Bundespräsident: "Ich hoffe, dass 2019
 ein gutes Jahr werden wird"

 

erstellt am
09. 01. 19
13:00 MEZ

Wien (hofburg) - Die Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich des Neujahrsempfangs für das Diplomatische Corps (im Wortlaut):

Sehr geehrte Frau Botschafterin Kothbauer-Liechtenstein,

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Kneissl, Exzellenzen, meine Damen und Herren!

Ich freue mich, Sie heute zum Neujahrsempfang begrüßen zu dürfen.

Ich danke Ihnen, sehr geehrte Frau Botschafterin des Fürstentums Liechtenstein, für die herzlichen Neujahrswünsche, die Sie namens des Diplomatischen Corps überbracht haben.

EU-Ratspräsidentschaft
Das abgelaufene Jahr 2018 war von komplexen geopolitischen Entwicklungen und EU-internen Spannungen geprägt. Vor diesem Hintergrund war die EU-Ratspräsidentschaft für Österreich eine große Herausforderung.

Zwei besonders anspruchsvolle Themen für den österreichischen Ratsvorsitz waren der Abschluss der Brexit-Verhandlungen und die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU für den Zeitraum 2021-2027.

In diesen, aber auch in zahlreichen anderen komplexen Dossiers hat sich der österreichische Ratsvorsitz bemüht, als neutraler Vermittler zu agieren und die Verhandlungen so weit wie möglich voranzubringen.

Wir haben unser Bestes gegeben, um der neuen Trio-Präsidentschaft – Rumänien, Finnland und Kroatien – ein wohlbestalltes Haus zu übergeben.

Ich wünsche Rumänien alles Gute für ihre verantwortungsvolle Aufgabe.


Europäische Union
2019 ist ein wichtiges Jahr für die Europäische Union.

Sechs Wochen nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union werden die EU-Führungsspitzen im rumänischen Sibiu zusammentreffen.

Dort werden sie eine neue strategische Agenda beraten, die die Richtung für die Arbeit der EU in den kommenden fünf Jahren vorgibt. Kurz danach, vom 23. – 26. Mai, werden die Wahlen zum Europäischen Parlament abgehalten werden.

Es folgen der Startschuss für die nächste europäische Gesetzgebungsperiode und die Bildung der neuen EU-Kommission.

Die jüngsten Umfragen in der EU und in Österreich zeigen eine klare Trendwende in der öffentlichen Meinung: Das Vertrauen in die EU und der Optimismus sind europaweit im letzten Jahr deutlich gestiegen.

Es ist wichtig, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen!

Wahl zum Europäischen Parlament
Die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai werden mitentscheiden, ob die die Mitgliedsstaaten in Richtung Nationalismus geht und sich damit schwächen, oder ob die EU sich in Richtung „Weltpolitikfähigkeit“ bewegt, wie der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker das nennt. Und das ist dringend notwendig.

Westbalkan
Einen hohen Stellenwert im Rahmen unseres Vorsitzes nahm unser Engagement für die EU-Beitrittskandidaten Südosteuropas ein.

Österreich ist mit diesem Raum historisch, wirtschaftlich und kulturell eng verbunden.

Wir sind überzeugt, dass die europäische Familie erst mit der vollen Einbeziehung der Staaten des Westbalkans komplett ist.

Die EU-Erweiterung ist ein Werkzeug europäischer Friedenspolitik und ein wichtiger Motor für Reformen in der Region.

Österreich versteht sich – bilateral und innerhalb der EU – als aktiver Partner aller sechs Beitrittswerber und wird sich auch 2019 dafür einsetzen, dass die Erweiterungsperspektive für die Staaten Südosteuropas erreichbar bleibt.

Östliche Nachbarn - Ukraine
Ein weiteres wichtiges Anliegen für Österreich sind die Beziehungen mit den östlichen Nachbarn der EU. In der Ukraine stehen 2019 mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wichtige Weichenstellungen an.

Gleichzeitig wird die Fortsetzung des Reformprozesses eine Priorität bleiben müssen, um die Abwehrfähigkeit gegen externe Bedrohungen sowie die Sicherheit und Stabilität des Landes zu stärken und den wachsenden Wohlstand zu fördern.

Wir müssen leider davon ausgehen, dass die nun bereits fast fünf Jahre andauernde Krise in und um die Ukraine 2019 uns weiterhin beschäftigen wird. Dabei ist das Leid der Zivilbevölkerung besonders bedauernswert.

Mein Appell ergeht daher an alle Konfliktparteien, im Rahmen der bestehenden Formate ernsthaft auf eine friedliche und gesichtswahrende Konfliktlösung hinzuarbeiten und von gegenseitigen Provokationen Abstand zu nehmen.

Österreich bekennt sich zum dualen Ansatz der EU-Politik gegenüber Russland. Parallel dazu bleibt der konstruktive Dialog mit Russland wichtig. Die Lösung einer Reihe von regionalen und globalen Problemen ist nur mit Russland möglich.

Südliche Nachbarschaft
Die Stabilisierung der durch das Mittelmeer mit Europa verbundenen südlichen Nachbarschaft ist für die EU eine wichtige außenpolitische Herausforderung.

Ich freue mich daher über Fortschritte in unseren Beziehungen und positive Entwicklungen, wie etwa in Tunesien oder auch im Libanon, den ich kürzlich besucht habe.

Ich hoffe, dass nach einem konfliktreichen Jahr für Libyen die Nationale Konferenz im Frühjahr 2019 wegweisende Schritte für die Zukunft des Landes in Richtung auf einen friedlichen Ausgleich, eine neue Verfassung und Wahlen setzen kann.

Syrien
Auch für Syrien muss es Hoffnung geben, auch die, dass der angekündigte Abzug der US-Truppen nicht zu neuer Instabilität oder gar Kampfhandlungen führt.

Ein wenig optimistisch stimmen die Fortschritte im von den VN geführten Prozess zur Bildung eines Verfassungsausschusses, auch wenn sie klein sind.

Israel / Palästina
Meine Damen und Herren, ich werde demnächst Israel und Palästina besuchen, um mir auch persönlich ein Bild machen zu können. Es ist ein Besuch, der mir aufgrund der jahrhundertelangen Beziehungen zu dieser Region, aber natürlich auch wegen der Vergangenheit unseres Landes persönlich sehr wichtig ist.

Iran
Bezüglich Iran möchte ich anmerken, dass es von größter Wichtigkeit ist, das Nuklearübereinkommen JCPOA zu erhalten.

Es geht um die Einhaltung von internationalen Standards und um nukleare Abrüstung. Das JCPOA ist eine Errungenschaft des gemeinsamen Dialogs auf Augenhöhe. Und über ein Dutzend Überprüfungen haben gezeigt, dass der Iran sich an die Vereinbarungen hält.

Jemen
Der Jemen-Konflikt, eine schreckliche humanitäre Katastrophe, kann nicht mit Waffengewalt gelöst werden.

Das Erarbeiten einer gemeinsamen Lösung durch Einbeziehung aller Konfliktparteien ist der Schlüssel zur Beendigung dieses schrecklichen Blutvergießens.

Asien
Um den aktuellen geopolitischen Veränderungen Rechnung zu tragen richtet Österreichs Außenpolitik seit einiger Zeit ein verstärktes Augenmerk auf Asien.

Ich selbst habe 2018 China einen interessanten und erfolgreichen Besuch abgestattet – begleitet von Bundeskanzler Kurz und vier Regierungsmitgliedern sowie einer großen Delegation aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.

Die neue Konnektivitätsstrategie der EU bildet eine ausgezeichnete Grundlage für eine neue Dynamik zwischen Österreich und Asien.

Afrika
Österreich ist bilateral und als Mitglied der EU an der Gestaltung der Beziehungen zu Afrika aktiv beteiligt.

Die aktuellen Probleme wie humanitäre Krisen, Fragen zur Entwicklungszusammenarbeit, Fragen des Klimaschutzes sowie der Migration bedürfen einer multilateralen Antwort. Afrika und Europa sind in dieser Hinsicht Partner.

Die Neue Afrika-Europa-Allianz, die im vergangenen Jahr beschlossen wurde, soll nachhaltige Investitionen in großem Umfang fördern und dringend benötigte Arbeitsplätze für junge Menschen in Afrika schaffen.

Ein wichtiger österreichischer Beitrag zur neuen „Allianz“ war die Durchführung eines hochrangigen Forums EU-Afrika am 18.Dezember 2018 in Wien, auf Einladung von Bundeskanzler Kurz und des ruandischen Präsidenten Paul Kagame.

 

 

Lateinamerika und karibische Staaten
2018 konnten auch die Beziehungen Österreichs mit lateinamerikanischen und karibischen Staaten weiter vertieft werden;

dies vor allem dank hochrangiger Besuche in Wien aus Kolumbien, Panama, Honduras und Costa-Rica sowie zahlreicher Gespräche am Rande internationaler Konferenzen.

Zu Beginn der österreichischen Präsidentschaft fand etwa das Treffen der EU mit der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten statt unter dem Motto: „Building Bridges and strengthening our partnership to face global challenges“.

USA
2018 feierten wir 180 Jahre diplomatische Beziehungen mit den USA. Und so war dieses Jahr wieder durch eine hohe Anzahl offizieller Besuche gekennzeichnet: So reisten etwa Nationalratspräsident Sobotka, und etliche Regierungsmitglieder nach Washington. Wir arbeiten aktiv daran, unsere Zusammenarbeit auch im nächsten Jahr weiterzuentwickeln.

Multilateralismus
Ich mache mir Sorgen, dass die multilaterale Architektur mit den Vereinten Nationen in ihrem Zentrum zunehmend unter Druck gerät.

Nationalismus, Unilateralismus, Abwenden von universellen Rechtsnormen und der Ausstieg aus multilateralen Vereinbarungen sowie gleichzeitig das finanzielle Ausbluten internationaler Institutionen setzen dem multilateralen System massiv zu.

Dabei ist es doch genau dieses System, dem wir einen Großteil unseres Friedens und Wohlstands verdanken.

Menschenrechte
Meine Damen und Herren, Das konsequente Eintreten Österreichs für Menschenrechte zeigt sich besonders beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, wo wir seit heuer Mitglied sind.

Dies erlaubt uns, unsere langjährigen außenpolitischen Schwerpunkte im Menschenrechtsbereich, wie der Kampf gegen die Todesstrafe und für den Schutz bedrohter Menschen und Minderheiten, fortzusetzen und die Förderung rechtsstaatlicher Strukturen zu unterstützen.

Österreich setzt sich, gemeinsam mit dem Internationalen Strafgerichtshof, gegen Straflosigkeit bei schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts ein.

Abrüstungsinitiativen
Humanitäre Beweggründe sind seit jeher auch der Motor österreichischer Abrüstungsinitiativen. Atomwaffen stellen für alle Staaten eine existenzielle Bedrohung dar, da ihre katastrophalen humanitären Folgen keine Grenzen kennen.

Ich bin stolz, dass Österreich aktiv am Kernwaffenverbotsvertrag mitgewirkt hat, der nun auch die letzte Kategorie von Massenvernichtungswaffen verbietet und ein essentieller Schritt für eine atomwaffenfreie Welt ist.

Klimawandel
Lassen Sie mich zum Schluss ein Thema erwähnen, das mir besonders am Herzen liegt: die Erderhitzung.

Die Wissenschaft ist sich einig: Ohne umgehende Trendwende wird der Klimawandel fortschreiten.

Daher habe ich im Vorfeld der Weltklimakonferenz in Katowice eine Klimainitiative lanciert, der sich fast 20 europäische Staats- und Regierungschefs angeschlossen haben.

Bei der Weltklimakonferenz in Katowice ist dann ein erster wichtiger Schritt zur Umsetzung des Pariser Klima-Übereinkommens gelungen.

Zeit zum Ausruhen besteht jedoch nicht.

UN-Generalsekretär António Guterres hat Recht, wenn er sagt, es sei unsere Pflicht, mehr zu tun. Genau darum muss es 2019 gehen: Wir müssen unsere Anstrengungen intensivieren.

Alle Menschen dieser Erde, egal ob sie in Österreich, Brasilien oder den USA leben, leben und atmen in derselben Atmosphäre.

Klimaschädliche Emissionen machen nicht an nationalen Grenzen halt. Das bedeutet: Wir können die Klimakrise nur gemeinsam lösen. Nationale Antworten greifen bei der Klimafrage viel zu kurz.

Alle Staaten dieser Erde müssen ihre nationalen Klimaschutzziele verschärfen, das gilt auch für Europa, das gilt auch für Österreich.

Nur so können wir die Erderhitzung noch eingrenzen und unsere Erde lebenswert erhalten.

Der Austrian World Summit, der im Mai wieder in Wien stattfinden wird, soll dazu beitragen.

Sehr geehrte Frau Außenministerin,

Exzellenzen,

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich möchte mit diesem Appell zu verantwortungsvollem Handeln abschließen. Ich hoffe, dass 2019 auch in diesem Sinne ein gutes Jahr werden wird.

Ich wünsche Ihnen allen, Ihren Familien und den von Ihnen vertretenen Staaten ein erfolgreiches und friedvolles 2019!

Danke.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.bundespraesident.at

 

 

 

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