Wien (med-uni) - Metallhaltige Chemotherapien werden aufgrund ihrer stark tumorabtötenden Wirkung häufig
in der Krebstherapie eingesetzt. Wegen der zytotoxischen (zellschädigenden) Wirkung auch gegen sich teilende
gesunde Zellen, wurde bisher eher eine Schädigung des Immunsystems angenommen. Der von der Universität
Wien gemeinsam mit der MedUni Wien aufgebaute Forschungscluster „Translational Cancer Therapy Research“ belegt
nun in einem wissenschaftlichen Übersichtsartikel („Review“) das Gegenteil: Metall-Chemotherapien können
die Immunantwort gegen Krebs und somit Immuntherapien sogar verstärken, unter anderem weil sie die Krebszellen
„sichtbarer“ machen und hemmende Immunkomponenten eliminieren. Der Artikel erschien in „Chemical Reviews“, dem
wichtigsten wissenschaftlichen Chemie-Journal mit einem Impact-Faktor von 52.613 und damit auf Platz vier aller
Wissenschaftsjournale weltweit.
Der interuniversitäre Forschungscluster „Translational Cancer Therapy Research“ beleuchtet- in seinem Review
alle Arbeiten (in Summe über 1.300 wissenschaftliche Artikel), die sich mit der Interaktion zwischen dem Immunsystem
und metallhaltigen Chemotherapien befassen. Neben Publikationen der vergangenen rund 30 Jahre diskutieren Hauptautor
Walter Berger von der MedUni Wien und seine KollegInnen auch neue Aspekte und erstellen eine umfassende Bestandsaufnahme.
Kombinationstherapien sind die Zukunft
Walter Berger, stellvertretender Leiter des Instituts für Krebsforschung der MedUni Wien, Mitglied des Comprehensive
Cancer Center (CCC) der MedUni Wien und des AKH Wien und einer der beiden Leiter des interuniversitären Forschungsclusters:
„Wir sind, auch international gesehen, einer der wenigen translationalen Forschungscluster, in dem ExpertInnen
für Synthesechemie, zell- und molekularbiologische GrundlagenforscherInnen und klinische OnkologInnen unmittelbar
zusammenarbeiten, um neue Krebstherapien zu entwickeln. Daher wurden wir auch eingeladen, diesen Review zu erstellen.
Das Ergebnis zeigt klar, dass die Kombination von metallhaltigen Chemotherapien und Immuntherapien zu den vielversprechendsten
Therapiekonzepten der Gegenwart und Zukunft gehört.“
Synergieeffekte
Die Erklärung hinter dieser Erkenntnis: Jeder Krebserkrankung geht ein langer Kampf des Immunsystems mit den
potentiellen Krebszellen voraus, den das Immunsystem schließlich verliert. Grund dafür ist, dass es
dem Tumor gelingt, entweder generell nicht als fremd erkannt zu werden oder die Immunzellen zu kontrollieren und
ruhig zu stellen. Metall-Chemotherapien zerstören nun nicht nur Tumorzellen, sondern bevorzugt auch die gleichsam
„ausgebrannten“ oder hemmenden Komponenten des Immunsystems. Als Reaktion darauf erneuert sich das Immunsystem
aus Stammzellen, wodurch es quasi verjüngt und funktionstüchtig den Kampf gegen den Krebs wieder aufnimmt.
Daher erhöht die metallhaltige Chemotherapie auch die Wirkung von Immuncheckpoint-Inhibitoren. Der Grund:
Tumorzellen gehen aus Körperzellen hervor. Das Immunsystem ist darauf trainiert, körpereigene Zellen
zu verschonen, und kann Tumorzellen daher nur schwer bis gar nicht erkennen. Metallhaltige Chemotherapien töten
nun die Tumorzellen ab, die sich im Prozess des Zerfalls verändern. Diese Andersartigkeit macht sie für
das Immunsystem wieder sicht- und angreifbar, ein Mechanismus der als „immunogener Zelltod“ bezeichnet wird. Parallel
dazu „versuchen“ die Tumorzellen auch auf Basis erhöhter Mutationsrate der Wirkung des Chemotherapeutikums
zu entgehen. Jede der so entstehenden neuen Mutationen hat aber das Potential vom verjüngten Immunsystem besser
erkannt zu werden. Somit scheinen chemoresistente Tumorzellklone vom Immunsystem bevorzugt angegriffen zu werden.
International sichtbar
Der interuniversitäre Forschungscluster „Translational Cancer Therapy Research“ gilt mittlerweile auch international
als Vorbild für eine translationale Kooperation zwischen Chemie und Krebsforschung sowie Onkologie. Bernhard
Keppler, Vorstand des Instituts für Anorganische Chemie, Dekan der Fakultät für Chemie der Universität
Wien und einer der beiden Leiter des Clusters: „Die Fakultät für Chemie der Universität Wien hat
einen starken Fokus im Bereich der Biologischen Chemie, der die Entwicklung neuer Strategien für zielgerichtete
Tumortherapeutika mit einschließt - von ihrer klinischen Synthese über molekularbiologische Charakterisierung
bis zur klinischen Anwendung. In diesem Zusammenhang spielen die Kooperationen mit der Medizinischen Universität
Wien eine herausragende Rolle. Wir können so durch geeignete Tiermodelle unsere Untersuchung an Zellkulturen
und Sphäroiden, also kugelförmigen Tumorzellaggregaten, erweitern sowie Aussagen über Resistenzentwicklung
und Nebenwirkungen treffen, die für die spätere klinische Entwicklung sehr wichtig sind. Erste Studien
am Patienten, die bisher zu einem großen Teil in den USA durchgeführt wurden, wollen wir künftig
verstärkt in Zusammenarbeit mit den klinischen OnkologInnen der Medizinischen Universität Wien realisieren.“
Der Forschungscluster berichtete im vergangenen Jahr unter anderem im Rahmen einer ganzen Vortragsreihe bei der
renommierten Gordon-Konferenz in Boston, USA über seine Arbeit, wo er auch als Vorzeigemodell für eine
translationale, multidisziplinäre Krebstherapieforschung gewürdigt wurde.
Zentrum für Präzisionsmedizin (ZPM)
Kombinationstherapien zählen zu den Therapiekonzepten der personalisierten bzw. Präzisionsmedizin. Das
ist der wichtigste Trend der Medizin des 21. Jahrhunderts. Dementsprechend wird ab 2022 ein Zentrum für Präzisionsmedizin
(zpm) am Medizinischen Universitätscampus AKH Wien errichtet.
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