Flüssigkeitsübergang im Zebrafischembryo für die Entwicklung notwendig - Studie
in Nature Cell Biology veröffentlicht
Klosterneuburg (ist) - Zebrafische sind nicht nur von Flüssigkeit umgeben, sondern werden während
ihrer Entwicklung teilweise flüssig. Während sich der Zebrafischembryo von einem Zell-Ball zu einem voll
ausgebildeten Fisch entwickelt, wechselt ein Bereich des Embryos von viskos zu flüssig. Dieser Prozess wird
als Fluiditätsübergang bezeichnet. Es wird seit langem spekuliert, ob ein solcher Übergang in lebenden
Organismen existiert. Eine heute in Nature Cell Biology erschienene Studie beschreibt zum ersten Mal einen Fluiditätsübergang
in einem Lebewesen. Die Studie wurde von der Gruppe von Carl-Philipp Heisenberg am Institute of Science and Technology
Austria, mit Erstautorin und Postdoc Nicoletta Petridou, und zusammen mit der Gruppe von Guillaume Salbreux am
Francis Crick Institute und Edouard Hannezo, ebenfalls am IST Austria, durchgeführt.
Zebrafische eignen sich besonders gut für die Untersuchung der Entwicklung von Tieren, da ihre Embryonen transparent
sind und sich außerhalb der Mutter entwickeln. Zu Beginn der Zebrafisch-Entwicklung breitet sich eine Gewebeschicht,
das so genannte Blastoderm, über das Dotter aus. Das Blastoderm ändert dabei seine Form und bildet eine
Kuppel, daher wird dieser Prozess als "Doming" bezeichnet (abgeleitet vom Englischen „dome“ für
Kuppel). In der vorliegenden Studie untersuchten Petridou et al. die mechanischen Kräfte, die während
dieser Formänderung wirken. Indem sie durch eine Pipette Druck auf das embryonale Gewebe ausübten und
maßen, wie schnell es sich verformt, konnten die Forscher ableiten, wie viskos oder flüssig das Gewebe
ist: Gewebe, das sich langsam verformt, ist viskoser als Gewebe, das sich schnell verformt. Tests zu mehreren Zeitpunkten
in verschiedenen Regionen des sich entwickelnden Embryos zeigten, dass das Gewebe während des Doming zu einem
sehr bestimmten Zeitpunkt und nur in einer Geweberegion plötzlich flüssig wird. „Ein solcher Fluiditätsübergang
wurde von Theorie und Modellen vorhergesagt, aber hier zeigen wir zum ersten Mal, dass er in einem echten, lebenden
Organismus stattfindet", sagt Erstautorin Nicoletta Petridou.
Durch Teilung getrennt
Warum und wie wird Zebrafischgewebe flüssig? Im "normalen" viskosen Gewebe stehen die Zellen in
engem Kontakt miteinander. Die AutorInnen fanden heraus, dass der Fluiditätsübergang stattfindet, weil
sich die Zellen während der Entwicklung immer weiter teilen. Während der Teilung werden die Zellen rund
und lösen sich von ihren Nachbarn. Je mehr sich die Zellen teilen, desto mehr Verbindungen gehen zwischen
ihnen verloren. Schließlich verlieren sie so viele Kontakte, dass das Gewebe flüssig wird. „Das ist
eine mechanische und keine biochemische Veränderung", erklärt Petridou, „Der Embryo ist programmiert,
sich zu teilen, er kann ihm nicht entkommen."
Alle Zellen im Embryo teilen sich jedoch, und die ForscherInnen beobachteten, dass nur eine sehr spezifische Region
des Gewebes, die zentrale Region des Blastoderms, flüssig wird. Daher suchten sie nach einem Vorgang, der
andere Bereiche des Embryos daran hindern würde, flüssig zu werden. Ein bestimmter Signalweg, der nicht-kanonische
Wnt-Signalweg, stoppte die Fluiditätsänderung an den Rändern des Embryos, sagt Petridou. „Nichtkanonische
Wnt-Signalwege halten die Zellen in Verbindung und ermöglichen es dem Rand des Embryos, die Verflüssigung
zu umgehen. Wir denken, dass der Default des Gewebes der ist, flüssig zu werden, aber die Signale verhindern
es in bestimmten Bereichen."
Eine plötzliche Veränderung
Wenn der Fluiditätsübergang schief geht - entweder weil die Forscher die Wnt-Signalisierung stoppten,
so dass alle Bereiche des Blastoderm flüssig werden, oder weil sie die Fluidisierung im gesamten Blastoderm
hemmten - ist das Doming beeinträchtigt und die frühe Entwicklung des Embryos schreitet langsamer voran.
„Unsere Studie zeigt, dass regulierte Veränderungen der Gewebematerialeigenschaften eine wichtige und bedeutende
Rolle in der Morphogenese spielen", fasst Petridou zusammen. Aber die AutorInnenen könnten auch erste
Anzeichen für ein bekanntes physikalisches Konzept in einem lebenden Organismus gefunden haben. Der sehr plötzliche
Übergang von viskos zu flüssig im Blastoderm ähnelt einem bekannten physikalischen Konzept, dem
Phasenübergang. „Phasenübergänge, wie z.B. beim Kochen von Wasser, treten plötzlich auf. Wir
bezeichneten das bei Zebrafischen beobachtete Phänomen als "Fluiditätsübergang", da wir
nicht sicher sind, ob es sich tatsächlich um einen Phasenübergang im wahrsten Sinne der Physik handelt",
erklärt Petridou, „aber wir arbeiten weiter daran zu definieren, ob es sich um einen Phasenübergang handelt.
Phasenübergänge können in molekularen Netzwerken auftreten, aber wir wissen noch nicht, ob sie in
einem Gewebe oder in einem Embryo vorkommen können."
Originalpublikation:
'Fluidization-mediated tissue spreading by mitotic cell rounding and non-canonical
Wnt signalling', Nicoletta I. Petridou, Silvia Grigolon, Guillaume Salbreux, Edouard Hannezo, and Carl-Philipp
Heisenberg. DOI: 10.1038/s41556-018-0247-4. https://www.nature.com/articles/s41556-018-0247-4
Über das IST Austria
Das Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg ist ein Forschungsinstitut mit eigenem
Promotionsrecht. Das 2009 eröffnete Institut widmet sich der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften,
Mathematik und Informatik. Das Institut beschäftigt ProfessorInnen nach einem Tenure-Track-Modell und Post-DoktorandInnen
sowie PhD StudentInnen in einer internationalen Graduate School. Neben dem Bekenntnis zum Prinzip der Grundlagenforschung,
die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, hält das Institut die Rechte an allen resultierenden
Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Der erste Präsident ist Thomas Henzinger, ein renommierter
Computerwissenschaftler und vormals Professor an der University of California in Berkeley, USA, und der EPFL in
Lausanne.
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