Wien (tu) - Bis heute gibt es keine exakte Rechenmethode, um supraleitende Materialien zu beschreiben. An der
TU Wien gelang nun aber ein wichtiger Schritt in diese Richtung und damit auch besseres Verständnis warum
gängige Materialien Supraleitung nur bei ca. -200°C zeigen.
Warum muss es immer so kalt sein? Man kennt heute eine ganze Reihe Materialien, die unter bestimmten Bedingungen
elektrischen Strom völlig ohne Widerstand leiten – dieses Phänomen bezeichnet man als Supraleitung. Doch
all diese Materialien haben ein gemeinsames Problem: Sie werden nur bei extrem niedrigen Temperaturen supraleitend.
Seit vielen Jahren versucht man, theoretische Rechenmodelle zu finden, um diese Tatsache zu beschreiben und zu
verstehen. Ganz gelungen ist das bis heute nicht. Doch an der TU Wien wurde nun eine neue Methode entwickelt, mit
der man die Temperaturabhängigkeit der Supraleitung deutlich besser verstehen kann als bisher.
Viele Teilchen, komplizierte Rechnung
„Eigentlich ist es erstaunlich, dass Supraleitung nur bei extrem tiefen Temperaturen auftritt“, sagt Prof. Karsten
Held vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien. „Wenn man sich die Energie der Elektronen ansieht,
die an der Supraleitung beteiligt sind, würde man eigentlich erwarten, dass Supraleitung auch bei viel höheren
Temperaturen möglich ist.“
Mit seinem Team machte er sich daher auf die Suche nach besseren Methoden, Supraleitung theoretisch zu beschreiben.
Dr. Motoharu Kitatani ist der Erstautor einer neuen Publikation, die nun entscheidende Verbesserungen präsentiert
und ein tieferes Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung ermöglichen soll.
Supraleitung kann man nicht verstehen, indem man sich die Elektronen im Material als kleine Kügelchen vorstellt,
die einer eindeutigen Bahn folgen, wie Kugeln auf dem Billardtisch. Supraleitung lässt sich nur mit den Gesetzen
der Quantenphysik erklären. „Das Problem daran ist, dass viele Teilchen gleichzeitig am Phänomen der
Supraleitung beteiligt sind“, sagt Karsten Held. „Dadurch werden die Berechnungen extrem kompliziert.“
Die einzelnen Elektronen im Material kann man nicht als voneinander unabhängige Objekte betrachten, man muss
sie gemeinsam beschreiben. Und das ist so komplex, dass die Aufgabe selbst mit den größten Computern
der Welt nicht exakt lösbar ist. „Es gibt allerdings verschiedene Näherungsmethoden, die uns helfen,
die komplexen quantenphysikalischen Korrelationen zwischen den Elektronen zu beschreiben“, erklärt Karsten
Held. Eine davon ist die „Dynamical Mean-Field Theory“, die sich besonders gut für Situationen eignet, in
denen die schwer zu berechnenden Quanten-Korrelationen zwischen den Elektronen sehr stark ausgeprägt sind.
Verbesserte Beschreibung der Wechselwirkung
Die Forschungsgruppe an der TU Wien präsentiere nun eine Erweiterung der bestehenden Theorie, die auf einer
neuartigen Berechnung von sogenannten Feynman-Diagrammen beruht. Feynman-Diagramme sind eine Methode, die der Nobelpreisträger
Richard Feynman eingeführt hat, um Wechselwirkungen zwischen Teilchen zu beschreiben. Alle möglichen
Interaktionen – etwa ein Zusammenstoß von Teilchen, aber auch die Neuentstehung oder Absorption von Teilchen
– werden auf wohldefinierte Weise in Diagrammen aufgezeichnet und berechnet.
Feynman dachte dabei an einzelne Teilchen im Vakuum, die Methode lässt sich aber auch für das komplexe
Zusammenspiel der Teilchen in Festkörpern anwenden. Das Problem in der Festkörperphysik ist, dass man
sehr viele Feynman-Diagramme berücksichtigen müsste, weil die Wechselwirkung zwischen den Elektronen
so stark ist. „In einer von Prof. Alessandro Toschi und mir entwickelten Methode bauen wir die Fenyman-Diagramme
jetzt nicht mehr direkt aus Wechselwirkungen zusammen, sondern verwenden einen komplexen, zeitabhängigen Vertex
als Baustein“, erklärt Karsten Held. „Dieser Vertex besteht bereits selbst aus unendlich vielen Feynman-Diagrammen,
kann aber mit viel Aufwand immer noch auf einem Supercomputer berechnet werden.“
Mühevolle Detektivarbeit
Damit entsteht eine erweiterte Form der „Dynamical Mean-Field-Theory“, mit der das komplexe quantenphysikalische
Zusammenspiel der Teilchen in guter Näherung berechnet werden kann. „Das physikalisch Spannende daran ist:
Wir konnten zeigen, dass es genau die Zeitabhängigkeit des Vertex ist, die dazu führt, dass Supraleitung
nur bei tiefen Temperaturen möglich ist.“ Motoharu Kitatani und Prof. Held konnten in mühevoller Detektivarbeit
sogar das konventionelle Feynman-Diagramm identifizieren, das dafür verantwortlich ist, dass die gängigen
Materialien nur bei -200°C und nicht bei Raumtemperatur supraleitend werden.
Gemeinsam mit Experimenten, die derzeit ebenfalls am Institut für Festkörperphysik in der Arbeitsgruppe
von Prof. Barisic durchgeführt werden, soll die neue Methode maßgeblich dazu beizutragen, Supraleitung
besser zu verstehen und somit noch bessere supraleitende Materialien zu entwickeln. Ein Material, das auch bei
Raumtemperatur immer noch supraleitend bleibt, wäre ein gewaltiger Durchbruch, der eine ganze Palette an revolutionären
technologischen Neuerungen ermöglichen würde.
Originalpublikation
M. Kitatani et al., Why the critical temperature of high-Tc cuprate
superconductors is so low: The importance of the dynamical vertex structure, Phys. Rev. B 99, 041115(R) (2019)
https://journals.aps.org/prb/abstract/10.1103/PhysRevB.99.041115
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