„Viele Mädchen werden von Familien
 kontrolliert – das ist inakzeptabel!“

 

erstellt am
05. 03. 19
13:00 MEZ

Themen der Diskussion in der Grazer Berufsschule für Friseurgewerbe mit ZUSAMMEN:ÖSTERREICH-Integrationsbotschafterin Saric: Gleichberechtigung, patriarchale Familienstrukturen und wie Leistung Freiheit schaffen kann.
Graz/Wien (öif) - Am 4. März besuchte die Initiative ZUSAMMEN:ÖSTERREICH die Grazer Berufsschule für Friseurgewerbe. Die ehrenamtlichen Integrationsbotschafter/innen Emina Saric (Integrationsexpertin und Leiterin des Projekts „Heroes“), Sabina Dzalto (leitende Mitarbeiterin einer NGO) sowie Köksal Baltaci (Journalist und Redakteur der Tageszeitung „Die Presse“) sprachen mit den rund 60 Schülerinnen und Schülern im Alter von 15 bis 20 Jahren über Gleichberechtigung, die Rechte und Chancen von Mädchen, Herausforderungen vor dem Hintergrund patriarchaler Rollenbilder und darüber, wie Fleiß und Engagement ihnen auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben helfen können.

Saric: „Patriarchale Traditionen dürfen wir nicht hinnehmen“
Emina Saric, die selbst aus Bosnien und Herzegowina stammt und während des Balkankriegs vor 28 Jahren als Flüchtling nach Österreich kam, arbeitet heute als Leiterin des Projekts „Heroes“ mit jungen Männern aus sogenannten „Ehrkulturen“. „Kulturen, in denen Frauen und Männer gänzlich unterschiedliche Rollen haben und Väter sowie Brüder über das Leben der weiblichen Familienmitglieder bestimmen“, erklärte Saric den Schülerinnen und Schülern. Sie forderte die anwesenden Mädchen und Burschen auf, diese patriarchalen Muster zu hinterfragen und sie nicht hinzunehmen: „Ich beschäftige mich in meinem Beruf mit Frauen, die Gewalt erleben, die zwangsverheiratet, genitalverstümmelt oder geschlagen werden. Diese Gewalt kommt aus sehr starren, patriarchalen Traditionen, da muss man ganz genau hinschauen.“ Saric betonte: „Mir war auch immer wichtig, mitzuwirken und in der Gesellschaft etwas zu verändern – das wollte ich auch für meine Tochter tun.“

„Mädchen und Burschen werden andere Rollen zugeteilt“
Emina Saric ist langjährige Beraterin für Frauen, die Gewalt erlebt haben, und hat auch in der eigenen Familie die kulturellen Unterschiede in der Behandlung von Frau und Mann erfahren. „Es gibt in der Kultur, aus der ich stamme, unterschiedliche Rollen für Mädchen und Burschen. In meiner Familie mussten Mädchen brav sein und vorgegebenen Regeln folgen. Lange wurde ich schief angesehen, weil ich beispielsweise nicht verheiratet war“, erzählte Saric. „Wenn Eltern Vorstellungen haben, denen man nicht entspricht, wird bei Mädchen und Frauen häufig von Schande gesprochen. Es gibt für sie bestimmte Vorschriften, die Kleidung, den beruflichen Weg oder das Verhalten betreffend: Viele Mädchen und Frauen stehen ihr Leben lang unter der Kontrolle ihrer Familie, das geht so weit, dass sogar Handys oder Facebook-Seiten kontrolliert werden. Das ist inakzeptabel, weibliche Selbstbestimmung kann niemals eine Schande sein!“ Für die anwesenden Schüler/innen hatte Saric eine klare Botschaft: „Der Krieg in Ex-Jugoslawien hat meine Pläne und Träume zerstört, ich habe den letzten Zug aus Sarajevo ins Ungewisse genommen und wusste nicht, wie es weitergehen wird. Aber: Ich habe hart gearbeitet und mich durchgesetzt.“ Entscheidend für ihr berufliches Vorankommen war das Erlernen der deutschen Sprache: „Ich wusste, dass ich nur vorankomme, wenn ich mit den Menschen sprechen kann. Erst dann kann ich Teil der Gesellschaft sein und sie mitgestalten.“

Dzalto: „Verschafft euch mit Leistung Respekt und Freiräume!“
Sabina Dzalto, deren Eltern Ende der 1960er-Jahren aus Bosnien und Herzegowina bzw. Kroatien nach Österreich zugewandert sind und die heute in leitender Funktion in einer NGO tätig ist, berichtete in der Diskussion mit den Schülerinnen und Schülern, wie sie für ihren Bildungsweg kämpfen musste: „Bei meinem jüngeren Bruder wurde viel mehr Wert darauf gelegt, dass er in der Schule gut war. Bei mir schien das meinen Eltern nicht so wichtig, denn sie dachten, dass ich zur Not ja heiraten könne. Aber ich wollte selbst etwas schaffen. Am Ende habe ich mit Auszeichnung maturiert.“ Dzalto erzählte, dass dies nicht selbstverständlich war, habe sie doch als Mädchen gerade bei ihrem Vater um jede Freiheit kämpfen müssen: „Ich musste vieles heimlich machen, weil mir verboten wurde, was meinem Bruder erlaubt war. Meine Selbstständigkeit musste ich mir früh erarbeiten.“ Die angehenden Friseurinnen und Friseure beim ZUSAMMEN:ÖSTEREICH-Schulbesuch forderte Sabina Dzalto auf, selbst Verantwortung für ihre Zukunft zu übernehmen: „Bemüht euch und lasst nicht andere über euer Leben bestimmen, sondern schafft euch mit Leistung Respekt und Freiräume. Ihr habt mit eurer Ausbildung wertvolle Möglichkeiten! Engagiert euch, geht mit offenen Augen durch die Welt und nehmt teil an dieser Gesellschaft.“

Baltaci: „Finanzielle Unabhängigkeit ist für Frauen besonders wichtig“
Journalist Köksal Baltaci ist als Kind türkischer Gastarbeiter in Tirol aufgewachsen und weiß, wie groß das Gefälle zwischen Frau und Mann in einer patriarchal geprägten Kultur sein kann: „Meine Geschwister und ich haben selbst erlebt, was es heißt, wenn der Mann in der Familie das Sagen hat, weil er das Geld verdient, und die Frau, obwohl sie ebenso hart arbeitet und die Kinder versorgt, keine Wertschätzung erlebt.“ Baltaci, dessen Eltern kaum Deutsch sprechen und ihre Kinder auf dem Bildungsweg wenig unterstützen konnten, entwickelte sich mit Talent und Fleiß zu einem der gefragtesten Journalisten Österreichs. Er appellierte an die Schüler/innen, die Möglichkeiten hierzulande auszuschöpfen: „In Österreich kann man mit Fleiß und Ehrgeiz viel erreichen. Wenn man die Möglichkeiten nutzt, kann man ein selbstbestimmtes, erfolgreiches Leben führen – Männer und Frauen gleichermaßen. Das ist gerade für Mädchen wichtig, weil manche Männer immer noch nicht akzeptieren wollen, dass Frauen nicht von ihnen abhängig sind. Leistung stellt alles andere in den Hintergrund, man kann Mann oder Frau, Ausländer oder Inländer sein.“

Über ZUSAMMEN:ÖSTERREICH
Seit 2011 geht die Initiative ZUSAMMEN:ÖSTERREICH mit ehrenamtlichen Integrationsbotschafter/innen in Schulen und Vereine, um Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund zu motivieren, ihre Chancen in Bildung, Beruf und Gesellschaft zu nutzen. Rund 65.000 Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund konnten seitdem von den Schulbesuchen der ehrenamtlich tätigen Integrationsbotschafter/innen profitieren..

 

 

 

Weitere Informationen:
http://www.zusammen-oesterreich.at

 

 

 

 

 

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