Gedenkveranstaltung zu Ehren der Menschen, vor allem der Frauen, im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
und der Opfer des Holocausts
Wien (pk) - "Den Opfern des Holocausts wollen wir ihre menschliche Würde wiedergeben und gegen
Hass und Antisemitismus gemeinsam unsere Stimme erheben", sagte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka,
der am 23. Jänner anlässlich des "Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocausts"
in die Wiener Börsensäle zu einer Gedenk- und Erinnerungsveranstaltung eingeladen hatte. Insbesondere
wurde der Frauen gedacht, die in Österreich während der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand leisteten.
In diesem Zusammenhang erinnerte der Präsident des Nationalrats auch an die Einführung des Frauenwahlrechts
vor 100 Jahren. Im Sinne politischer Partizipation hätten insbesondere Frauen aus unterschiedlichen Haltungen
heraus – mit politischem, religiösem oder mitmenschlichem Engagement für die Verfolgten – Widerstand
geleistet. "Mit Mut, Menschlichkeit und Moral standen sie dafür ein. Heute ist es unser aller Auftrag,
ihren Opfern und Taten gerecht zu werden", sagte Sobotka.
Claudia Prutscher: "Gedenken muss der Zukunft dienen"
Durch eine tiefgründige, auch persönliche Erzählung forderte die Vizepräsidentin der Israelitischen
Kultusgemeinde, Claudia Prutscher, zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus auf. Sie erinnerte an die
Ermordung von sechs Millionen Juden. Würde man eine Schweigeminute für jedes der Opfer abhalten, wäre
es elf Jahre lang still, gab sie zu bedenken. "Gedenken muss der Zukunft dienen", sagte Prutscher. "Deshalb
ist der Kampf gegen Hass und Ausgrenzung das erste Gebot, das sich aus dem Holocaust ableitet." Sie hob die
Bedeutung der Bewusstseinsbildung und Aufarbeitung – insbesondere bei Jugendlichen – hervor und appellierte, die
Stimme gegen jegliche Form von Diskriminierung zu erheben. "Wir alle sollten Antisemitismus-Beauftragte sein",
meinte sie.
"Die Shoah hat nicht in den Gaskammern begonnen", hob Claudia Prutscher hervor. Deshalb sei der Kampf
gegen Hass und Ausgrenzung das "erste Gebot, das sich aus dem Holocaust-Gedenken ableitet". Schließlich
könne nur, wer die Geschichte kenne, Lehren daraus ziehen. Auf Geschichtsunterricht allein zu setzen, sei
zu wenig. Qualität und Empathie würden darüber entscheiden, ob Bewusstsein geschaffen werde.
"Nicht alle waren Mittäterinnen, aber viele"
Dabei sollte das Thema Prutscher zufolge von verschiedenen Seiten beleuchtet werden – auch der Frauen in der Rolle
als Nationalsozialistinnen. "Nicht alle, aber viele waren Mittäterinnen und Mitläuferinnen im Nationalsozialismus",
sagte Prutscher. Jene Frauen seien nicht die Heldinnen, die von den Alliierten dazu verpflichtet worden seien,
"die Trümmer zu beseitigen, die der Faschismus verursacht hat".
Ilse Korotin: "Geschichte wird immer wieder neu konstruiert"
"Geschichte wird immer wieder neu gedeutet und konstruiert", sagte Ilse Korotin, Leiterin der Dokumentationsstelle
Frauenforschung am Institut für Wissenschaft und Kunst. Daher sei es wichtig, die Geschichte österreichischer
Frauenpersönlichkeiten im Widerstand aufzuarbeiten. Korotin erläuterte das Forschungsprojekt "biografiA",
in dem die Lebensgeschichten von Frauen im NS-Widerstand nachgezeichnet und analysiert werden. Bei Frauen ortete
Korotin nicht selten die Frage nach der "Biografiewürdigkeit". Herausragende Leistungen von Frauen
blieben oft unbekannt, versteckt und unsichtbar.
Christine Kanzler, ebenfalls von der Dokumentationsstelle Frauenforschung am Institut für Wissenschaft und
Kunst, schrieb dieses Problem der Bescheidenheit der Frauen zu. "Sie haben oft wenig Aufhebens um ihre Tätigkeit
im Widerstand gemacht", sagte Kanzler. "Sie haben sie oft sogar heruntergespielt." Als bezeichnend
für diese Haltung führte sie den Titel der Memoiren der Widerstandskämpferin Antonia Bruha an: "Ich
war keine Heldin". Doch die Frauen hätten Mut aufgebracht, Mitmenschlichkeit bewiesen und seien für
ihre Überzeugungen eingestanden.
Kanzler: Vielfältige Frauenrollen im Widerstand
Die Wissenschaftlerin zeigte die Vielfältigkeit der Frauenrollen im Widerstand auf. Sie hätten für
die Verbreitung regimekritischer Schriften gesorgt, Geldmittel gesammelt, Familien Inhaftierter unterstützt
und in "Feldpostbriefen" Frontsoldaten zu beeinflussen versucht. "Frauen haben sich behördlichen
Maßnahmen widersetzt und Menschen mit Behinderungen vor dem Abtransport in die Vernichtungsanstalt Hartheim
bewahrt", erzählte Christine Kanzler. Sie erinnerte daran, dass Frauen auch im bewaffneten Widerstand
aktiv waren und dass sie im Exil gegen das NS-Regime kämpften, etwa in Frankreich und Belgien in der Widerstandsorganisation
"travail allemand".
Nicht zuletzt leisteten viele Frauen Widerstand auf individueller Basis – im "Rettungswiderstand". "Er
wird heute als typisch weibliche Form des Widerstands bewertet", sagte Kanzler. Frauen hätten gegen das
Kontaktverbot mit Zwangsarbeitern verstoßen und ihnen Lebensmittel zugesteckt. Sie hätten jüdischen
Deportationsflüchtlingen zur Flucht verholfen. Selbst in den Gefängnissen und Konzentrationslagern hätten
sie durch scheinbar unspektakuläre Handlungen Leben gerettet.
Den unterschätzten Anteil der Frauen am Kampf gegen den Nationalsozialismus würdigen
"Biografien können zwei grundlegende Funktionen in der Erinnerungskultur erfüllen", erklärte
Ilse Korotin. "Jene der Gedächtnisbildung und jene der Gedächtnisreflexion." Im Projekt "biografiA"
werden Widerstandskämpferinnen datenmäßig erfasst und ihre Biografien dokumentiert. Auch die von
Kanzler angesprochenen "scheinbar unspektakulären Handlungen" werden festgehalten. "Es geht
darum, diesen teils vergessenen, jedenfalls aber unterschätzten Anteil der Frauen am Kampf gegen den Nationalsozialismus
und die Diktatur zu würdigen", hob Ilse Korotin hervor. "Wir wollen dem weiblichen Widerstand einen
Namen geben."
Korotin wies auf Rosa Jochmann hin, die nach 1945 als Nationalratsabgeordnete immer wieder dazu aufrief, "niemals
zu vergessen". Korotin zeigte anhand der Ärztin und Auschwitz-Überlebenden Ella Lingens auf, wie
schwierig es Frauen oft hatten, ihre Leistungen im Widerstand darzustellen. "Juden zu verstecken, das ist
eine private Angelegenheit, das ist nicht Widerstand", hätten die Behörden Ella Lingens beschieden,
nachdem sie um Anerkennung als Opfer und um Entschädigung angesucht hatte. "Da hab' ich dann berufen,
und dann haben sie mir's doch gegeben", berichtete Lingens später in einem Interview. "Erst 1972
ist ein einigermaßen umfassendes Opferfürsorgegesetz geschaffen worden", erläuterte Ilse Korotin.
Auch Christine Kanzler betonte: "Der Widerstand von Frauen ist erst Jahrzehnte nach der Befreiung Österreichs
in seiner Bedeutung erfasst worden."
Ilse Korotin hob die politische Wachsamkeit "als Auftrag" hervor. Diesen hätten Frauen im Widerstand
als Zeitzeuginnen beharrlich verfolgt. "Zugleich sind sie als Mahnerinnen gegen ein Wiederaufleben nationalsozialistischer
Tendenzen aufgetreten", unterstrich Christine Kanzler. Die Überlebende Lotte Brainin etwa habe 1997 Fremdenhass,
Antisemetismus und bürokratische Hürden für Flüchtlinge aus Krisengebieten aufgezeigt.
"Hassrhetorik" in der Mitte der Gesellschaft
Auch Christine Kanzler kritisierte: "Mehr als zwanzig Jahre nach der Mahnung von Lotte Brainin erscheint uns
ihr Befund alarmierend zugespitzt, von der gesellschaftlichen Realität in vielen Teilen Europas sogar überholt."
Menschen würden abgewertet, verunglimpft und ausgegrenzt – allein aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder sozialen
Klasse. "Hassrhetorik" sei in die Mitte der Gesellschaft gerückt. "Auf der anderen Seite wird
humanitäres Engagement – selbst namhafter Institutionen – diskreditiert und sogar der Kriminalisierung ausgesetzt",
sagte Kanzler. Das Wissen der Frauen im Widerstand solle dazu genützt werden, "um den Blick für
aktuelle Bedrohungen unserer Demokratie und der Menschenrechte zu schärfen und dagegenzuhalten".
Unter dem Titel "… den Vormarsch dieses Regimes einen Millimeter aufgehalten zu haben …" las Schauspielerin
Ursula Strauss aus Lebenserinnerungen im Widerstand kämpfender Frauen. Karin Nusko, wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Institut für Wissenschaft und Kunst gab Informationen zu den Biografien der Autorinnen. Darbietungen von
Pianistin Sabina Hasanova und Sängerin Ethel Merhaut untermalten die Veranstaltung in musikalischer Hinsicht.
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