Kardinal nach Aufsehen erregendem Gespräch mit Vergewaltigungsopfer und Ex-Nonne Doris
Wagner in Bayerischem Rundfunk: Berichterstattung über vermeintliches "Outing" als Missbrauchsopfer
"hat mich nicht wenig geärgert"
Wien (kap) - Kardinal Christoph Schönborn hat nach seinem Aufsehen erregenden Gespräch im Bayerischen
Rundfunk (BR) mit der ehemaligen Nonne Doris Wagner, die über ihre Vergewaltigung durch einen Priester ein
Buch schrieb, eine Klarstellung veröffentlicht: Der in eine 45-Minuten-TV-Sendung komprimierte, nicht moderierte
vierstündige Austausch sei ein "für uns beide intensives, respektvolles und wirklich in die Tiefe
gehendes Gespräch" und für ihn "eine kostbare Erfahrung" gewesen, sagte Schönborn
in einem auf der Website der Erzdiözese Wien veröffentlichten Interview mit dem Titel "Das Opfer
bin nicht ich". Die Berichterstattung über die BR-Sendung jedoch "hat mich nicht wenig geärgert",
so Schönborn. "Manche Schlagzeilen haben so getan, als hätte ich mich als Missbrauchsopfer geoutet."
Der Wiener Erzbischof nahm dabei Bezug auf eine Episode aus seiner Jugend, die er Doris Wagner in dem Gespräch
(und in der am 6. Februar ausgestrahlten TV-Sendung) erzählte: Ein Priester habe ihm verbal einen Kuss angetragen.
Dies sei "sicher eine Grenzverletzung" gewesen, "und so etwas kann der Ausgangspunkt von Missbrauch
sein". Aber ihn deswegen ein Opfer zu nennen, wie dies in manchen Schlagzeilen über sein vermeintliches
"Outing" zu lesen war, sei bloße "Sensationshascherei", wie Schönborn anmerkte.
Er selber könne sich wegen dieser Begebenheit nicht als Opfer bezeichnen. "Das ist den wirklichen Opfern
gegenüber ungerecht." Den vielen, denen wirklich Leid angetan wurde, "muss man zuhören, sie
ernst nehmen", betonte der Kardinal.
Er habe diese Grenzüberschreitung des sonst von ihm "sehr geschätzten Priesters" im Kontext
eines Blickes in die Vergangenheit erzählt, so Schönborn, "als Illustration für den in den
50er Jahren noch viel verkrampfteren Umgang mit der Sexualität". Damals habe es eine "exzessive
Konzentration der kirchlichen Morallehre und der Seelsorge auf Sexualität" gegeben - unter Vernachlässigung
etwa der sozialen Gebote des Evangeliums. "Die Fixierung auf sexuelle Themen betrachte ich als missbrauchsfördernd",
erklärte der Kardinal im Interview mit dem Webportal der Erzdiözese Wien.
Schönborn berichtete dabei auch, wie das nun in vielen Medien rezipierte Gespräch zustandekam: Er hatte
schon vor mehreren Jahren von Doris Wagner gehört und "mit großer Anteilnahme" ihr Buch über
ihre Missbrauchserlebnisse ("Nicht mehr ich. Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau", edition a,
Wien 2014) gelesen, und er kenne auch ihre frühere Ordensgemeinschaft "Das Werk" seit Jahrzehnten.
Er habe von sich aus die heute 34-jährige deutsche Theologin kontaktiert und gefragt, "ob sie es für
sinnvoll hielte, dass wir einmal auch öffentlich miteinander sprechen". Wagner stimmte zu und schlug
den Bayerischen Rundfunk als Setting für ein solches Gespräch vor, "das zugleich sehr persönlich
und sehr grundsätzlich sein sollte". Dort seien alle Beteiligten sensibel mit diesem Versuch umgegangen,
auch der davor vereinbarte Zusammenschnitt auf eine 45-Minuten-Sendung sei für ihn gelungen gewesen, lobte
Schönborn: "Von meiner Seite kann ich mich ganz in der Sendung wiederfinden."
Auf die Frage, ob es angesichts der absehbaren "medialen Zuspitzung" nicht angebrachter gewesen wäre,
das Gespräch abseits von TV-Kameras zu führen, antwortete der Kardinal: "Ich denke, es geht hier
um eine Kulturveränderung." Die Menschen müssten sehen: "Wenn Personen wie Frau Wagner den
Mut finden, über Missbrauch zu sprechen, der ihnen widerfahren ist, werden sie gehört und es wird ihnen
geglaubt." Und sie müssten erfahren, "dass daraufhin auch etwas geschieht, dass es Konsequenzen
gibt", ergänzte Schönborn. Doch der "Kulturwandel des Hinhörens und der Konsequenz"
sei noch nicht abgeschlossen, "vielleicht ist unser Gespräch ein kleiner Anstoß in diese Richtung".
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