Brüssel (ec) - Die Kommission hat am 15. Jänner die Debatte über die Reform des Beschlussfassungsverfahrens
in der EU-Steuerpolitik angestoßen. Gegenwärtig müssen die Mitgliedstaaten in diesem Bereich einstimmig
beschließen. Oftmals kann jedoch bei wichtigen Steuerinitiativen keine Einstimmigkeit erzielt werden, und
wenn doch, führt sie mitunter zu kostspieligen Verzögerungen und suboptimalen politischen Ergebnissen.
„Unsere zunehmend globalisierten Volkswirtschaften sind auf moderne und ehrgeizige Steuersysteme angewiesen“, erklärte
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. „Ich bin weiterhin nachdrücklich dafür, bei künftigen
Fragen der Besteuerung in unserer Union zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit überzugehen und dem
Europäischen Parlament eine stärkere Stimme zu geben.“
In der nun veröffentlichten Mitteilung schlägt die Kommission einen Fahrplan vor, um in bestimmten Bereichen
der gemeinschaftlichen Steuerpolitik schrittweise und gezielt zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit
(BQM) im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens überzugehen, wie es bereits in den meisten anderen
Politikbereichen der EU üblich ist. Diese Möglichkeit ist in den EU-Verträgen vorgesehen.
Bei der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit wären die Mitgliedstaaten in der Lage, schnellere, wirksamere
und demokratischere Kompromisse in Steuerangelegenheiten zu finden, sodass das volle Potenzial dieses Politikbereichs
ausgeschöpft würde. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren würde darüber hinaus sicherstellen,
dass das Europäische Parlament einen konkreten Beitrag zu steuerpolitischen Beschlüssen leisten könnte,
wodurch die Ansichten der Bürger besser vertreten und die Rechenschaftspflicht erhöht würde.
Die Kommission schlägt nicht vor, die Zuständigkeiten der EU im Bereich der Besteuerung zu ändern
oder das Recht der Mitgliedstaaten, nach eigenem Ermessen Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuersätze
festzulegen, anzutasten. Vielmehr geht es darum, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, auf effizientere
Weise ihre bereits gebündelte Steuerhoheit auszuüben, um auf diese Weise schneller auf gemeinsame Herausforderungen
reagieren zu können.
Kommissionspräsident Juncker hatte sich in seiner letzten Reden zur Lage der Union für einen Übergang
zur qualifizierten Mehrheit in Steuerangelegenheiten ausgesprochen. Der Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten,
Steuern und Zoll, Pierre Moscovici, fügte seinerseits hinzu: „Seit der Entstehung der Gemeinschaft vor 60
Jahren ist die EU auf dem Gebiet der Steuerpolitik tätig. Während in den 1950er Jahren die Einstimmigkeit
in diesem Bereich mit sechs Mitgliedstaaten noch sinnvoll war, so ist dies heute nicht mehr der Fall. Die Einstimmigkeitsregel
im Steuerbereich erscheint zunehmend als politisch anachronistisch, rechtlich problematisch und wirtschaftlich
kontraproduktiv. Ich bin mir vollkommen darüber im Klaren, wie heikel dieses Thema ist, aber deswegen dürfen
wir die Diskussion nicht tabuisieren. Lassen Sie uns daher heute diese Debatte eröffnen.“
Das Einstimmigkeitsprinzip hat dazu geführt, dass einige wichtige Vorschläge für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit
und Steuergerechtigkeit im Binnenmarkt seit Jahren festgefahren sind. Hinzu kommt, dass das demokratisch gewählte
Europäische Parlament in diesem Beschlussfassungsverfahren bislang nur eine beratende Funktion hat.
Der vorgelegte Ansatz würde eine neue Dynamik in der EU-Steuerpolitik entfachen und die Beschlussfassung in
diesem Bereich in einer Zeit neu beleben, in der die Zukunft der Steuerpolitik für die internationale Gemeinschaft
zu einem brennenden Thema geworden ist. Die Behebung der mit dem derzeitigen Rechtsrahmen verbundenen Schwierigkeiten
würde den Ruf der EU als weltweit führende Kraft, wenn es um realistische Lösungen für die
steuerpolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts geht, festigen.
In der vorgelegten Mitteilung fordert die Kommission die Staats- und Regierungschefs der EU, das Europäische
Parlament und sonstige Akteure auf, zu prüfen, ob ein allmählicher, in vier Schritten erfolgender Übergang
zu einem Beschlussfassungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit möglich ist. Dieser könnte wie folgt
aussehen:
- In einem ersten Schritt würden sich die Mitgliedstaaten
darauf einigen, bei Maßnahmen, die die Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung zwischen den Mitgliedstaaten
bei der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung verbessern, sowie bei verwaltungsrechtlichen Initiativen
zugunsten von Unternehmen in der EU (z. B. harmonisierte Meldepflichten) zur Beschlussfassung mit qualifizierter
Mehrheit überzugehen (Schritt 1). Diese Maßnahmen werden in der Regel von allen Mitgliedstaaten begrüßt,
sie werden jedoch aus Gründen, die nichts mit der Steuerpolitik zu tun haben, oftmals blockiert.
- In gleicher Weise sollte in einem zweiten Schritt die Beschlussfassung
mit qualifizierter Mehrheit als nützliches Instrument für die Durchführung von steuerpolitischen
Maßnahmen eingesetzt werden, die anderen politischen Zielen zugutekommen, z. B. der Bekämpfung des Klimawandels,
dem Umweltschutz oder der Verbesserung der öffentlichen Gesundheit (Schritt 2).
In der vorgelegten Mitteilung wird vorgeschlagen, dass sich die Mitgliedstaaten rasch auf einen Beschluss zur Ausgestaltung
der Schritte 1 und 2 einigen.
- In einem dritten Schritt soll der Rückgriff auf die
Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit dazu beitragen, die Modernisierung bereits harmonisierter EU-Vorschriften,
etwa im Bereich des Mehrwertsteuer- oder Verbrauchsteuerrechts, voranzubringen (Schritt 3). Durch eine raschere
Beschlussfassung in diesen Bereichen könnten die Mitgliedstaaten besser auf technologische Entwicklungen und
Marktveränderungen reagieren, was sowohl den EU-Ländern als auch den Unternehmen zugutekäme.
- In einem vierten Schritt würde auch bei großen
Steuerprojekten wie der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) zur Beschlussfassung
mit qualifizierter Mehrheit übergegangen und ein neues System zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft eingeführt
werden (Schritt 4). Beide Maßnahmen müssten dringend umgesetzt werden, um eine faire und wettbewerbsfähige
Besteuerung in der EU zu garantieren. So kommt insbesondere die GKKB aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips weiterhin
nur sehr langsam voran.
In der vorgelegten Mitteilung wird vorgeschlagen, dass die Mitgliedstaaten die Schritte 3 und 4 gegebenenfalls
bis Ende 2025 ausgestalten.
Die Maßnahmen in den genannten Bereichen wären im Rahmen der sogenannten „Überleitungsklausel“
(Artikel 48 Absatz 7 EUV) möglich, wonach unter bestimmten Umständen ein Übergang zur Beschlussfassung
mit qualifizierter Mehrheit und zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren möglich ist. Eine Änderung des
EU-Vertrags ist hierfür nicht notwendig.
Nächste Schritte
Die Kommission fordert nun die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament und alle Interessenträger auf,
in einen konstruktiven Dialog über die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit in der Steuerpolitik der
EU einzutreten und zeitnah einen pragmatischen Ansatz für eine entsprechende Umsetzung auszuarbeiten.
Insbesondere sind die Staats- und Regierungschefs der EU aufgefordert, den vorgelegten Fahrplan zu billigen und
zeitnah Beschlüsse über die Anwendung der in den Verträgen festgelegten einschlägigen Rechtsvorschriften
zu effen.
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