„Nicht zulassen, dass über einzelne oder Gruppen der Stab gebrochen wird“
Wien (epdÖ) – Der neue Wiener evangelische Superintendent Matthias Geist ist am 27. Jänner
in der Lutherischen Stadtkirche in der Wiener Innenstadt feierlich in sein Amt eingeführt worden. Bei der
Amtseinführung durch den evangelisch-lutherischen Bischof Michael Bünker sprach der 49-jährige Pfarrer
und bisherige Wiener Gefängnisseelsorger Geist von einem „Christus, der diese Welt verbindet und versöhnt“,
mit dem sein christlicher Glaube beginne. Mit Engagement und Zivilcourage Hetze und Vorurteilen entgegenzutreten
sei wichtig, so Geist in dem live auf ORF III übertragenen Gottesdienst. „Die Kultur der Ächtung in unserem
Land und der Schuldzuweisung im Kleinen beobachte ich seit langem mit großer Sorge. Ich möchte es nicht
zulassen, dass über einzelne oder Gruppen der Stab gebrochen wird oder jemand einfach abgestempelt wird.“
Unter den Festgästen fanden sich prominente Vertreterinnen und Vertreter aus Kirchen und Religionsgemeinschaften.
Neben den Mitgliedern der evangelischen Kirchenleitung und den Superintendenten der einzelnen Diözesen feierten
seitens der römisch-katholischen Kirche in der vollen Stadtkirche der Wiener Weihbischof Franz Scharl und
Bischofsvikar Dariusz Schutzki mit ebenso wie der evangelisch-reformierte Landessuperintendent und Vorsitzende
des Ökumenischen Rats der Kirchen in Österreich, Thomas Hennefeld, der evangelisch-methodistische Superintendent
Stefan Schröckenfuchs aber auch Vertreter der Islamischen Glaubensgemeinschaft, der Buddhisten und der Bahá’í.
Geist: Vertrauen geben und Vertrauen stärken
In seiner Predigt sprach der neue Superintendent auch davon, in der Diözese Wien „einiges wagen“ zu wollen:
„Mein Wagnis ist ganz einfach. Aber es ist nicht gewöhnlich oder gar gemütlich“. Er stehe für eine
„seelsorgerliche Kirche, die nach außen strahlt“. Es gelte neue Seelsorgeräume zu entdecken, „beim eifrigen
Häuslbauer und bei dem dabei Gescheiterten, bei den alleingelassenen Kindern und den Familien-Geplagten“.
Aufgabe der Evangelischen Kirche sei es, „Vertrauen zu geben und Vertrauen zu stärken“, sagte Geist.
Bünker: Kirche ist Heimat und Aufbruch
Bischof Michael Bünker betonte in seiner Einführungsansprache gegenüber Geist dessen besondere Rolle
als Superintendent in der „einzigen Millionenstadt Österreichs“. In Wien „erfüllen sich die größten
Träume, passieren die traurigsten Abstürze, in Wien entstehen die schönsten Ideen, aber auch manche
Albträume, Sehnsüchte werden erfüllt und zerbrochen“. In der Großstadt fühlten sich die
Menschen beheimatet und fremd zugleich. Das träfe auch auf die Kirche zu: Sie sei Heimat und Aufbruch zum
Neuen. „Aber – und das macht den Unterschied – in der Kirche wissen wir durch den Glauben, dass die spannungsvolle
Dynamik umfangen ist und umfangen bleibt von Gottes bedingungslosem Ja, von seiner Treue zum Werk seiner Hände.“
Udo Jesionek, langjähriger Präsident des Jugendgerichtshofes, erinnerte im Anschluss an den Gottesdienst
daran, dass Geist als Gefängnisseelsorger „unendlich viel erlebt hat, das er jetzt hinaustragen kann“. Oberstaatsanwältin
Karin Dotter-Schiller, viele Jahre zuständig für die Agenden der Gefängnisseelsorge und den Kontakt
zur evangelischen Kirchenleitung, würdigte Geists Verdienste in den Wiener Justizanstalten aber auch in Österreich
und auf internationaler Ebene. Synodenpräsident Peter Krömer, selbst Rechtsanwalt, gab seiner Hoffnung
Ausdruck, „dass der neue Superintendent sich in Wien dafür einsetzen wird, die Aufgabe der Resozialisierung
in der Gemeindediakonie wieder zu verstärken“. Heinz Vettermann, Wiener Gemeinderat, überbrachte in Vertretung
von Bürgermeister Michael Ludwig Glückwünsche der Stadtregierung und verwies auf die gute Zusammenarbeit
von Stadt und Religionsgemeinschaften beim Projekt „Campus der Religionen“, das er als „Symbol des Gemeinsamen“
bezeichnete. Martin Fischer, zuständig für die Evangelischen Kirchen im Bundeskanzleramt, sprach vom
„Kitt“, den die Glaubensgemeinschaften und Kirchen für die Gesellschaft böten, und der in den letzten
Jahren „immer bunter“ geworden sei.
Für die islamische Glaubensgemeinschaft gratulierte deren Präsident Ümit Vural, die Muslime hätten
„Geist bereits in seiner Tätigkeit als Gefängnisseelsorger zu schätzen gelernt“. Die muslimische
Schulamtsleiterin Carla Amina Baghajati meinte, die Freundschaft zu Geist sei „nicht nur in Zeiten des schönen
Wetters aktiv, sondern auch, wenn es ernst wird“. An Geist werde ein Stück weit sichtbar, „wie es ist, wenn
sich Gerechtigkeit und Liebe küssen“. Thule Jug, Vertreter der Buddhistischen Religionsgemeinschaft, wünschte
Geist viel Geduld, auch wenn er „nie alle zufriedenstellen“ können werde. Anja Spengler, Referentin für
Öffentlichkeitsarbeit der Bahá’í Religionsgemeinschaft Österreich, zeigte sich in Anspielung
auf Geists sportlichen Hintergrund als Läufer überzeugt, dass er ein „ordentliches geistliches Training“
mit auf den Weg nehme, um die an ihn gestellten Aufgaben erfüllen zu können.
Bei der Amtseinführung wirkten die Wiener Pfarrerin Ines Knoll, der Innsbrucker Pfarrer Werner Geißelbrecht
und Superintendentialkuratorin Petra Mandl mit. Segensworte und Gebete sprachen WegbegleiterInnen und mehrere VertreterInnen
kirchlicher Arbeitsbereiche und der Ökumene.
Für die musikalische Gestaltung des Gottesdienstes verantwortlich zeichneten der Chor „Collegium Vocale Wien“
unter Holger Kristen, Diözesankantorin Yasuko Yamamoto und Erzsébet Windhager-Geréd an der Orgel,
Sonja Equiluz an der Klarinette und The Young Lutheran Brass Vienna. Die Gesprächsrunden mit den Grußworten
moderierte die Wiener Theologin und Journalistin Astrid Schweighofer.
Der 1969 in Salzburg geborene Matthias Geist war im vergangenen Juni zum Nachfolger von Hansjörg Lein als
evangelischer Superintendent der Wiener Diözese gewählt worden. Ab 2001 war Geist Gefängnisseelsorger
in den vier Justizanstalten und zwei Polizeianhaltezentren Wiens, seit Anfang Dezember ist er offiziell Superintendent.
In Wien leben etwa 47.000 Evangelische. In Österreich ist die Wiener Diözese damit zahlenmäßig
die drittgrößte nach Oberösterreich (48.500) und Kärnten (47.600).
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