SPÖ: Brexit-Begleitgesetz nur Beruhigungspille für die Bevölkerung
London/Brüssel/Wien (pk) - Sollte es beim geplanten Brexit-Fahrplan bleiben und Großbritannien
am 29. März ohne Abkommen aus der Europäischen Union austreten, ist Österreich so gut es geht gewappnet,
wie Europa- und Kanzleramtsminister Gernot Blümel am 27. Feber im Nationalrat bekräftigte. Die entsprechenden
gesetzlichen Vorkehrungen wurden am 27. Feber mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ, NEOS und der Liste JETZT
beschlossen. Anderer Meinung ist hingegen die SPÖ, der das Brexit-Begleitgesetz zu kurz greift. Sie vermisst
Vorkehrungen etwa bei den Sozial- und Pensionsversicherungen und spricht von einer "Beruhigungspille"
für die Bevölkerung.
SPÖ: Brexit-Begleitgesetz greift im Fall eines "No Deal" zu kurz
Das Brexit-Begleitgesetz sei ein Placebo mit dem Versuch, der Bevölkerung zu suggerieren, dass alles in Ordnung
sei, bekrittelte Peter Wittmann (SPÖ) die von der Regierung ausgearbeiteten gesetzlichen Regelungen für
den Fall eines harten Brexit. Von allen Gesetzen, die es in Österreich gibt, seien nur 16 geändert worden,
in fünf davon gebe es eine Verordnungsermächtigung für MinisterInnen, ohne zu wissen, wofür,
so die weitere Kritik des SPÖ-Abgeordneten. Seiner Meinung wird für den Ernstfall zu wenig Vorsorge getroffen,
schon jetzt würden Probleme auf der Hand liegen, die das Brexit-Gesetz nicht abdeckt. Vonseiten des Wirtschafts-
und Umweltministeriums habe es beispielsweise keine einzige Regelung in das Sammelgesetz geschafft.
Zu hinterfragen ist Wittmann zufolge außerdem, warum das Innenministerium im Brexit-Begleitgesetz von "zukünftigen
weiteren Austritten" spricht. "Das ist die Denkweise der FPÖ", kritisierte er. Diese sei nur
an einer Auflösung der EU interessiert, wie Wittmann mit Verweis auf einen 2016 von den Freiheitlichen eingebrachten
Antrag für eine Öxit-Volksabstimmung sagte.
Auch seine Fraktionskollegin Selma Yildirim (SPÖ) mahnte von der Regierung ein, Schäden bestmöglich
von betroffenen BürgerInnen abzuwenden und ihre Rechte zu schützen. In der derzeitigen Situation sei
das nämlich nicht der Fall, die Regierung bleibe entgegen ihrer öffentlichen Ankündigungen säumig.
Es gehe immerhin um existentielle Fragen wie Sozialversicherungs- und Pensionsansprüche oder das Aufenthaltsrecht.
Das Brexit-Gesetz lässt ihrer Meinung viele Bereiche ungeregelt.
Entgegen der SPÖ-Kritik meinte Europa- und Kanzleramtsminister Gernot Blümel, dass von den Ministerien
und Sozialpartnern alle Gesetze hinsichtlich notwendiger Brexit-Vorkehrungen durchforstet worden seien. Das Begleitgesetz
sei auch mit der Kommission durchbesprochen worden, diese habe keine Beanstandungen geäußert. "Es
ist eine Katastrophe, dass die Briten die Union verlassen", so Blümel, der Schaden müsse so gering
wie möglich gehalten werden.
Wolfgang Gerstl (ÖVP) beklagte, dass Großbritannien seit seinem Nein zum Austrittsvertrag im britischen
Unterhaus für BürgerInnen und Unternehmen Chaos produziere. Als besonders positiv bewertete der Abgeordnete,
dass die Mitgliedsländer der verbleibenden EU27 mit einer Stimme sprechen.
Wer ist schuld am Brexit?
Die Debatte über das Brexit-Begleitgesetz war im Nationalrat insbesondere geprägt von gegenseitigen Anschuldigen
und der Frage, wer für den Austritt Großbritanniens aus der EU verantwortlich ist.
Die Kernfrage sei nämlich, ob die EU eine Mitverantwortung am Brexit hat, wie der Freiheitliche Markus Tschank
in den Raum stellte. Dass die FPÖ jemals einen Öxit gefordert hätte, wie von der SPÖ angesprochen,
sei jedenfalls "grundlegend falsch". Es gehe um die strategische Ausrichtung der EU. Wer Europa liebt,
müsse bei Fehlentwicklungen Kritik üben, so der Abgeordnete. Die Willkommenspolitik der Deutschen Bundeskanzlerin
Angela Merkel spalte die Gesellschaft bis heute und gefährde den Frieden in Europa. Der Brexit sei aus seiner
Sicht vermeidbar gewesen mit einem Europa, das schützt. Den EU-Austritt der Briten sieht Tschank allerdings
auch als Chance, umzudenken und sich an den Wünschen der europäischen Völker zu orientieren.
Nicht der Austritt der Briten sei die Ursache für alle Nachteile, die daraus entstehen werden, sondern die
Falschentwicklung der EU, meinte ebenfalls Günther Kumpitsch (FPÖ). Den Brexit zu verantworten habe eine
völlig verfehlte Migrations- und Sicherheitspolitik mit unabsehbaren Folgen für die Bevölkerung,
wie Terroranschläge und blutige Angriffe auf Frauen zeigen würden.
ÖVP-Abgeordneter Josef Lettenbichler (ÖVP) schloss sich der EU-Schuldzuweisung der FPÖ teilweise
an. Die Verantwortung dürfe nicht nur im Vereinigten Königreich gesucht werden, sondern auch in der EU
selbst. Diese habe in den vergangenen Jahren auch Fehler gemacht, eine Tendenz, die auch der ÖVP nicht gefallen
habe. Die neue Regierung habe nun allerdings den richtigen Weg eingeschlagen, um die Union bürgernäher
und sicherer zu machen. Sein Fraktionskollege Wolfgang Gerstl (ÖVP) erinnerte an die Migrationswelle nach
Europa 2015. Dadurch seien viele Menschen in Großbritannien verunsichert worden und seien dann Populisten
aufgesessen.
"Nicht die EU oder Angelka Merkel sind schuld am Brexit, sondern rechte und konservative PolitikerInnen, die
die Leute belogen haben", hielt Claudia Gamon (NEOS) dagegen. Eine populistische und machtgierige Politik
habe zu verantworten, dass die Chancen von hunderttausenden jungen EuropäerInnen einfach vom Tisch geschoben
werden. Die Menschen seien über die Folgen des Brexit belogen worden, nun werde es für die Briten außerhalb
der EU aber teuer. Insbesondere Desinformation habe dabei eine wichtige Rolle gespielt. "Wir müssen aufhören
damit, die EU für Dinge verantwortlich zu machen, für die wir selbst die Verantwortung tragen",
appellierte Gamon.
Katharina Kucharowits (SPÖ) sieht einen Grund für das "Leave" der Briten beim Brexit-Referendum
in einer Politik, die von Austerität und Schuldenbremsen geprägt gewesen sei. Die Menschen hätten
so das Vertrauen in die EU verloren,. Diese Stimmung hätten Rechtskonservative und PopulistInnen sowohl in
Großbritannien als auch in anderen Ländern schließlich genutzt, mit falschen Versprechungen auf
den Rücken der BürgerInnen und auf Kosten des Zusammenhalts und des EU-Friedensprojekts gezündelt.
Verwundert über den Inhalt der Debatte zum Brexit-Begleitgesetz zeigte sich ÖVP-Abgeordneter Martin Engelberg
(ÖVP). Es sei im Moment die Aufgabe des Parlaments, den 10.000en Betroffenen Klarheit zu verschaffen und ihnen
ein Gefühl der Sicherheit zu geben, als zu analysieren, wer schuld am Brexit hat. Für fahrlässig
hätte es Engelberg gehalten, das Begleitgesetz zu einem späteren Zeitpunkt auf den Weg gebracht zu haben.
"Wir wissen fast stündlich nicht, was in London passiert", so der Abgeordnete. Laut seinen Informationen
werden die österreichischen BürgerInnen auch im Fall eines harten Brexit mit den weitgehend gleichen
Rechten im Vereinten Königreich leben können.
Österreichs Vorkehrungen für einen ungeregelten Brexit
Im Brexit-Begleitgesetz geht es insbesondere um den Aufenthaltsstatus von in Österreich lebenden britischen
StaatsbürgerInnen, Bestimmungen für Studierende sowie Übergangsregelungen für britische Gesellschaften,
die im Vereinigten Königreich registriert sind und einen Verwaltungssitz in Österreich haben. Auch für
heimische Vorsorgekassen und Versicherungen, die in britische Kapitalanlagefonds investiert haben, sind Übergangsfristen
vorgesehen. Wirksam werden sollen die einzelnen Bestimmungen nur dann, wenn kein Vertrag zwischen der EU und Großbritannien
über den Brexit zustande kommt.
Die Regierung geht davon aus, dass vom Brexit rund 11.000 in Österreich gemeldete britische StaatsbürgerInnen
und ihre drittstaatsangehörigen Familienmitglieder betroffen sind. Ihnen soll die vereinfachte Erlangung eines
Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz mit freiem Arbeitsmarktzugang ermöglicht
werden. Wer sich Ende März 2019 schon mehr als fünf Jahre rechtmäßig in Österreich aufgehalten
hat, soll demnach auf einen unbefristeten Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" umsteigen können.
Den anderen steht ein erleichterter Zugang zur "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" offen. Laut Erläuterungen
wird in den meisten Fällen nur zu prüfen sein, ob die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche
Ordnung und Sicherheit darstellt. Beantragt werden muss der neue Aufenthaltstitel innerhalb von sechs Monaten nach
dem Brexit.
Ergänzend zum Brexit-Begleitgesetz wurde auch eine Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes beschlossen,
der eine Übergangsbestimmung für fondsgebundene Lebensversicherungen vorsieht. Damit will man vermeiden,
dass Anteile an bestimmten britischen Kapitalanlagefonds bis zum Wirksamwerden des Austritts möglicherweise
unter Verlusten veräußert werden müssen
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