrationspakts ein Vordenker.

   

Auch die weitere Debatte im Nationalrat über die Bilanz des österreichischen EU-Ratsvorsitzes brachte keine Annäherung der jeweiligen Sichtweisen von Regierung und Opposition. Die Bandbreite der Beurteilungen reichte von "äußerst erfolgreich" und "Politikwechsel" bis hin zu "Inszenierungsnebel", "Debakel" und "politischer Verantwortungslosigkeit". Lediglich die NEOS sahen die Dinge differenzierter und meinten, die Wahrheit werde zwischen überschäumenden Lob und vernichtender Kritik wohl in der Mittel liegen.

SPÖ: Österreichischer Ratsvorsitz hat nichts weitergebracht
Von einem Debakel sprach seitens der SPÖ Jörg Leichtfried und zitierte dabei kritische JournalistInnen, die helfen würden, den "Inszenierungsnebel" zu durchschauen. Europa sei ein Traum von einem grenzenlosen Raum und einem funktionierenden Schengen-System, sagte Leichtfried, die Regierung habe aber keinen einzigen Beschluss zu Frontex zustande gebracht. Passiert sei auch nichts im Hinblick auf eine koordinierte Migrations- und Asylpolitik, die Bundesregierung rühme sich lediglich, die Grenzen zu schließen. Dieser Kritik schloss sich auch seine Fraktionskollegin Muna Duzdar vollinhaltlich an. Für sie ist es unverständlich, dass man auf den Außengrenzschutz drängt und dafür finanziell nichts beitragen will. Als verantwortungslos bezeichnete sie auch, wie die Bundesregierung mit der Flüchtlings- und Migrationsfrage umgeht. Sie hegte dabei den Verdacht, dass die Regierung ganz bewusst so handelt, um mit der schwierigen Situation Stimmungsmache betreiben und damit punkten zu können.

Sowohl Leichtfried als auch Duzdar vermissen vom österreichischen Ratsvorsitz Maßnahmen gegen das Lohn- und Sozialdumping. Ebenso wenig werde gegen Scheinfirmen und Scheinselbständige unternommen. Es könne auch nicht sein, dass es in der EU zu einem Wettbewerb nach unten kommt, warfen beide ein. Das führe zur Entfremdung der BürgerInnen. Duzdar warf dem Kanzler dezidiert vor, sozialen Rechten keine Bedeutung beizumessen. Ferner gab Leichtfried der Regierung Schuld daran, dass es noch nicht zu einer Digitalsteuer gekommen ist und die Finanztransaktionssteuer zu Grabe getragen worden sei. Die EU stehe heute zerrütteter und gespaltener denn je da, so das Resümee der beiden SPÖ-PolitikerInnen.

JETZT: Regierung handelt verantwortungslos
Ins gleiche Horn stieß Peter Pilz von der Fraktion JETZT. Er ortete fünf Fragen, die nach wie vor ungelöst sind und beschuldigte die Regierung der Verantwortungslosigkeit. So habe es nicht einmal einen Versuch gegeben, eine Antwort auf die Klimakrise zu finden, so Pilz. Ähnlich wie die SPÖ beklagte er, dass es keine Finanztransaktionssteuer geben werde und warnte in diesem Zusammenhang davor, dass damit die nächste Finanzkrise drohe. Denn man habe es nicht geschafft, den unkontrollierten Handel mit gefährlichen Finanzprodukten zu unterbinden. Außerdem liege kein europäisches Konzept zu einer humanen Digitalisierung vor, so der weitere Vorwurf von Pilz.

Er vermisste zudem Schritte zu einer Sozialunion und forderte eine europäische Arbeitslosenversicherung ein, zu der es nicht einmal Überlegungen gebe. Schließlich sei die Verstärkung von FRONTEX auf ein Jahrzehnt begraben worden, Europa habe auch unter österreichischem Vorsitz keine gemeinsame Antwort auf die Probleme der großen Wanderbewegungen gegeben. Auch den Menschen vor Ort zu helfen, sind laut Pilz nur leere Versprechungen, denn mit seinem Beitrag zum Welternährungsprogramm liegt Österreich lediglich auf Platz 43. Pilz nannte das "eine menschliche Schande".

NEOS bewerten politische Herangehensweise der Regierung negativ
Für die NEOS wiederum gibt es Dinge, die gut abgearbeitet wurden, und Dinge, die schlecht gelaufen sind. Laut Claudia Gamon und Irmgard Griss liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Gamon lobte vor allem die Arbeit der österreichischen BeamtInnen, wobei sie betonte, bei der Beurteilung gehe es um die politische Herangehensweise, und diese fällt den NEOS zufolge wenig positiv aus.

So ortete Gamon beim Thema EU-Budget eine eher innenpolitische Stoßrichtung und weniger das Bemühen um eine europapolitische Weiterentwicklung. Die Regierung habe beispielsweise keine konkreten Einsparungsvorschläge vorgelegt, begründete sie ihre Einschätzung. Auch hält sie die ursprünglich angedachte Aufstockung von Frontex für unrealistisch. Bei der Migration verlasse sich die Politik eher darauf, dass die Probleme von anderen gelöst werden. Ähnlich wie SPÖ-Abgeordnete Duzdar mutmaßte auch Gamon, dass die Regierung nicht daran interessiert sei, Probleme zu lösen, da man in schwierigen Situationen viel leichter politisches Kleingeld schlagen könne.

Ihr Fraktionskollege Gerald Loacker bekrittelte die Performance des Ratsvorsitzes als "lauwarm", die Sozialministerin hat in seinen Augen eine traurige Rolle gespielt. Die Arbeitsagentur, die nun kommen soll, habe keinen Mehrwert, sie bringe nur mehr Bürokratie, da es bereits vier Agenturen und Behörden gebe, die de facto dieselben Aufgaben haben.

Hart ins Gericht mit der Bundesregierung ging Michael Bernhard von den NEOS in Bezug auf die Klimapolitik. Dass der Klimawandel von Menschen beeinflusst ist, sei keine Glaubensfrage mehr und auch keine Ideologie, sagte er. Handeln sei ein Gebot der Stunde, die Umweltministerin habe es während der Ratspräsidentschaft jedoch geschafft, Zahlen zu präsentieren, die weder den Zielen der EU noch jenen des Pariser Klimaabkommens noch den eigenen Zielen entsprächen. Man müsse endlich aus dem Ignorieren und Leugnen herauskommen, forderte er.

Irmgard Griss (NEOS) versuchte einen allgemeineren Ansatz und appellierte an alle mitzuhelfen, für das Positive der EU – nämlich den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Bewusstsein zu schaffen. Die wichtigste Frage ist für sie, ob es Österreich gelungen ist, den Menschen Europa näher zu bringen. Es gehe darum, über Europa ins Gespräch zu kommen und nicht nur über Europa zu schimpfen. Europa stelle ein heterogenes Gebilde dar, wo Krisen ein Normalzustand seien, sagte sie. Aber durch Krisen würden Kräfte mobilisiert und die EU sei aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen.

Konform mit Griss ging der fraktionslose Abgeordnete Efgani Dönmez. Besonders positiv bewertete er die Bemühungen um die Heranführung der Länder des Westbalkans an die EU, denn zur Überwindung der großen Spannungen sei eine Beitrittsperspektive wichtig. Einen kritischen Blick warf Dönmez auf die Türkei und unterstützte die Regierung, die für eine Beendigung der Beitrittsgespräche eintritt. "Mit diesen Islamisten ist kein Staat zu machen", stellte Dönmez fest. Er warb aber dafür, den säkularen und liberalen Kräften in der Türkei solidarisch beizustehen. Dönmez sprach sich auch für eine neue Kooperation mit der Türkei auf Augenhöhe aus. Den Islamisten müsse man aber die rote Linie zeigen.

ÖVP: Österreich hat in schwierigen Zeiten große Herausforderungen angepackt und vieles weitergebracht
Eine ganz andere Sichtweise kam von den RednerInnen der beiden Regierungsparteien. Er könne schon nicht mehr hören, dass man Österreich permanent umweltpolitisch schlecht redet und die Fakten außer Acht lässt, betonte etwa Karlheinz Kopf (ÖVP). So sei beispielsweise die österreichische Wirtschaft mit ihren hohen Umweltstandards eine der besten. Ebenso verteidigte Nikolaus Berlakovich (ÖVP) die Klimapolitik Österreichs und attestierte Nachhaltigkeitsministerin Köstinger, sich bei der Klimakonferenz in Kattowitz mit allen Kräften um eine europäische koordinierte Position zu bemühen.

Fazit für Kopf ist, dass Österreich als kleines Land in schwierigen Zeiten große Herausforderungen angepackt und vieles weitergebracht hat, beispielsweise in der Frage der Subsidiarität. Man habe die Aufgaben hervorragend bewältigt, betonte er unisono mit Nikolaus Berlakovich. Letzterer gab gegenüber der Opposition zu bedenken, dass die Ratspräsidentschaft keine Wundertüte sei, aus der man Lösungen herauszaubern könne. Österreich habe aber mit seinen politischen Schwerpunkten der Union einen Stempel aufgedrückt und es sei gelungen als Mittler eine starke Stimme zu erheben.

Das Subsidiaritätsprinzip wurde auch von Kira Grünberg (ÖVP) unterstrichen, die die zahlreichen regionalen Veranstaltungen während des Ratsvorsitzes begrüßte. Diese hätten dazu beigetragen, die EU näher an die BürgerInnen zu bringen. Besonders zufrieden zeigte sich Grünberg über die Annahme der neuen EU-Jugendstrategie.

Kopf wies auch darauf hin, dass Russland und die USA ein globaler Unsicherheitsfaktor geworden seien, Österreich aber in seiner unmittelbaren Nachbarschaft am Westbalkan einen Beitrag zur Stabilität geleistet habe. Darin war er mit Nikolaus Berlakovich einer Meinung. Auf dem Westbalkan sei Österreich als Brückenbauer unter Einbindung der Zivilgesellschaft aufgetreten, betonte Berlakovich. Zentraler Punkt sei dabei der permanente Dialog mit der Bevölkerung.

Auch für den mittelfristigen Finanzrahmen sei durch den Brexit die Ausgangslage schwierig gewesen, sagte Karlheinz Kopf. Und auch hier sei es gelungen, eine vernünftige Balance zwischen notwendigen Offensivmaßnahmen einerseits und den Leistungen der Mitgliedstaaten andererseits zu schaffen. Ebenso beachtlich für ihn war die parlamentarische Dimension. Kopf hob in diesem Zusammenhang das COSAC-Plenum und die Fiskalpaktkonferenz hervor.

Was die Migrationspolitik betrifft, so entgegnete Berlakovich den SPÖ-RednerInnen, dass der Traum vom grenzenlosen Europa platze, wenn man die Probleme nicht offen anspricht. Ernst Gödl (ÖVP) schloss daran an und brachte die Afrikapolitik zur Sprache. Hier habe der Bundeskanzler eine gute Performance geboten, sagte er. Der Wohlstand Europas sei eng mit einem stabilen Afrika verknüpft. Das kommende Afrika-Forum sieht Gödl als einen wichtigen Beitrag zur Hilfe vor Ort.

FPÖ: Es ist ein Politikwechsel gelungen
Die FPÖ-Redner konzentrierten sich in ihren Beiträgen auf die Flüchtlings- und Migrationsfrage und hielten der SPÖ vor, dass es die Sozialdemokratie gewesen sei, die im Jahr 2015 den Traum vom grenzenlosen Europa zerstört habe.

Roman Haider (FPÖ) wandte sich dezidiert gegen eine unkontrollierte Massenzuwanderung aus fremden Kulturen, denn das wäre seiner Meinung nach das Ende des Rechts- und Sozialstaates, das Ende der Trennung zwischen Staat und Religion, das Ende der liberalen Gesellschaft und das Ende der europäischen Kultur. Er bekräftigte die negative Haltung zum Migrationspakt und meinte, mit dem Flüchtlingspakt könne er leben, denn dort werde eine Trennlinie zwischen Flüchtlingen und MigrantInnen gezogen. Vieles darin sei bereits Teil der eigenen Rechtsordnung, es dürfe jedoch kein neues Völkerrecht daraus entstehen, so Haider.

Auch für Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) fällt der österreichische Ratsvorsitz zu den verantwortungsvollsten der letzten Jahre. In der Vergangenheit habe man mit den Grundfreiheiten Schindluder getrieben, meinte er, der österreichische Ratsvorsitz habe mitgeholfen, hier einen Politikwechsel einzuleiten. Das beginne beim Schutz der Außengrenzen, zudem sei die Stärkung von Frontex eingeleitet worden. Ebenso sei die Besteuerung von Großkonzernen, die Finanztransaktionssteuer und die Digitalsteuer nicht mehr vom Tisch zu wischen. Vom Innenminister sei zudem die Sicherheitspolitik vorangetrieben worden. Österreich stehe am Scheideweg zwischen Scheitern und der Neugeburt einer praktischen Politik im Sinne der BürgerInnen, gab Bösch zu bedenken.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at
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