An der TU Wien wurde ein physikalischer Effekt entdeckt, der elektrisch leitende Materialien
mit extrem niedriger Wärmeleitfähigkeit ermöglicht. Damit kann man Abwärme in Strom umwandeln.
Wien (tu) - Jeden Tag geht uns wertvolle Energie in Form von Abwärme verloren – bei technischen Geräten
zu Hause, aber auch bei großen Energieanlagen. Einen Teil davon könnte man mit Hilfe des „thermoelektrischen
Effekts“ zurückgewinnen. Dabei wird aus einer Wärmedifferenz zwischen einem heißen Gerät und
der kalten Umgebung direkt elektrischer Strom gewonnen. Allerdings braucht man dafür Materialien, die einerseits
Strom gut leiten, andererseits aber relativ schlechte Wärmeleiter sind.
Nach solchen Materialien wird weltweit gesucht. Als besonders vielversprechend erwiesen sich Materialien mit Käfigstruktur,
zu denen auch die an der TU Wien untersuchten Clathrate gehören. Nun wurde nach aufwändigen Untersuchungen
ein bemerkenswerter Effekt nachgewiesen, der die besonders niedrige Wärmeleitfähigkeit dieser Materialien
erklären kann.
Gefängniszellen für Atome
„Clathrate sind Kristalle mit einer ganz besonderen Struktur“, erklärt Prof. Silke Bühler-Paschen vom
Institut für Festkörperphysik der TU Wien. „Sie bestehen aus winzigen Gitterkäfigen, in denen einzelne
Atome eingesperrt sind.“ Ein solches Atom kann in seiner Einzelzelle hin und her schwingen, es ist aber nicht fest
in das Kristallgitter eingebaut.
Die Wärme in einem Festkörper ist nichts anderes als das Schwingen der Atome. Erwärmt man einen
Kristall, werden die Schwingungen immer größer und heftiger, bis irgendwann die Bindungen zwischen den
Atomen aufgebrochen werden und der Kristall schmilzt. „Man unterscheidet zwischen zwei Arten von Schwingungen“,
sagt Silke Bühler-Paschen. „Sind benachbarte Atome stark aneinander gebunden, so überträgt sich
die Schwingung eines Atoms gleich auf den Nachbar und eine Wärmewelle breitet sich im Material aus. Je stärker
die Kopplung zwischen den Atomen, desto schneller die Ausbreitung der Welle und desto größer die Wärmeleitung.
Ist ein Atom jedoch nur sehr schwach an seine Nachbarn gebunden, wie eben das Atom im Clathratkäfig, so schwingt
es weitgehend unabhängig von den anderen und die Wärmewelle ist extrem langsam.“
Neuer Effekt: Die Kondo-artige Phononenstreuung
Matthias Ikeda stellte im Rahmen seiner Dissertation bei Silke Bühler-Paschen fest, dass es einer bestimmten
Wechselwirkung zwischen diesen beiden Arten von Schwingungen zu verdanken ist, dass Clathrate so guten Wärmeisolatoren
sind. Ikeda führte präzise und umfangreiche Messungen durch. Ganze Serien von Kristallen mit jeweils
leicht unterschiedlichen Eigenschaften wurden an der TU Wien hergestellt und sorgfältig vermessen. „Am Ende
konnten wir nachweisen, was uns anfangs noch niemand glauben wollte: Es gibt hier einen bisher unbekannten physikalischen
Effekt, der die Wärmeleitfähigkeit unterdrückt – wir bezeichnen ihn als Kondo-artige Phononenstreuung“,
sagt Matthias Ikeda.
Aufgrund der Kristallstruktur schwingt ein Atom im Clathratkäfig bevorzugt in zwei bestimmten Richtungen.
„Wenn jetzt eine Wärmewelle ankommt, kann sie für eine gewisse Zeit einen gebundenen Zustand mit einer
solchen Schwingung eingehen. Die Wärmewelle ändert dabei die Schwingungsrichtung des Atoms im Clathratkäfig“,
sagt Silke Bühler-Paschen. „Dadurch wird die Wärmewelle abgebremst, und genau das reduziert die Wärmeleitung.
Obwohl Clathrate elektrischen Strom leiten, sind sie daher gute thermische Isolatoren“.
Besseres Material für Thermoelektrika
Genau diese Kombination braucht man, um den thermoelektrischen Effekt großtechnisch zu nutzen: Man verbindet
etwas Heißes mit etwas Kaltem mit dem passenden Material und kann den Energiefluss dazwischen direkt in elektrischen
Strom umwandeln. Dafür muss das Material einerseits elektrischen Strom leiten, soll den Temperaturunterschied
aber nicht durch Wärmeleitung rasch ausgleichen, weil der Effekt sonst nicht mehr genutzt werden kann.
„Das Projekt war sehr aufwändig, neben zahlreichen Experimenten mussten auch umfangreiche Computersimulationen
entwickelt werden, um die quantenphysikalischen Prozesse hinter diesem Effekt zu verstehen“, sagt Silke Bühler-Paschen.
„Aber es hat sich gelohnt: Mit unserem Konzept der Kondo-artigen Phononenstreuung kann man das Verhalten von Clathraten
nun viel besser verstehen und damit auch gezielter daran arbeiten, die effizientesten Materialien für thermoelektrische
Anwendungen zu finden.“
Originalpublikation
Kondo-like phonon scattering in thermoelectric clathrates, Nature Communications, 2019. DOI: 10.1038/s41467-019-08685-1
https://doi.org/10.1038/s41467-019-08685-1
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