Benachteiligungen abbauen, Missstände aufzeigen, bestehende Strukturen hinterfragen und
an Veränderung mitwirken
Innsbruck (lk) - Das Erreichte feiern, aber gleichzeitig die „Baustellen“ in Sachen Gleichstellungspolitik
in Erinnerung rufen – das ist die Intention des Valentina Empfangs, zu dem Frauenlandesrätin Gabriele Fischer
ins Landhaus lud. „Gleichstellung ist dann erreicht, wenn Frauen und Männer gleichermaßen ein wertschätzendes
und vorurteilsfreies Lebens- und speziell auch Arbeitsumfeld vorfinden, wenn es keine geschlechtsbezogenen Diskriminierungen
mehr gibt und die gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter an gesellschaftlichen Ressourcen, Positionen und
Einfluss sichergestellt ist. Trotz der sehr guten rechtlichen Grundlagen zur Frauenförderung und Gleichstellung
in Österreich haben wir die faktische Gleichstellung noch nicht erreicht“, ruft LRin Fischer in Erinnerung.
Kathrin Stainer-Hämmerle, Professorin für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten, wirft
einen Blick zurück und erinnert an Errungenschaften der Frauen- und Gleichstellungspolitik. So wurde unter
anderem vor 100 Jahren das Frauenwahlrecht eingeführt, die Familienrechtsreform 1975 definiert nicht mehr
den Mann als Oberhaupt der Familie und seit 1989 ist Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Die Töchter-Generation
habe, so Stainer-Hämmerle, heute weniger Diskriminierungserfahrungen. Heute entstehe der Eindruck, dass Schlechterstellung
nicht ein strukturelles, sondern ein persönliches Problem ist. Dem sei aber nicht so. Obwohl sich viel verbessert
habe, dürfe dies nicht Anlass zu einem Rückzug in die Gemütlichkeit sein. „Wir brauchen weiterhin
Pionierinnen“, ist Stainer-Hämmerle überzeugt.
Mit der Gleichstellungsstrategie 2018 wurde eine Grundlage geschaffen, die konkrete Handlungsfelder und Maßnahmen
identifiziert, um das Ziel der faktischen Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen.
Aufbrechen der Rollenstereotype
Und woran „hapert“ es? Grundsätzlich haben traditionelle, stereotype Rollen- und Aufgabenzuschreibungen nach
wie vor eine starke Wirkung. Dies zeige sich, so die Frauenlandesrätin, auch in der Aufteilung der Hausarbeit
oder Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen. „Es braucht und gibt inzwischen Maßnahmen,
um Frauen die gleichberechtigte Teilhabe an Erwerbsarbeit zu ermöglichen – so ist die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie ein ganz besonderes Anliegen“, weiß LRin Fischer. Als Grundvoraussetzung dafür wurde in
Tirol ein bedarfsgerechtes, leistbares, qualitätsvolles Kinderbetreuungsangebot geschaffen.
Trotz zunehmender Bildungsbeteiligung ist der Anteil an Pflichtschulabschlüssen als höchster abgeschlossener
Ausbildung bei Frauen nach wie vor fast doppelt so hoch wie bei Männern. In der Wahl der Ausbildung – egal
ob Lehre, höhere Schule oder Studium – zeigt sich immer noch eine stark geschlechterspezifische Segregation:
Mädchen wählen traditionell „weibliche“ – und damit meist schlechter bezahlte –, Burschen traditionell
„männliche“ Ausbildungswege. „Um diesem Trend entgegenzuwirken, setzen wir Maßnahmen rund um eine geschlechtersensible
Berufsorientierung und Berufsinformation. So zum Beispiel den Girls‘ Day, der mit dem Girls‘ Day mini nun auch
an Volksschulen veranstaltet wird, und Boys‘ Day“, so LRin Fischer.
Gewaltschutz und Gewaltprävention sind ebenfalls wichtige Aspekte der Gleichstellungspolitik. „Heute, am Valentinstag,
wurde rund um die Annasäule gegen Gewalt getanzt – die Aktion ‚One Billion Rising‘ ist eine weltweit durchgeführte
Kampagne, die ein Ende der Gewalt gegen Frauen fordert“, berichtet LRin Fischer und verweist auf die Frauen- und
Mädchenberatungsstellen sowie Opferschutzeinrichtungen in Tirol, die hervorragende Arbeit leisten. Auch gebe
es professionelle Angebote zur Männerberatung und zur Täterarbeit. Darüber hinaus wurde seitens
des Landes Tirol die Erstellung eines „Masterplans Gewaltprävention“ in Auftrag gegeben.
Teilhabe in Politik und Gesellschaft
Nicht zuletzt ist der Frauenlandesrätin auch die verstärkte Teilhabe von Frauen in Politik und Gesellschaft
ein wichtiges Anliegen: Frauen sind nach wie vor weder in den Entscheidungs- und Führungspositionen von Erwerbsorganisationen
noch in der Politik im selben Ausmaß wie Männer vertreten. Dort, wo die Politik den Menschen am nächsten
ist – auf Gemeindeebene – ist der Frauenanteil am geringsten. „Ich danke daher allen Frauen, die sich in den unterschiedlichsten
politischen Funktionen oder gesellschaftspolitischen Gremien engagieren“, betont LRin Fischer. Der Kompetenzlehrgang
für Frauen „Nüsse knacken – Früchten ernten“ unterstützt jene Frauen, die Ambitionen auf ein
politisches Engagement hegen oder bereits eines ausüben. Zur Erhöhung des Frauenteils in Aufsichtsräten
und Beiräten organisiert das Land Tirol gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Tirol den Lehrgang „Womenomics“.
„Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, Benachteiligungen von Frauen abzubauen, Missstände aufzuzeigen, bestehende
Strukturen zu hinterfragen und an ihrer Veränderung mitzuwirken. Beim Valentina Empfang wird sichtbar: wir
sind viele. Lassen wir uns nicht entmutigen, sondern an der Vision einer geschlechtergerechten Welt weiterarbeiten“,
appelliert LRin Fischer abschließend.
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