EU-Chefverhandler für den Brexit informiert österreichische Abgeordnete
London/Brüssel/Wien (pk) - Der zwischen der Europäischen Union und Großbritannien ausverhandelte
Brexit-Vertrag ist die einzige Möglichkeit für einen geordneten Austritt des Vereinten Königreichs
aus der EU. In seinen Gesprächen mit österreichischen Abgeordneten im Parlament stellte EU-Chefverhandler
Michel Barnier am 28. Feber klar, dass das Abkommen nicht noch einmal aufgeschnürt werde, und schloss
auch für den Fall einer Fristverlängerung neue Verhandlungen aus.
Großbritannien bleibt Freund, Partner und Verbündeter
Das Europäische Parlament habe jedenfalls das letzte Wort, zumal es den Brexit-Vertrag annehmen müsse,
betonte Barnier, der volle Transparenz zusicherte und in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der Kontakte zu
den nationalen Parlamenten unterstrich. Wichtig sei es nun vor allem, die Beziehungen zu Großbritannien für
die Zeit nach der "Scheidung" zu regeln. Verhandlungen darüber könnten allerdings erst nach
dem Austritt begonnen werden. Klar ist für Barnier dabei, dass das Vereinigte Königreich auch weiter
ein befreundetes Land, ein wichtiger Wirtschaftspartner und Verbündeter Europas bleiben werde.
Schutz der Rechte der betroffenen BürgerInnen im Vordergrund
Nach dem Brexit werde es bis Ende 2020 eine Übergangsphase mit einmaliger Verlängerungsmöglichkeit
geben, in der der Status Quo weitergilt. Priorität in den Verhandlungen über die Zeit nach 2020 räumt
die EU den Rechten der vom Brexit betroffenen BürgerInnen ein – EU-BürgerInnen in Großbritannien
ebenso wie britische Staatsangehörige in der EU. Auch im Fall eines No-Deals gehe es darum, die Lebensinteressen
und Rechte der BürgerInnen zu schützen. Verhandelt werde zudem über die Zukunft der Wirtschaftsbeziehungen
inklusive Verkehr, die universitäre Zusammenarbeit, polizeiliche und justizielle Kooperation sowie die Zusammenarbeit
im Rahmen der Außen- und Sicherheitspolitik.
Lösung für Grenzfrage in Irland noch ausständig
Was die besondere Situation auf der irischen Insel betrifft, strebe man eine dauerhafte Lösung an, die sicherstellt,
dass es keine Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland gibt. Man stehe vor der Herausforderung, notwendige
Kontrollen – etwa hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit – auch ohne Grenze durchzuführen. Gelingt es nicht,
ein Abkommen für diesen Sonderfall abzuschließen, komme es jedenfalls zum Backstop als Rückfallposition,
bei dem Nordirland in die Zollunion eingegliedert werde. Nachdem dies aber von London abgelehnt wurde, habe die
EU vorgeschlagen, das gesamte Vereinigte Königreich solle in der Zollunion verbleiben, solange keine andere
Lösung gefunden wird. Seitens der Union suche man nun Garantien für die Briten, um sicherzustellen, dass
es zu keinem Backstop kommt. Barnier bekräftigte mit Nachdruck, eine halbe Zollunion, wie dies von London
angeboten wurde, sei für Brüssel nicht akzeptabel, würde dies doch Wettbewerbsnachteile für
europäische Unternehmen bringen. Die Briten müssten sich bewusst sein, dass sie alle Konsequenzen eines
Austritts zu tragen haben, ein "Rosinenpicken" könne es nicht geben.
Brexit für Barnier Lose-Lose-Situation
Insgesamt bringe der Brexit keinerlei Mehrwert, sondern sei vielmehr eine Lose-Lose-Situation für alle, fasste
Barnier zusammen, wobei er anfügte, er persönlich bedauere den Austritt der Briten. Ähnlich sieht
dies auch ÖVP-Abgeordneter Georg Strasser, der das Gespräch auf österreichischer Seite leitete.
"Ich hoffe, dass uns die Briten nicht ganz abhandenkommen", meinte er und stellte die Frage nach den
Lehren aus dem Brexit. Einig mit Barnier war er sich in der Einschätzung, dass es nunmehr gelte, auf das Unbehagen
der BürgerInnen vor einem Zuviel an Entscheidungen aus Brüssel zu reagieren. Die Union sollte sich mehr
um die großen Fragen und nicht um Kleinigkeiten kümmern, bekräftigte der EU-Chefverhandler.
Von Erasmus bis zu den EU-Wahlen: Abgeordnete sehen zahlreiche offene Fragen
Michaela Steinacker (ÖVP) ortete ebenso wie Petra Steger (FPÖ) Probleme bei den kommenden EU-Wahlen,
sollte der Brexit aufgeschoben werden. Bei einer Verlängerung der Frist über den 23. Mai hinaus müsste
Großbritannien EU-Wahlen abhalten, bestätigte Barnier, wobei er allerdings zu bedenken gab, dass ein
Aufschub der Zustimmung durch das britische Parlament und aller 27 EU-Staaten bedürfe. Für SPÖ-Mandatar
Kai Jan Krainer wiederum sind die Freiheiten des Binnenmarkts unteilbar, sodass eine Beschränkung einzelner
Rechte im Fall des Brexit nicht in Frage komme. Seine Fraktionskollegin Eva Maria Holzleitner sorgte sich um die
Zukunft des Erasmus-Programms und zahlreicher EU-Forschungsprojekte vor dem Hintergrund eines No-Deal-Szenarios.
Stephanie Krisper (NEOS) rief zum Schutz der Rechte der BürgerInnen auf, während Bruno Rossmann (JETZT)
die Möglichkeit eines zweiten Referendums in den Raum stellte. Barnier schloss das Briefing mit dem Appell
an die EU-27, ihre in den Brexit-Verhandlungen gefundene Einigkeit weiter zu behalten und für die neuen politischen
Herausforderungen zu nutzen.
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