Der gemeinsame Vorfahre von Mensch und Weißbüscheläffchen besaß höchst
wahrscheinlich bereits die Sensibilität für zusammenhängende Töne
Wien (universität) - Beim Sprechen und Musizieren hängen die einzelnen Worte und Noten voneinander
ab. Menschen können diese Zusammenhänge, das heißt die strukturellen Abhängigkeiten, ausgezeichnet
wahrnehmen. Der evolutive Ursprung dieser Fähigkeit ist noch weitgehend ungeklärt. KognitionsbiologInnen
der Universität Wien haben nun Playbackexperimente mit Weißbüscheläffchen durchgeführt
und herausgefunden, dass die Sensibilität für strukturelle Abhängigkeiten bereits im gemeinsamen
Vorfahren von Weißbüscheläffchen und Menschen existiert haben könnte. Die Ergebnisse der Studie
erschienen kürzlich im Fachmagazin "Evolution and Human Behavior".
Alle Affenarten, Menschen und ihre Verwandten, produzieren eine Vielzahl an Lauten. Jedoch nur Menschen besitzen
Sprache und Musik. Diese Fähigkeiten verlangen nach der Sensibilität für strukturelle Abhängigkeiten.
Menschen erwarten, dass ein Satz ein Nomen und das zugehörige Verb enthält und dass eine Melodie aus
aufeinander abgestimmten Tönen besteht. Ist diese "Abhängigkeits-Sensibilität" ebenfalls
exklusiv menschlich oder existiert sie auch in anderen Primaten? Um diese Frage zu beantworten, haben Stephan Reber
und Vedrana Šlipogor mit KollegInnen vom Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien das Verhalten
von Weißbüscheläffchen untersucht. Diese Art gehört zu den Neuweltaffen, die sich vor über
30 Millionen Jahren von den Altweltaffen (inklusive Menschen) abgespalten haben.
Die ForscherInnen spielten den Äffchen Sequenzen aus Pieptönen vor, die mit einem tiefen Ton begannen
und endeten – dazwischen fand sich eine variable Anzahl von hohen Tönen. Die tiefen Töne stellten die
Abhängigkeit dar und genau wie in Sprache oder Musik war die Distanz zwischen diesen Elementen unterschiedlich
lang. Nachdem die Weißbüscheläffchen hunderte dieser Sequenzen gehört hatten, wurden ihnen
einzeln zwei neuartige Playbackkategorien vorgespielt: Sequenzen mit dem gleichen Aufbau wie zuvor (auch solche
mit einer anderen als der vertrauten Anzahl von hohen Tönen zwischen den beiden tiefen) und Sequenzen bei
denen der erste oder der letzte tiefe Ton fehlte. Bei Letzteren fehlte die strukturelle Abhängigkeit.
Die ForscherInnen überprüften, ob die Äffchen je nach abgespielter Kategorie unterschiedlich oft
zum Lautsprecher hinschauten. Dabei benutzen sie eine spezielle Software, kreiert von Co-Autor Jinook Oh, die die
Kopfbewegungen der Äffchen automatisch verfolgen konnte. Das neuartige Verfahren sorgte für eine nie
dagewesene Präzision bei Verhaltensaufzeichnung. "Wahrscheinlich ist der Unterschied zwischen den Sequenzen
mit und ohne strukturelle Abhängigkeiten von geringer Bedeutung für unsere Weißbüscheläffchen.
Deshalb haben wir ein Verfahren entwickelt, das selbst die kleinsten Kopfbewegungen aufzeichnen kann", erklärt
Reber.
So stellte sich heraus: die Äffchen unterschieden tatsächlich zwischen den Playbacks. Sie drehten sich
häufiger zum Lautsprecher um, wenn sie Sequenzen mit den Abhängigkeiten hörten. "Das war überraschend,
weil Primaten in solchen Experimenten normalerweise stärker auf unerwartete Reize reagieren. Eine Präferenz
für vertraute Sequenzen wird allerdings häufig in Studien an Kleinkindern beobachtet", so Šlipogor.
Der Nachweis einer solchen "Abhängigkeits-Sensibilität" suggeriert, dass dieser wichtige Aspekt
der Sprache bereits im gemeinsamen Vorfahren von Alt- und Neuweltaffen, von Weißbüscheläffchen
und Menschen, existiert hat.
Publikation in "Evolution and Human Behavior"
Reber S. A., Šlipogor V., Oh J., Ravignani A., Hoeschele M., Bugnyar T.,
Fitch W. T. (2018)
"Common marmosets are sensitive to simple dependencies at variable distances in an artificial grammar".
Evolution and Human Behavior.
DOI: https://doi.org/10.1016/j.evolhumbehav.2018.11.006
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