Muskeln können nach Hand-Amputation durch Nerventransfers umfunktioniert werden
Wien (med-uni) - Die heutigen Prothesen ermöglichen PatientInnen nach Hand-Amputationen große
Fortschritte im Alltagsleben im Vergleich zu früheren prothetischen Rekonstruktionsverfahren. Der Körper
kann mit der Prothese durch einen chirurgischen Nerventransfer besser verbunden werden, wobei funktionslos gewordene
Nerven der amputierten Extremität verlegt werden. Dieses Verfahren hat sich bewährt, aber bisher war
nicht geklärt, in welchen Details der Erfolg liegt. Ein Forschungsteam um Konstantin Bergmeister und Oskar
Aszmann von der Abteilung für plastische und rekonstruktive Chirurgie sowie vom Christian Doppler Labor für
Wiederherstellung der Extremitätenfunktionen der MedUni Wien konnte im Tiermodell nachweisen, dass die Ursache
für den Erfolg in einem Identitätswechsel des Muskels durch den Spendernerv liegt.
Bionische Prothesen werden gedanklich gesteuert, indem sie die Aktivierung verbliebener Muskeln im Extremitätenstumpf
registrieren. Theoretisch wäre es möglich, mit den Prothesen allerneuester Generation ähnlich viele
Bewegungen wie mit der gesunden menschlichen Hand durchzuführen. Allerdings ist die Anbindung zwischen Mensch
und Prothese bisher noch nicht in der Lage, alle mechanisch möglichen Funktionen zu steuern, weil die Schnittstelle
zwischen Mensch und Prothese in ihrer Übertragung limitiert ist. „Wenn dieses Problem gelöst ist, könnte
mithilfe neuester Prothesen tatsächlich ein intuitiv wirkender Extremitätenersatz realisiert werden,
der wie die menschliche Hand funktioniert“, betonen die Forscher.
Damit eine Bewegung der Prothesen überhaupt möglich ist, werden während der Amputation chirurgische
Nerventransfers eingesetzt, um die Gesamtanzahl der Muskel-Steuersignale zu erhöhen. Amputierte periphere
Nerven werden dabei mit verbliebenen Muskeln im Amputationsstumpf neu verbunden. Diese Methode gilt als sehr erfolgreich,
weil die betroffenen Muskeln nach einigen Monaten regenerieren und zur besseren Steuerung der Prothese dienen.
Ungeklärt war bisher allerdings, welche Veränderungen diese Nerventransfers im Detail auf Muskeln und
Nerven haben.
Bisher unbekannte, neurophysiologische Effekte entdeckt
Ein Forschungsteam um Konstantin Bergmeister und Oskar Aszmann von der Abteilung für plastische und rekonstruktive
Chirurgie (Leiterin: Christine Radtke) sowie des Christian Doppler Labors für Wiederherstellung der Extremitätenfunktion
der MedUni Wien konnte in einer mehrjährigen experimentellen Studie nun zeigen, dass es durch die Anwendung
dieser Nerventransfers zu bisher unbekannten neurophysiologischen Effekten kommt. Diese ermöglichen eine präzisere
Muskelkontraktilität und führen zu Muskelsignalen, die viel feiner steuerbar sind, als bisher vermutet.
Außerdem zeigte sich, dass die Muskeln die Identität der Spendernerven annehmen, also die Funktion jenes
Muskels übernehmen, woher der Nerv ursprünglich stammt. Das bedeutet, dass die Muskeln in genau der Weise
änderbar sind, um die erwünschte Steuerleistung der verlorenen Extremität zu erzielen. Um die chirurgische
Technik der Nerventransfers weiter zu verbessern und Steuersysteme präziser auf die feinen Signale abzustimmen,
sollen diese Informationen in Folgestudien genützt werden. Die Vision einer intuitiv gesteuerten Prothese,
die alle Funktionen der Hand ersetzen kann, könnte in den nächsten Jahren Realität werden.
Die Studie, die nun im Top-Journal Science Advances publiziert wurde, wurde als internationales Kooperationsprojekt
mit dem Imperial College of London sowie Kooperationspartnern an der MedUni Wien durchgeführt. Eine Förderung
erfolgte durch den ERC Advanced Grant DEMOVE (D.F. contract #: 267888) und von der Christian Doppler Forschungsgesellschaft
des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft.
Studie: “Peripheral nerve transfers
change target muscle structure and function.” K. D. Bergmeister, M. Aman, S. Muceli, I. Vujaklija, K. Manzano-Szalai,
E. Unger, R. A. Byrne, C. Scheinecker, O. Riedl, S. Salminger, F. Frommlet, G. H. Borschel, D. Farina, O. C. Aszmann,
Sci. Adv. 5, eaau2956 (2019). http://advances.sciencemag.org/content/5/1/eaau2956.
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