Eine Konfliktgeschichte des Tabaks – von 22. Februar bis 10. November 2019 im Tiroler Volkskunstmuseum
Innsbruck (tlm) - Bezugnehmend auf die gesellschaftspolitischen Debatten rund ums Rauchverbot folgt die
neue Sonderausstellung im Tiroler Volkskunstmuseum dem dialogisch-kontroversiellen Prinzip des Für und Wider
„Rauchen“ und geht dabei der Vielfalt dieses heute so umstrittenen Kulturguts nach: Themen wie Moral, Genuss, Macht,
Gesundheit, Rauch, Kultur, Geschlechterverhältnisse und Zeit stehen dabei im Mittelpunkt. Erzählt, präsentiert
und zur Diskussion gestellt wird dies in einer Verschränkung von Alltagsobjekten, Darstellungen aus der Bildenden
Kunst, aus Filmen, Büchern und Comics, Fotografien sowie aus Popkulturellem von Werbung und Musik.
Spätestens seit 2004, als Irland, Norwegen und Italien Rauchverbote ausgesprochen haben, ist Rauchen zum medialen
„Dauerbrenner“ geworden. Die Aufhebung des Rauchverbots in Österreich 2018 löste heftige Debatten und
ein Volksbegehren aus. „Dieser Anlass stellt schon einen gewissen Anreiz dar, die historische Entwicklung des Rauchens,
das ja seit 500 Jahren eine eigene Tradition in Europa aufzuweisen hat, die kulturgeschichtliche Bedeutung des
Tabaks und die damit verbundenen Kulturleistungen in den Blick zu nehmen“, so PD Dr. Wolfgang Meighörner,
Direktor der Tiroler Landesmuseen, zur Relevanz des Themas.
Die Ausstellung „Auf der Kippe. Eine Konfliktgeschichte des Tabaks“, die von 22. Februar bis 10. November 2019
im Tiroler Volkskunstmuseum zu sehen ist, zeichnet die konfliktreiche Geschichte des Tabaks nach und betrachtet
dabei das schillernde und variantenreiche Spektrum von dessen Doppelgesichtigkeit aus Gesundheitsschädigung
und kultureller Stimulanz: Zwischen lebensgefährlichem Suchtmittel und exotischem Genuss, lebenslanger Gesundheit
und hedonistischem Lifestyle ist der Konsum von Tabak heute weltweit zum Streitfall geworden. Dabei galt Tabak
nach seiner Entdeckung in Südamerika als Heilmittel, eroberte als Genussmittel rasch Europa, dann den Nahen
Osten, China, Japan und schließlich Afrika. Mit Antitabakbewegungen konfrontiert sah sich die vielseitige
Pflanze schon mit den ersten europäischen Rauchern. „Die Kulturgeschichte des Rauchens ist stets eine Geschichte
der damit verbundenen Konflikte. Heute ist die Frage von Rauchen oder Nicht-Rauchen keine rein private mehr, sondern
eine Entscheidung zwischen individueller Freiheit und kollektiver Verantwortung“, so Dr. Günther Moschig,
Kurator der Ausstellung.
Mit den Debatten verbunden ist ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel: Denn Rauchen, das etwa zu Beginn des 20.
Jahrhunderts positiv besetzt und mit Genuss, Freiheit, gesellschaftlichem Ansehen, Emanzipation oder Rebellion
verbunden war, wird seit den 1980er-Jahren nahezu ausschließlich unter dem Gesundheitsaspekt diskutiert.
„Damit werden Kulturleistungen, die mit Tabak und dessen Konsum in Verbindung stehen, zunehmend ausgeblendet. Momentan
hat es den Anschein, als verabschiede sich eine jahrhundertealte kulturelle Praxis aus dem öffentlichen Leben“,
so Dr. Karl C. Berger, Leiter des Tiroler Volkskunstmuseums.
Rauchen im Museum – Zum Konzept der Ausstellung
Die letzte Zigarette Lola Montez‘ vor ihrer Flucht aus Bayern inspirierte Kurator Günther Moschig, diese
Ausstellung anzudenken. Ein nachgebauter Rauchersalon, ein eine Raucherlunge oder Valie EXPORT mit ihrer legendären
Zigarettenmarke – vielfältige Objekte zeigen den facettenreichen Zugang, den Gastkurator Günther Moschig
zu Tabak und dessen Konsum präsentiert: „Ausgehend vom dialogisch-kontroversiellen Prinzip des Für und
Wider ‚Rauchen‘, war es mir wichtig der Vielfältigkeit dieses heute so umstrittenen Kulturguts nachzugehen.
Kulturelle Leistungen rund um den Tabak, dessen gesellschaftliche Brisanz und Relevanz, kulturgeschichtliche Tradition
und inhaltliche Weitläufigkeit sollen aufgezeigt und ein Diskursraum geöffnet werden, der die herrschende,
thematische Enge sprengt“.
Die aktuelle Sonderausstellung verschreibt sich somit dem Rauchen und dem Rauch, dem Tabak als Pflanze, als Heil-,
Werbe- und Genussmittel, als Kulturgut oder Gift. Die Vielfalt an Objekten – Alltagsobjekte, Darstellungen aus
der Bildenden Kunst (historisch wie zeitgenössisch), aus Filmen, Büchern, Comics, Fotografien sowie Popkulturelles
aus Werbung und Musik – speist sich aus fast vierzig verschiedenen Sammlungen, allen voran aus der 1873 gegründeten
JTI Collection Vienna, der europaweit größten tabakhistorischen Sammlung. Objekte stammen aber auch
aus den Beständen der Tiroler Landesmuseen selbst sowie aus zahlreichen privaten Sammlungen etwa aus Innsbruck
und Südtirol oder der Pomeranz Collection in Wien.
Exponate aus dem Volkskunstmuseum zeigen den Tirolbezug zum Thema: Schnupftabakdosen, Tabakpfeifen, Pfeifenköpfe,
Tabakbeutel und Aschenbecher, Zigarrenschachteln und Zigarettendosen – „Alle diese Objekte lassen durch ihre Gestaltung
und Gebrauchsspuren Rückschlüsse auf frühere Besitzer, Hersteller oder gesellschaftliche Moden zu.
In Beschreibungen von Tirol werden Tabak und Pfeife im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert überdies fast zum
Attribut der ‚Tiroler Typen‘“, so Anna Engl, MA, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Volkskunstmuseum. Wolfgang
Meighörner führt aus: „In der langen Tradition des Rauchens in Europa haben sich auch regionale Gebräuche
ausgebildet, die wiederum in Typenbildern festgeschrieben wurden. Zu solchen ‚Tiroler Typen‘ zählen etwa der
pfeifenrauchende Almbauer, Bergsteiger oder Landeshauptmann sowie der zigarrenrauchende Kartenspieler“.
In neun Themenbereichen aufgebaut erstreckt sich die Ausstellung im zweiten Stock des Museums auf rund 200m2. Nach
Durchschreiten eines Vorhangs mit Rauchzeichnungen der Künstlerin Anja Braun gelangt man zunächst in
eine Lounge, die über die Frage „Rauchen oder Nicht Rauchen“ ins Thema einführt. Mit der faktischen Seite
rund um den Tabak – dessen Geschichte, Anbau, Formen des Konsums etwa – sowie mit ätherischen und künstlerischen
Aspekten von Rauch beschäftigt sich der erste Raum. Die Themenkomplexe Macht- und Geschlechterverhältnisse,
die (Begleit-)Kultur des Rauchens, Gesundheit und Zeit behandelt der zweite Raum. Beim Verlassen der Ausstellung
kommt der Besucher um eine Entscheidung nicht herum: Rauchen oder Nichtrauchen?
Ausstellungsarchitektur
Architektin Andrea Graser entwickelte ein räumliches Konzept, das die Mannigfaltigkeit des Themas begreifen
lässt und eine Auseinandersetzung mit den verschiedensten Perspektiven auf das Rauchen ermöglicht. So
ist die Architektur der Ausstellung als Faltraum konzipiert, der die strukturelle Starrheit der Perspektive auflöst.
Durch die Fortbewegung im Raum verändern sich die Blickpunkte, die im 90°-Winkel gefalteten Wände
ermöglichen den Besuchern und Besucherinnen sich den Themen von mehreren Seiten gleichzeitig zu nähern.
Die räumliche Inszenierung variiert also und führt zu Wahrnehmungswechseln. Mythen und Geheimnisse rund
um den Tabak entfalten sich durch die Präsentation schrittweise.
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