Brüssel (ec) - Laut der neuesten Antisemitismus-Umfrage der EU-Agentur für Grundrechte haben neun
von zehn europäischen Juden den Eindruck, dass der Antisemitismus in den letzten fünf Jahren zugenommen
hat. 41 Prozent der in Deutschland lebenden Juden wurden im vergangenen Jahr mindestens einmal belästigt,
mehr als in allen anderen EU-Ländern (EU-Durchschnitt: 28 Prozent). „Ich bin zutiefst betroffen über
die Zunahme des Antisemitismus, die im Bericht der Agentur für Grundrechte aufgezeigt wird“, so der Erste
Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans. „Wir müssen gegen diese Geißel energisch und gemeinsam
vorgehen. Die jüdische Gemeinschaft muss sich in Europa sicher und zu Hause fühlen können. Wenn
uns das nicht gelingt, ist Europa nicht mehr Europa.“
Die Europäische Kommission beauftragte die Agentur der EU für Grundrechte mit der Durchführung einer
Erhebung über die Antisemitismus-Erfahrungen der jüdischen Gemeinschaft. Mit über 16 300 Teilnehmern
in den 12 Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich,
Polen, Schweden, Spanien, Ungarn und Vereinigtes Königreich), in denen 96 Prozent der europäischen Juden
leben, ist dies die größte Umfrage ihrer Art.
Die Ergebnisse der neuesten Antisemitismus-Umfrage der EU-Agentur für Grundrechte sind äußerst
besorgniserregend: Für 85 Prozent der europäischen Juden ist der Antisemitismus das größte
soziale oder politische Problem in ihrem Heimatland, in Deutschland sehen das 85 Prozent ebenso.
Andere Zahlen belegen unter anderem, dass Antisemitismus weitverbreitet ist und sich in der gesamten EU auf das
tägliche Leben der europäischen Juden auswirkt:
- Nach Ansicht von 89 Prozent der Juden ist der Antisemitismus
im Internet und den sozialen Medien am problematischsten. In Deutschland sind es ebenfalls 89 Prozent.
- 28 Prozent der Umfrageteilnehmer wurden im vergangenen Jahr
mindestens einmal belästigt. In Deutschland waren 41 Prozent.
- 79 Prozent der Juden, die in den letzten fünf Jahren
Opfer antisemitischer Belästigungen wurden, haben keine Anzeige bei der Polizei oder einer anderen Organisation
erstattet. In Deutschland las diese Zahl auch bei 79 Prozent.
- 38 Prozent haben eine Auswanderung in Erwägung gezogen,
da sie sich als Juden in Europa nicht sicher fühlten. In Deutschland waren es 44 Prozent.
Vera Jourová, EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung, erklärte:„70 Jahre
nach dem Holocaust macht es mich sehr traurig, dass der Antisemitismus nach der Ansicht von neun von zehn Juden
in Europa in den letzten fünf Jahren zugenommen hat. Die jüdische Gemeinschaft sollte sich in Europa
zu Hause und sicher fühlen, egal ob auf dem Weg zur Synagoge oder beim Surfen im Internet. Die Kommission
kämpft gemeinsam mit den Mitgliedstaaten gegen die Zunahme des Antisemitismus und gegen Holocaust-Leugnung.
Sie setzt sich dafür ein, dass jüdische Mitbürger die volle Unterstützung der Behörden
erhalten, damit sie sicher leben können.“
Die Ergebnisse der Umfrage bestätigen, wie wichtig die Arbeit ist, die die Europäische Kommission geleistet
hat und weiter leistet, um dem Antisemitismus entgegenzuwirken.
Antwort der Kommission auf den Antisemitismus
Als Reaktion auf die Zunahme des Antisemitismus hatte die Kommission 2015 eine Koordinatorin für die Bekämpfung
des Antisemitismus ernannt. Sie soll den Kontakt zu den jüdischen Gemeinschaften pflegen und die Zusammenarbeit
mit Organisationen stärken, die auf diesem Gebiet tätig sind.
Wie die am 10. Dezember präsentierte Studie zeigt, ist der Anstieg des Antisemitismus in Europa im Internet
besonders besorgniserregend. Die Kommission geht dagegen seit 2016 intensiv mithilfe des Verhaltenskodex gegen
Hetze im Internet vor. Führende IT-Unternehmen (Twitter, YouTube, Facebook und Microsoft) haben vereinbart,
Inhalte, die ihnen als Hetze gemeldet werden, binnen 24 Stunden zu überprüfen und wenn nötig zu
entfernen. Im Laufe des Jahres 2018 schlossen sich auch Google+, Snapchat und Dailymotion dem Verhaltenskodex an.
Die Ergebnisse dieser Maßnahmen werden Anfang des nächsten Jahres erneut bewertet. Kürzlich schlug
die Kommission auch Vorschriften vor, die sicherstellen sollen, dass terroristische Inhalte binnen einer Stunde
nach Ergehen einer Entfernungsanordnung der zuständigen nationalen Behörden aus dem Netz gelöscht
werden.
Im Juni 2016 richtete die Europäische Kommission außerdem die hochrangige EU-Gruppe zur Bekämpfung
von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und anderen Formen der Intoleranz ein, um die Zusammenarbeit und die Koordinierung
zu intensivieren und um Hassverbrechen und Hetze besser zu verhindern und zu bekämpfen. In ihr sind alle 28
Mitgliedstaaten sowie internationale und zivilgesellschaftliche Organisationen vertreten. Die Kommission ist bestrebt
durch dieses Netzwerk die Meldungslücke bei solchen Delikten durch bessere Standards für die Erfassung
von Hassverbrechen zu schließen.
Die Internationale Allianz für Holocaust-Gedenken, der 25 EU-Länder angehören, verabschiedete 2016
eine Antisemitismusdefinition, die zur Grundlage unserer Arbeit geworden ist. Am 29. November 2018 erhielt die
EU den Status der Permanenten Internationalen Partnerschaft in der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken.
Die Beteiligung der EU an diesem internationalen Gremium wird eine engere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung
von Holocaust-Leugnung und der Verhinderung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus ermöglichen.
Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger der EU ist jedoch zuerst zuallererst eine Aufgabe der Mitgliedstaaten
selbst. Hierzu sei darauf hingewiesen, dass am 6. Dezember 2018 alle EU-Länder einstimmig eine „Erklärung
zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Entwicklung eines gemeinsamen Sicherheitskonzepts für einen
besseren Schutz jüdischer Gemeinschaften und Einrichtungen in Europa“ verabschiedet haben. Damit haben sie
deutlich signalisiert, dass die EU und ihre sämtlichen Mitgliedstaaten den jüdischen Gemeinschaften zur
Seite stehen, um ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten sind zudem aufgerufen,
die Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken als Orientierungshilfe heranzuziehen.
Dies wäre ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung des Antisemitismus.
Hintergrund
Anlässlich des Internationalen Tages der Menschenrechte wird Kommissarin Jourová heute Nachmittag das
Ergebnis der Umfrage auf einer Veranstaltung im Rat vorstellen, auf der Vertreter jüdischer Gemeinschaften
und Organisationen, politische Entscheidungsträger der Mitgliedstaaten sowie Vertreter der Zivilgesellschaft,
der Medien und Experten für die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung zusammenkommen. Im Anschluss
an die Vorstellung der Umfrageergebnisse findet eine Podiumsdiskussion mit Vertretern der jüdischen Gemeinschaft
aus den EU-Institutionen.
|