Innenminister Herbert Kickl zog bei einem Pressehintergrundgespräch vorläufige Bilanz
zur EU-Ratspräsidentschaft 2018.
Wien (bmi) - "Wir konnten bereits vor und während unseres EU-Vorsitzes einiges in Bewegung setzen,
wir haben eine ganze Reihe konkreter Ergebnisse erzielt und zudem Fehlentwicklungen verhindert. Österreich
ist Impulsgeber, Trendsetter und Vorreiter für Freiheit und Sicherheit in Europa", sagte Innenminister
Herbert Kickl beim Pressehintergrundgespräch am 10. Dezember, wo er vorläufig Bilanz zur EU-Ratspräsidentschaft
zog. Vor allem in der Asyl- und Migrationspolitik sei es gelungen, von einem "Reaktionsmodus" zu einem
"Präventionsmodus" zu wechseln, man könne fast von einer "kopernikanischen Wende"
sprechen.
Auf dem Weg zu einem krisenfesten EU-Außengrenzschutz
Zum Thema krisenfester EU-Außengrenzschutz gab es Einigungen in drei wichtigen Bereichen: Frontex kann künftig
schon in Drittstaaten zum Grenzschutz beitragen, es wurden Statusabkommen mit Balkanstaaten geschlossen, und wer
sich illegal in der EU oder Drittstaaten aufhält, soll rascher mit Frontex-Hilfe zurückgeführt werden.
"Wir verhandeln auch noch intensiv an einem Kompromissvorschlag zum Personalaufbau, da der Kommissions-Vorschlag
von 10.000 Personen bis 2020 unrealistisch ist. Damit verhindern wir eine Fehlentwicklung, die mehr geschadet als
genützt hätte", sagte Kickl. Es müsse etwa das geeignete Personal rekrutiert und ausgebildet
werden.
Paradigmenwechsel und Fortschritte im Bereich Asyl
Im Bereich Asyl und Migration habe man – auch durch Vorarbeiten vor der Präsidentschaft – einen Paradigmenwechsel
geschafft. "Neue Fehlentwicklungen in Richtung zwangsweiser Verteilung wurden verhindert, die eine Verfestigung
der Spaltung Europas nach sich ziehen würden", erklärte der Innenminister. Der österreichische
Vorsitz sei im sensiblen Bereich Asyl daher konsensorientiert vorgegangen. Unter Beachtung dieser Zielsetzungen
wurden die Arbeiten an den EU-Asylrechtsakten vorangetrieben. "Das haben wir entsprechend den Schlussfolgerungen
des Europäischen Rates vom 28. Juni 2018 gemacht, in dem der Paradigmenwechsel festgeschrieben ist",
sagte der EU-Ratsvorsitzende. Der UN-Migrationspakt stehe dazu im Widerspruch. Daher unterstütze ihn Österreich
auch als EU-Vorsitz nicht.
Kampf gegen politischen Islam zum EU-Thema gemacht
Im Bereich Extremismus und Terrorismus seien drängende Probleme ins EU-Bewusstsein gerückt worden. "Das
betrifft vor allem die Bedrohung unserer Freiheit und Sicherheit durch den politischen Islam, ein Thema, mit dem
man sich nun auch auf EU-Ebene auseinandersetzt", erläuterte der Minister. Ein Mittel dagegen seien die
Förderung und der Schutz europäischer Werte. Dazu wurde am 19. und 20. November 2018 in Wien die große
internationale Konferenz zum Thema "Europäische Werte, Rechtsstaat, Sicherheit" veranstaltet. Ihre
Ergebnisse werden nun analysiert und als Grundlage für weiterführende Arbeiten genutzt.
Konkrete Erfolge gegen Extremismus und Terrorismus
Zudem gebe es ganz konkrete Erfolge gegen Extremismus und Terrorismus, berichtete der EU-Ratsvorsitzende. Internetfirmen
müssten künftig pro-aktiv gegen Terror-Inhalte vorgehen oder würden bestraft. Außerdem seien
Einigungen zur Nutzung von Finanzinformationen und zur Stärkung des ATLAS-Netzwerkes der EU-Sondereinheiten
gelungen, wofür ein Support Office bei EUROPOL eingerichtet werde. Beschlossen wurde unter österreichischem
Vorsitz weiters ein Westbalkan-Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung.
EU-Sicherheitskonzept zum Schutz jüdischer Gemeinden
Darüber hinaus wird die EU aufgrund der Initiative und Bemühungen des österreichischen Vorsitzes
ein Sicherheitskonzept zum besseren Schutz jüdischer Gemeinden und Einrichtungen entwickeln. "Damit ist
es uns gelungen, den wichtigen Kampf gegen Antisemitismus zur EU-Aufgabe zu machen. Das österreichische Modell
der Kooperation zwischen dem Innenministerium und der Israelitischen Kultusgemeinde wird dabei immer wieder als
Best Practice Beispiel bewertet. Darauf können wir stolz sein", sagte der EU-Ratsvorsitzende.
Erfolge gegenOK– EU-Antischlepperpaket
Erfolge wurden auch im Kampf gegen die organisierte Kriminalität sowie bei der Stärkung der europäischen
Polizeikooperation erzielt. "Das letzte Woche beim Innenministerrat in Brüssel beschlossene EU-Anti-Schlepperpaket
ist dabei ein Meilenstein", sagte der Minister. Damit wurde erstmals ein gesamthafter Ansatz mit operativen
Maßnahmen außerhalb und innerhalb der EU erreicht. "Es freut mich zudem, dass wir das Thema Community
Policing auf die EU-Agenda bringen konnten. Mit GEMEINSAM.SICHER in Österreich sind wir auch hier Vorreiter",
fügte der Innenminister hinzu. Darüber hinaus wurde unter Vorsitz Österreichs ein "Operational
Action Plan" zur Bekämpfung der schweren und organisierten Kriminalität in der EU zustande gebracht
und das dafür notwendige Budget für 2019 sichergestellt.
Erfolgreiche Verhandlungen zur Interoperabilität
Österreich treibt die Verhandlungen im Bereich Informationsaustausch erfolgreich voran, auch nach dem letzten
JI-Rat am 6. Dezember 2018. Ziel ist die Interoperabilität von Datenbanken. "In Hinkunft werden unsere
Polizistinnen und Polizisten die für ihre Arbeit wichtigen Informationen aus unterschiedlichen Datensilos
rasch und gesamtheitlich nutzen können", sagte Kickl.
Prüm für Südosteuropa großer Erfolg
Bei der wichtigen Stärkung der Kooperation mit Drittstaaten sind ebenfalls große Fortschritte gelungen.
Das zeigt etwa die Ausdehnung der so genannten Prüm-Kooperation auf Südosteuropa. Dazu wurden völkerrechtlich
verbindliche Abkommen bei der Innenministerkonferenz mit Balkanstaaten am 13. September 2018 in Wien unterzeichnet.
Dadurch wird künftig der direkte Austausch von DNA-Daten, Fingerabdruck-Daten sowie Fahrzeugregister-Daten
zwischen und mit Partnern am Balkan möglich sein. "Das wird zur Aufklärung und Verhinderung von
tausenden Delikten in Mittel- und Südosteuropa führen", erläuterte der Minister.
Kooperation mit afrikanischen Partnern
Die Kooperation mit afrikanischen Partnern soll in den Bereichen Migration und Sicherheit nachhaltig verstärkt
werden. Dabei geht es etwa um ein Zusammenwirken gegen irreguläre Migration und die notwendige Unterstützung,
damit Partner in Afrika ihre diesbezügliche Verantwortung wahrnehmen können. Das ist ein Ergebnis der
Innenministerkonferenz mit afrikanischen Staaten am 14. September 2018 in Wien. Dazu werde es demnächst ein
Treffen auf hoher Beamtenebene mit Tunesien geben, informierte der EU-Ratsvorsitzende.
Künftige strategische EU-Ausrichtung zur Sicherheit
Erreicht hat der österreichische Vorsitz außerdem Schlussfolgerungen zur künftigen strategischen
Ausrichtung der EU im Bereich innere Sicherheit. Diese wurden beim Rat am 6. Dezember 2018 in Brüssel angenommen.
"Darauf aufbauend muss eine integrierte Strategie der inneren Sicherheit entwickelt werden, unter Berücksichtigung
aller relevanten Themen wie Kriminalität, Extremismus und Terrorismus, digitale Sicherheit oder Asyl und Migration",
sagte Minister Kickl. In den Ratsschlussfolgerungen werde jedenfalls festgehalten, dass ein integrierter und holistischer
Ansatz erforderlich sei sowie ein enges Zusammenwirken aller beteiligten Akteure in der EU und ihren Mitgliedsstaaten.
"Damit folgt die Union genau unserem Modell des Wiener Prozesses", bewertete das der EU-Ratsvorsitzende.
"Wiener Prozess" als Erfolgsgeheimnis und Beispiel
In ihrer Erklärung vom 6. Dezember 2018 nehmen die Innenminister auf den von Österreich initiierten "Wiener
Prozess" Bezug. Sie betonen damit die Bedeutung dieses und anderer informeller Diskussionsformate für
die künftige strategische Ausrichtung im Bereich innere Sicherheit. Österreich hat diesbezüglich
schon deutlich vor der Präsidentschaft eine Reihe früherer und künftiger EU-Ratsvorsitze, die EU-Kommission
und Vertreter anderer EU-Einrichtungen in einen breiten Diskussionsprozess eingebunden. Dabei wurden Schlüsselherausforderungen
sowie Handlungsoptionen bis 2020/2025 erörtert. Durch die breiten, vertieften Diskussionen mit externen Expertinnen
und Experten im "Wiener Prozess" konnten grundlegende Themen wie die Bekämpfung des Antisemitismus
entsprechend aufbereitet und teilweise schon unter österreichischem EU-Vorsitz erfolgreich zum Abschluss gebracht
werden.
"Wiener Programm" Grundlage für weitere Arbeiten
"Im Wiener Prozess haben wir uns mit früheren und künftigen Präsidentschaften auf die Vision
einer möglichst bürgernahen, krisenfesten und zukunftsfähigen EU-Sicherheitsunion geeinigt",
erläuterte der Innenminister. Darauf werde man nach dem EU-Vorsitz engagiert weiter hinarbeiten. Der österreichische
Vorsitz habe als Grundlage dafür eine ganze Reihe von Zukunftsdokumenten während seines Ratsvorsitzes
erarbeitet und im so genannten "Wiener Programm" zusammengefasst. "Dieses habe ich bereits meiner
rumänischen Nachfolgerin Ministerin Carmen Daniela Dan übergeben, und wir freuen uns auf die künftigen
Arbeiten mit Rumänien und weiteren EU-Vorsitzen", sagte Kickl.
Österreich hat auch Lösungsansatz zu Dublin erarbeitet
Als Vorsitz bemühe man sich seit Juli 2018 auch um einen Ausweg aus dem Dublin-Dilemma. Dabei habe man unterschiedliche
Ideen ausgelotet und weiter entwickelt. "Beim letzten Rat im Dezember konnte ich nun das Ergebnis präsentieren
und einen neuen Denkansatz vorschlagen, um die Spaltung der EU im Asylbereich zu überwinden", sagte der
EU-Ratsvorsitzende. Dafür müsse man das Thema Solidarität breiter definieren. Dieses dürfe
nicht auf die Verteilung von Migranten beschränkt werden, um die Interessen aller EU-Staaten berücksichtigen
zu können. Demnach könnte es künftig dreifache Solidarität geben, erstens bereits im Umfeld
belasteter EU-Staaten, zweitens an den EU-Außengrenzen und drittens im internen Bereich. "Mit einem
solchen pro-aktiven Zugang würde auch das Dublin-Problem kleiner und leichter lösbar", erläuterte
der Minister.
Mechanismus für Verantwortung und Solidarität
Er habe deshalb beim Rat im Dezember fünf Punkte vorgeschlagen: Einen Mechanismus für Verantwortung und
Solidarität, die Erarbeitung regionaler Solidaritätspläne, ein permanentes Migrations-Monitoring,
die Verpflichtung der Mitgliedsstatten zu proaktiven und reaktiven Solidaritätsmaßnahmen im externen
Bereich, an den EU-Außengrenzen und im internen Bereich sowie schließlich die Verständigung darauf,
dass alle Maßnahmen zwei Zielen dienen müssen: "Erstens der präventiven Verringerung von irregulärem
Migrationsdruck auf EU-Staaten, aber auch Drittstaaten, und zweitens der echten Entlastung von EU-Staaten in Krisensituationen",
erklärte Kickl. Auf Expertenebene sei diesbezüglich eine breite Liste von Solidaritätsmaßnahmen
diskutiert worden.
Chance auf Überwindung der Teilung Europas
Natürlich stünden manche solchen neuen Ansätzen skeptisch gegenüber, und es seien dabei noch
Fragen zu klären. "Ich weiß aber auch, dass es Offenheit dafür aus unterschiedlichen Lagern
der EU gibt. Was uns über Jahre quasi in Ost und West, Nord und Süd getrennt hat, können wir überwinden,
wenn das politisch gewollt ist", sagte der EU-Ratsvorsitzende.
EU vor dem Europäischen Rat am Scheideweg
Vor dem kommenden Europäischen Rat am 13. und 14. Dezember 2018 stehe die EU allerdings am Scheideweg. Die
Frage sei, ob Deutschland und Frankreich dort weiter auf einen Konsens aller EU-Länder hinwirken werden. "Dafür
müssen die Interessen jener mitbedacht werden, die gegen verpflichtende Verteilung sind", betonte Kickl.
Eine allfällige Rückkehr zu diesem gescheiterten Konzept würde die europäische Spaltung vertiefen.
"Außerdem können Zwangsmaßnahmen in der Praxis nicht funktionieren", sagte der Minister.
Zwischenbilanz kann sich mehr als sehen lassen
"Unsere Zwischenbilanz kann sich mehr als sehen lassen", betonte der EU-Ratsvorsitzende. Österreich
werde auch in den verbleibenden Wochen seines Vorsitzes intensiv an den verschiedenen Dossiers weiter arbeiten.
Das betreffe etwa die laufenden Verhandlungen zu den Themen Außengrenzschutz, Asylpolitik, Rückkehrrichtlinie
oder Katastrophenschutz. Die endgültige Bilanz wird – nach genauerer Analyse – im Jänner gelegt, verbunden
mit einem Ausblick auf die europäischen und internationalen Arbeiten im kommenden Jahr. "Wir werden dabei
vor allem auch über unsere bevorstehende Präsidentschaft im Forum Salzburg im zweiten Halbjahr 2019 informieren",
sagte der Innenminister.
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