Wien (öaw) - Dunkle-Materie-Teilchen können wie Billardkugeln voneinander abprallen, um sich in Galaxien
umzuverteilen – zumindest, wenn sie mit einer bestimmten Geschwindigkeit unterwegs sind. Das berichtet ein internationales
Forschungsteam mit Physiker/innen der ÖAW im Fachmagazin „Physical Review Letters“.
Dunkle Materie macht mehr als 80 Prozent der Materie im Universum aus. Sie gilt aufgrund ihrer Gravitationskraft
als zentraler Baustein für die Herausbildung von Sternen und Galaxien und damit als eine Grundlage unserer
Existenz. Trotz ihrer in vielen Theorien wiederholt nachgewiesenen Bedeutung, entzieht sie sich bis heute einer
näheren Untersuchung. Viele ihrer Eigenschaften erscheinen nach wie vor mysteriös.
Eines dieser Mysterien der Dunklen Materie ist die Ursache ihrer ungleichen Verteilung: Wenn die einzige Kraft,
durch die Dunkle Materie wirken kann, die anziehende Schwerkraft ist, dann müsste die Dichte der Dunklen Materie
im Zentrum von Galaxien eigentlich sehr hoch werden. Das trifft auch für größere Systeme wie Galaxiehaufen
zu. Allerdings scheint die Dunkle Materie gerade in den Zentren kleiner, lichtschwacher Galaxien – den so genannten
Zwergsphäroiden – nicht so dicht zu werden wie erwartet.
Dieses Verhalten kann erklärt werden, wenn die Dunkle Materie in der Lage ist, mit sich selbst zu interagieren.
Man kann sich das so vorstellen, wie Billardkugeln, die miteinander kollidieren und sich nach einer Kollision gleichmäßiger
am Billardtisch verteilen. Das Problem: Während diese Erklärung sich bei kleineren Systemen astronomisch
beobachten lässt, führen die Kollisionen bei größeren Galaxiehaufen aber zu abweichenden Resultaten.
Kinderschaukeln und Teilchenphysik
Bei der Suche nach einer Lösung stießen Forscher/innen des Instituts für Hochenergiephysik der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gemeinsam mit Kolleg/innen des Kavli Institute for
Physics and Mathematics of the Universe in Japan und des Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) nun auf einen
neuen Erklärungsansatz: die Resonanz.
"Damit es überhaupt zu einer Kollision zwischen Dunkle-Materie-Teilchen kommen kann, muss eine bestimmte
Resonanz getroffen werden – in Form einer niedrigen, aber sehr bestimmten Geschwindigkeit, mit der sich die Teilchen
bewegen", sagt Xiaoyong Chu, Erstautor der im Fachmagazin "Physical Review Letters" erschienenen
internationalen Studie. "In Zwergsphäroiden bewegen sich die Teilchen der Dunklen Materie generell langsamer.
Daher ist die Wahrscheinlichkeit die Resonanz zu treffen wesentlich größer als zum Beispiel in Galaxiehaufen,
wo die meisten Teilchen zumeist mit größerer Energie unterwegs sind", so der PostDoc-Forscher an
der ÖAW weiter.
Wie ein Kind auf einer Schaukel, das mit einer ganz bestimmten Frequenz angeschoben werden muss, um höher
zu schwingen, bedarf es auch bei der Dunklen Materie einer ganz bestimmten Energie, wie Co-Autor Hitoshi Murayama,
Professor an der University of California Berkeley und Principal Investigator am Kavli Institute for the Physics
and Mathematics of the Universe, bestätigt: "Die Teilchen der Dunklen Materie kollidieren sehr viel häufiger,
wenn sie sich mit einer bestimmten Energie bewegen. Soweit wir wissen, ist dies die einfachste Erklärung für
das Rätsel. Sie könnte uns beim Verständnis, was Dunkle Materie ist, ein großes Stück
voranbringen", sagt Murayama.
Schlüssel für Formen von Galaxien
Von der Genauigkeit dieses Lösungsansatzes war das internationale Forschungsteam selbst überrascht. "Zuerst
waren wir etwas skeptisch, ob diese Idee die Daten aus Beobachtungen erklären würde. Als wir es aber
ausprobiert haben, hat sich dieser Ansatz vollständig bewährt", bestätigt Co-Autor Camilo Garcia
Cely, Postdoc bei DESY.
Die neue, vom New Frontiers Research Groups Programme der ÖAW geförderte Arbeit will das internationale
Forscher/innenteam nun in einem nächsten Schritt mit weiteren Messdaten überprüfen – unter anderem
mithilfe des Prime Focus Spektrograph, der derzeit auf Hawaii installiert wird. "Wenn auch diese Daten unsere
Ergebnisse bestätigen, wird die zukünftige und detailliertere Beobachtung verschiedener Galaxien zeigen,
dass die Streuung der Dunklen Materie tatsächlich von ihrer Geschwindigkeit abhängt", sagt Murayama.
Die Antwort auf dieses jahrelang ungelöste Problem könnte letztlich zur Erklärung beitragen, warum
Galaxien – von den kleinsten bis zu den größten – unter der Gravitationskraft der Dunklen Materie ihre
jeweilige Form eingenommen haben.
Publikation
"Velocity Dependence from Resonant Self-Interacting Dark Matter",
Xiaoyong Chu, Camilo Garcia-Cely, and Hitoshi Murayama, Physical Review Letters, 2019
DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.071103
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