Bundesrat mahnt zur Schadensbegrenzung für Bevölkerung und Wirtschaft
Wien (pk) - Der Brexit ist äußerst bedauerlich, so der einhellige Tenor am 13. Feber im
EU-Ausschuss des Bundesrats . Ob das Vereinigte Königreich tatsächlich wie geplant die Europäische
Union am 29. März 2019 mit einem Austrittsabkommen verlässt, sei derzeit schwer abzuschätzen, erklärte
Botschafterin Astrid Harz als Vertreterin des Bundeskanzleramts bei der Sitzung. Dennoch müsse man sich auf
alle Szenarien vorbereiten. Besonders im Fall eines "no deal", bei dem kein Austrittsabkommen zwischen
Brüssel und London zustande kommt, müssten rasch Maßnahmen ergriffen werden, um den Schaden für
BürgerInnen und Wirtschaft zu begrenzen, stimmte ihr der Wiener Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ) zu.
"Wir müssen der Realität ins Auge sehen!"
Der gleichen Ansicht ist auch die Europäische Kommission, die letzten November einen "Notfall-Aktionsplan"
für den ungeordneten Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) entworfen hat. Auf dieser Basis will die
Kommission die nationalen Vorkehrungen der Mitgliedstaaten koordinieren. Untersagt sind dabei bilaterale Abmachungen
mit dem UK in Zuständigkeiten der Union, etwa der Handelspolitik. "Die Wirtschaft ist vorbereitet",
betonte im Ausschuss eine Expertin der Wirtschaftskammer (WKÖ). Bei der für Unternehmen und betroffene
MitarbeiterInnen von der WKÖ seit Anfang Februar angebotenen Brexit-Hotline seien bislang zwischen 80 und
90 Anfragen eingegangen, von Steuerfragen bis hin zu Anliegen betreffend Versicherungs- und Pensionsleistungen.
Vorbereitungen auf ungeordneten Brexit laufen
Für die ÖVP unterstrich der Ausschussvorsitzende, der Steirer Christian Buchmann, dass angesichts der
ungewissen Entwicklung des UK-Austrittsprozesses unbedingt im Vorfeld die nötigen Maßnahmen gesetzt
werden müssen. Letztendlich gehe es um die künftige Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich,
unabhängig davon, ob ein Austrittsabkommen innerhalb der nächsten fünf Wochen erzielt wird. Den
Grundsatz der Reziprozität hob Buchmann als entscheidend hervor, sodass etwa im UK lebende EU-BürgerInnen
die gleichen Rechte erhalten wie Britinnen und Briten in der Union. Die Koordinierungsarbeiten der Europäischen
Kommission würdigte FPÖ-Mandatar Christoph Längle aus Vorarlberg in diesem Zusammenhang, wobei er
sein großes Bedauern über das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU ausdrückte.
London habe versichert, dass Österreicherinnen und Österreicher, die bereits zum Zeitpunkt des Austritts
im Vereinigten Königreich waren, weiterhin dort leben und arbeiten können, heißt es aus dem BKA.
Gleichermaßen wolle man mit hierzulande ansässigen UK-BürgerInnen verfahren.
In puncto Aufenthaltsberechtigung wird den EU-27 auch von der EU-Kommission in ihrer Mitteilung zum Aktionsplan
ein großzügiger Umgang mit bei ihnen ansässigen Britinnen und Briten nahegelegt. Britische StaatsbürgerInnen,
die rechtmäßig in einem anderen EU-Land gemeldet sind, sollten demnach bereits vor dem Austrittsdatum
des Vereinigten Königreichs an ihrem Wohnort beantragen können, eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung
für Drittstaatsangehörige zu erhalten. Die britische Regierung habe für EU-BürgerInnen im Vereinigten
Königreich ebenfalls Erleichterungen bei der Erlangung eines entsprechendes Aufenthaltstitels zugesichert.
Ebenso erwartet Brüssel hinsichtlich Visumfreiheit bei kurzfristigen Aufenthalten von London analoge Zugeständnisse.
Im UK ansässige Einrichtungen und Agenturen der EU, beispielsweise die in London verortete Bankenaufsichtsbehörde,
werden gemäß Kommissionsplan am Tag vor dem Austritt in die EU-27 verlegt.
Drastische Auswirkungen in vielen Bereichen
Weitere Bereiche, die von einem "no deal-Szenario" besonders betroffen wären, sind der EU-Kommission
zufolge neben dem Aufenthaltsrecht und der Visumpolitik die Finanzdienstleistungen, der Zoll, gesundheitspolizeiliche
und pflanzenschutzrechtliche Vorschriften, die Übermittlung personenbezogener Daten, die Klimapolitik und
die Luftfahrt. So würden beim Flugverkehr Verkehrsrechte und Betriebsgenehmigungen ungültig werden, wodurch
die Luftfahrt zwischen den Britischen Inseln und der Union zum Stillstand käme. Vorkehrungen, dies zu verhindern,
knüpft die Europäische Kommission an Bedingungen. Unter anderem müsse die Erlaubnis für britische
Maschinen, in der EU zu landen, zu tanken und die Fluggäste aus- beziehungsweise einsteigen zu lassen, für
Flugzeuge aus EU-Ländern auf der Insel genauso gelten. Bei bestehenden Flugsicherheitsbescheinigungen wird
von Brüssel laut Bundeskanzleramt eine "vorübergehende Gültigkeit" in Aussicht gestellt.
Die EU-Klimaschutzbestimmungen würden dagegen ohne Austrittsabkommen für das UK einfach außer Kraft
treten. Betroffen davon sind nicht zuletzt der Emissionshandel und das Quotensystem zur Festsetzung zulässiger
Treibhausgasemissionen beziehungsweise die Berechnung der Fortschritte in der EU-Klimapolitik, da die Aktivitäten
des Vereinigten Königreichs wegfallen.
Generell hält die Kommission fest, die vorgeschlagenen Notfallmaßnahmen dürften nur zeitlich begrenzt
– längstens bis Ende 2019 – gelten und "sollten nicht die Vorteile einer Mitgliedschaft in der Union"
nachbilden. Sie könnten jederzeit zurückgezogen werden. Weiters müssten sämtliche Maßnahmen
mit europäischem und internationalem Recht vereinbar sein. Die Verbindungsstelle der Bundesländer, die
an der Ausschussdebatte mit zwei Kärntner Vertretern teilnahm, hat hinsichtlich Subsidiarität beziehungsweise
Proportionalität der Kommissionsvorschläge kaum Bedenken. In einer Sitzung zur Brexit-Vorbereitung hätten
die Länder auf dieser Grundlage schon eigene Anpassungspläne präsentiert, wobei sich unterschiedliche
Herangehensweisen – beispielsweise im Umgang mit britischen ArbeitnehmerInen – herauskristallisierten.
Österreich ist vorbereitet
Die Wirtschaftskammer biete ein eigenes Internetportal und eine Hotline für Unternehmen an, die sich auf einen
ungeregelten Austritt des Vereinigten Königreichs einstellen, erläuterte die WKO-Expertin gegenüber
dem Ausschuss die Unterstützungsmaßnahmen ihres Hauses. Zudem beschrieb sie Informationskampagnen der
Kammer gemeinsam mit Zollbehörden in den Bundesländern, mit denen Wirtschaft und Bevölkerung auf
einen "no deal-Brexit" vorbereitet würden. Firmen, die sich infolge des Brexit um ihre britischen
MitarbeiterInnen in Österreich sorgen, beruhige man mit dem Hinweis auf Übergangslösungen, wie sie
das geplante heimische "Brexit-Gesetz" vorsehe.
Die österreichische Bundesregierung hat für den Fall, dass das UK ohne Abkommen aus der EU ausscheidet,
ein "Brexit-Sammelgesetz" vorgeschlagen, um in allen Ressortbereichen die nötigen rechtlichen Anpassungen
vorzunehmen, ging Botschafterin Harz näher auf die innerstaatliche Vorbereitungsarbeit ein, die bereits seit
längerem laufe. In diesem Sammelgesetz, das bei einem "harten Brexit" in Kraft treten soll, werden
dem Bundeskanzleramt (BKA) zufolge gesetzliche Lücken geschlossen, die in den Regelungsbereichen öffentlicher
Dienst, Arbeit, Bildung, Finanzen, Inneres, Integration, Justiz und Landwirtschaft auftreten können. Nicht
vom EU-Aktionsplan umfasste Bereiche würden damit auf nationaler Ebene abgedeckt. Abgesehen davon setze man
auf intensive Informationspolitik, ergänzte ein weiterer Vertreter des Bundeskanzleramts, Karl-Heinz Tanner.
Betroffene Personen erhielten telefonisch über eine Hotline vom Bundeskanzleramt in Kooperation mit dem Außenministerium
fachkundige Hilfe und auch online seien Informationen abrufbar, wies er auf die mit allen Ressorts verlinkte Bexit-Homepage
des BKA hin. Man gehe dabei in enger Abstimmung mit der Europäischen Kommission vor, die in ihrem Notfallplan
wesentliche Parameter für die nationalstaatlichen Vorbereitungen aufgestellt habe, sodass die EU-27 ihre Maßnahmen
koordiniert umsetzen.
Kommission drängt auf Einigkeit der EU-27
Grundsätzlich liege es in der Verantwortung jedes Mitgliedstaats beziehungsweise jeder und jedes Einzelnen,
die nötigen Vorkehrungen für den Brexit zu treffen, hält die Kommission in ihrem Schreiben fest.
Für Unternehmen betreffe das etwa die Beantragung neuer Genehmigungen, Lizenzen oder Bescheinigungen. Bestehende
EU-Vorschriften für staatliche Beihilfen böten den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ihren Unternehmen
bei Problemen infolge eines ungeordneten Brexit finanziell und technisch auszuhelfen, heißt es in der Mitteilung.
Dennoch will Brüssel sicherstellen, dass die Vorbereitungen auf den Notfall innerhalb der Europäischen
Union kohärent sind. Zwischenstaatliche Gespräche mit dem Drittstaat Großbritannien würden
"die Einheit der EU untergraben", wie die Kommission schreibt.
Eine Fristverlängerung für den UK-Austritt über den 29. März hinaus, angesprochen von Monika
Mühlwerth (FPÖ/W) und Andrea Kahofer (SPÖ/St), sei durchaus möglich, so Harz, allerdings könne
sie hier nur ungesicherte Überlegungen wiedergeben. Knackpunkt dabei seien nicht zuletzt die bevorstehenden
Wahlen zum Europaparlament im Mai, bestätigte ihr Kollege Tanner, der auf die komplexe Frage der Sitzverteilung
– abhängig von der Teilnahme britischer MandatarInnen – hinwies. Überdies bestehe große Unsicherheit
über die Haltung des britischen Parlaments, das ja das zwischen der Regierung des Vereinigten Königreichs
und der Europäischen Union ausverhandelte Austrittsabkommen ablehnt. Trotzdem äußerten Harz und
Tanner ihre Hoffnung, dass am Ende eine für beide Seiten gangbare Lösung gefunden wird.
Training für den Ernstfall
Für bestimmte Bereiche plant die EU, bei einem "hard Brexit" direkte Hilfe zur Verfügung zu
stellen. Als Beispiel führt die Kommission spezielle Schulungen für ZollbeamtInnen an. Immerhin hätten
diese im Ernstfall den Warenverkehr zwischen der EU und dem Drittstaat UK als Importe und Exporte zu behandeln
und für die korrekte Einhebung von Zöllen und Abgaben zu sorgen (EU-Zollkodex). Besonders in Gebieten,
die intensiven Warenverkehr mit dem Vereinigten Königreich pflegen, erwartet man einen beträchtlichen
Mehraufwand, um weiterhin gleiche Wettbewerbsbedingungen und reibungslose Handelsströme zu gewährleisten.
Eine angemessene Personalaufstockung obliege jedoch den jeweiligen Nationalstaaten. Neben Seminaren für Zollbehörden
werden auf EU-Ebene auch eigene Schulungen für Kontrollen im gesundheitspolizeilichen und im pflanzenschutzrechtlichen
Bereich geplant, weil hier ebenfalls Einfuhrverbote schlagend würden. Bei der Landwirtschaft verweist Brüssel
auf das geltende Unionsrecht als geeignetes Instrumentarium, die Auswirkungen des Brexit abzufedern.
Irland im Brexit-Brennpunkt
Irland will die Europäische Union besonders unter die Arme greifen. Das Land ist laut EU-Kommission am meisten
vom Austritt des Vereinigten Königreichs betroffen, zumal bei einem ungeregelten Brexit die Binnengrenze zu
Nordirland als EU-Außengrenze streng zu kontrollieren ist. Die Fortsetzung der laufenden Programme PEACE
und Interreg im Grenzgebiet Irlands, an denen das UK beteiligt ist, müsse jedenfalls sichergestellt werden,
so die Kommission zu den EU-Initiativen für Friedenssicherung in der ehemaligen Konfliktregion. Im Vorschlag
zum nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen habe man dafür Sorge getragen.
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