Orang-Utans treffen Entscheidungen je nach "Marktsituation"
Wien (universität) - Flexibler Werkzeuggebrauch bei Tieren steht in enger Verbindung mit höheren
mentalen Prozessen, wie zum Beispiel der Fähigkeit Handlungen zu planen. KognitionsbiologInnen und Vergleichende
Psychologen der Universität Wien, der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Universität
St. Andrews um Isabelle Laumer und Josep Call erforschten Entscheidungsfähigkeit und Werkzeuggebrauch bei
Orang-Utans und fanden heraus, dass die Tiere sorgfältig abwägen: Sofort verfügbares Futter fressen
oder doch lieber warten und ein Werkzeug verwenden, um damit an ein anderes, besseres Futter zu gelangen? Dabei
hinterfragten die Tiere auch Details wie Qualitätsunterschiede beim Futter und ob ein bestimmtes Werkzeug
in der jeweiligen Situation funktionieren könnte, sogar wenn die Aufgabe immer komplexer wurde.
Tierischer Werkzeuggebrauch ist extrem selten und wird daher oft fälschlicherweise pauschal als intelligent
gewertet. Die meisten Arten des Werkzeuggebrauchs sind allerdings recht unflexibel, werden typischerweise nur in
einer gewissen Situation angewandt und werden von relativ einfachen mentalen Prozessen kontrolliert, die ein Teil
des stereotypen, angeborenen Verhaltens der jeweiligen Spezies sind. Im Gegensatz dazu erfordert intelligenter
Werkzeuggebrauch die Fähigkeit mehrere Informationsebenen zu integrieren, und das Verhalten flexibel und schnell
an wechselnde Situationen anzupassen.
Orang-Utans teilen 97 Prozent ihrer DNA mit Menschen und gehören zu den intelligentesten Primaten. Sie haben
ein menschenähnliches Langzeitgedächtnis, benutzen routinemäßig eine Vielzahl ausgefeilter
Werkzeuge in der Wildnis und bauen jede Nacht aus Laub und Ästen aufwendige Schlafnester. In ihrem natürlichen
Verbreitungsgebiet, den tropischen Regenwäldern auf Borneo und Sumatra, müssen Orang-Utans bei der Nahrungssuche
mehrere Faktoren berücksichtigen, wie z.B. die Wahrscheinlichkeit reife Früchte zu finden, die Distanz,
die Erreichbarkeit von Fruchtbäumen und auch manchmal ob geeignete Werkzeuge vorhanden sind, um bestimmte
hartschalige oder stachelige Früchte zu öffnen.
KognitionsbiologInnen und Vergleichende Psychologen der Universität Wien, der Veterinärmedizinischen
Universität Wien und der Universität St. Andrews untersuchten erstmals wie Orang-Utans ihre Entscheidungen
bezüglich Futter und Werkzeuggebrauch treffen und wie viele Aspekte sie gleichzeitig berücksichtigen,
um gewinnorientierte Entscheidungen zu treffen am Wolfgang-Köhler-Primaten-Forschungszentrum im Zoo Leipzig.
Die ForscherInnen verwendeten zwei verschiedene Arten von Futter: Bananen-pellets, das Lieblingsfutter der Tiere,
und Apfelstücke, welche die Tiere gerne essen aber gewöhnlich ignorieren, wenn Bananen-pellets vorhanden
sind. Die Versuchsanordnung enthielt auch zwei verschiedene Apparaturen, in denen eine der beiden Futtersorten
vorübergehend außer Reichweite war und zwei Arten von Werkzeugen: Eine Apparatur konnte nur durch das
Einführen eines Stöckchens bedient werden (aber nicht durch das Hineinstecken eines Balles), die andere
nur dann, wenn die Tiere einen Ball hineinwarfen (aber nicht ein Stöckchen). Während der Tests hatten
die Tiere entweder eine oder zwei Apparaturen vor sich und sie durften einen von zwei Gegenständen, die daneben
lagen (gewöhnlich ein Werkzeug und eine der zwei Futtersorten) wählen, der andere wurde in der Folge
entfernt.
Entscheidungen je nach "Marktsituation"
Die Orang-Utans passten ihre Entscheidungen flexibel an verschiedene Situationen an. "Wenn das Apfelstück
(gutes Futter) oder das Bananen-pellet (Lieblingsfutter) in der Apparatur außer Reichweite war und die Tiere
die Wahl zwischen dem Bananen-pellet und einem Werkzeug hatten, nahmen sie das Futter und nicht das Werkzeug, auch
wenn das Werkzeug mit der Apparatur funktionierte", beschreibt Erstautorin Isabelle Laumer. Wenn die Orang-Utans
allerdings die Wahl zwischen dem Apfelstück und einem Werkzeug hatten, wählten sie das Werkzeug; allerdings
nur dann, wenn es mit der Apparatur am Tisch funktionierte: Wenn also beispielsweise das Stöckchen und ein
Stück Apfel verfügbar waren, gleichzeitig aber die Ball-Apparatur auf dem Tisch stand, wählten sie
das Apfelstück und nicht das Stöckchen. Wenn aber die Stock-Appartur mit einem Bananen-pellet befüllt
war, wählten sie das Stöckchen und nicht das sofort verfügbare Apfelstück. In einer finalen
Aufgabe, in der mehrere Komponenten gleichzeitig berücksichtigt werden mussten, nämlich beide Apparaturen
mit jeweils einer anderen Belohnung und beide Werkzeuge zur Entscheidung angeboten wurden, konnten die Orang-Utans
immer noch maximalen Gewinn erzielen.
Diese Ergebnisse decken sich mit den Resultaten von Goffin Kakadus, die zuvor in derselben Aufgabe getestet wurden.
"Wie die Orang-Utans, konnten auch die Kakadus ihre Impulse zugunsten zukünftiger Gewinne unterdrücken,
auch wenn Werkzeuggebrauch als Arbeitsaufwand involviert war. Darüber hinaus fanden wir heraus, dass sie auch
ähnlich wie die Menschenaffen gleichzeitig auf die Qualität des Futters, sowie auf die Funktionalität
ihres Werkezeuges im entsprechenden Kontext achten", erklärt Alice Auersperg, Leiterin des Goffin Labs
in Österreich. "Dies legt wiederum nahe, dass sich ähnliche kognitive Fähigkeiten unabhängig
voneinander in entfernt verwandten Arten entwickelt haben. Im Gegensatz zu den Orang-Utans konnten die Kakadus
jedoch die letzte Aufgabe, in der beide Apparaturen mit unterschiedlichem Futter befüllt waren, und sie zwischen
den beiden Werkzeugen wählen mussten, nicht gewinnbringend lösen."
"Optimalitätsmodelle legen nahe, dass Orang-Utans ihre Entscheidungen bei der Nahrungssuche flexibel
an die Verfügbarkeit von Nahrungsquellen mit hohem Nährstoffgehalt wie Obst anpassen sollten", sagt
Josep Call von der University of St. Andrews. "Unsere Studie zeigt, dass Orang-Utans gleichzeitig mehrdimensionale
Aufgabenkomponenten berücksichtigen können, um ihren Gewinn zu maximieren, und dass wir damit sehr wahscheinlich
noch nicht einmal an die Grenzen ihrer kognitiven Fähigkeiten gestoßen sind."
"Laut eines Gutachtens des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) aus dem Jahr 2007 werden Orang-Utans
innerhalb von zwei Jahrzehnten in freier Wildbahn ausgestorben sein, falls sich die derzeitigen Entwaldungstrends
fortsetzen", so Laumer. "Der Verlust von Lebensraum aufgrund der umfangreichen Palmölproduktion
ist die größte Bedrohung. Leider ist Palmöl das am häufigsten verwendete Pflanzenöl der
Welt. Solange es eine Nachfrage nach Palmöl gibt und weiterhin Produkte gekauft werden, die Palmöl enthalten,
wird mehr und mehr Regenwald zerstört. Jeder von uns kann etwas bewirken und hat einen Einfluss darauf, diese
außergewöhnlichen Tiere zu retten, indem er Kaufentscheidungen trifft, die klein erscheinen mögen,
aber kollektiv eine große Veränderung bewirken können."
Publikation in "PLOS ONE"
"Orangutans (Pongo abelii) make flexible decisions relative to reward
quality and tool functionality in a multi-dimensional tool-use task", Authors: Isabelle Laumer, Alice Auersperg,
Thomas Bugnyar, Josep Call In: PLOS ONE DOI: 10.1371/journal.pone.0211031
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