Themen der Diskussion in der Grazer Berufsschule für Friseurgewerbe mit ZUSAMMEN:ÖSTERREICH-Integrationsbotschafterin
Saric: Gleichberechtigung, patriarchale Familienstrukturen und wie Leistung Freiheit schaffen kann.
Graz/Wien (öif) - Am 4. März besuchte die Initiative ZUSAMMEN:ÖSTERREICH die Grazer Berufsschule
für Friseurgewerbe. Die ehrenamtlichen Integrationsbotschafter/innen Emina Saric (Integrationsexpertin und
Leiterin des Projekts „Heroes“), Sabina Dzalto (leitende Mitarbeiterin einer NGO) sowie Köksal Baltaci (Journalist
und Redakteur der Tageszeitung „Die Presse“) sprachen mit den rund 60 Schülerinnen und Schülern im Alter
von 15 bis 20 Jahren über Gleichberechtigung, die Rechte und Chancen von Mädchen, Herausforderungen vor
dem Hintergrund patriarchaler Rollenbilder und darüber, wie Fleiß und Engagement ihnen auf ihrem Weg
in ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben helfen können.
Saric: „Patriarchale Traditionen dürfen wir nicht hinnehmen“
Emina Saric, die selbst aus Bosnien und Herzegowina stammt und während des Balkankriegs vor 28 Jahren
als Flüchtling nach Österreich kam, arbeitet heute als Leiterin des Projekts „Heroes“ mit jungen Männern
aus sogenannten „Ehrkulturen“. „Kulturen, in denen Frauen und Männer gänzlich unterschiedliche Rollen
haben und Väter sowie Brüder über das Leben der weiblichen Familienmitglieder bestimmen“, erklärte
Saric den Schülerinnen und Schülern. Sie forderte die anwesenden Mädchen und Burschen auf, diese
patriarchalen Muster zu hinterfragen und sie nicht hinzunehmen: „Ich beschäftige mich in meinem Beruf mit
Frauen, die Gewalt erleben, die zwangsverheiratet, genitalverstümmelt oder geschlagen werden. Diese Gewalt
kommt aus sehr starren, patriarchalen Traditionen, da muss man ganz genau hinschauen.“ Saric betonte: „Mir war
auch immer wichtig, mitzuwirken und in der Gesellschaft etwas zu verändern – das wollte ich auch für
meine Tochter tun.“
„Mädchen und Burschen werden andere Rollen zugeteilt“
Emina Saric ist langjährige Beraterin für Frauen, die Gewalt erlebt haben, und hat auch in der eigenen
Familie die kulturellen Unterschiede in der Behandlung von Frau und Mann erfahren. „Es gibt in der Kultur, aus
der ich stamme, unterschiedliche Rollen für Mädchen und Burschen. In meiner Familie mussten Mädchen
brav sein und vorgegebenen Regeln folgen. Lange wurde ich schief angesehen, weil ich beispielsweise nicht verheiratet
war“, erzählte Saric. „Wenn Eltern Vorstellungen haben, denen man nicht entspricht, wird bei Mädchen
und Frauen häufig von Schande gesprochen. Es gibt für sie bestimmte Vorschriften, die Kleidung, den beruflichen
Weg oder das Verhalten betreffend: Viele Mädchen und Frauen stehen ihr Leben lang unter der Kontrolle ihrer
Familie, das geht so weit, dass sogar Handys oder Facebook-Seiten kontrolliert werden. Das ist inakzeptabel, weibliche
Selbstbestimmung kann niemals eine Schande sein!“ Für die anwesenden Schüler/innen hatte Saric eine klare
Botschaft: „Der Krieg in Ex-Jugoslawien hat meine Pläne und Träume zerstört, ich habe den letzten
Zug aus Sarajevo ins Ungewisse genommen und wusste nicht, wie es weitergehen wird. Aber: Ich habe hart gearbeitet
und mich durchgesetzt.“ Entscheidend für ihr berufliches Vorankommen war das Erlernen der deutschen Sprache:
„Ich wusste, dass ich nur vorankomme, wenn ich mit den Menschen sprechen kann. Erst dann kann ich Teil der Gesellschaft
sein und sie mitgestalten.“
Dzalto: „Verschafft euch mit Leistung Respekt und Freiräume!“
Sabina Dzalto, deren Eltern Ende der 1960er-Jahren aus Bosnien und Herzegowina bzw. Kroatien nach Österreich
zugewandert sind und die heute in leitender Funktion in einer NGO tätig ist, berichtete in der Diskussion
mit den Schülerinnen und Schülern, wie sie für ihren Bildungsweg kämpfen musste: „Bei meinem
jüngeren Bruder wurde viel mehr Wert darauf gelegt, dass er in der Schule gut war. Bei mir schien das meinen
Eltern nicht so wichtig, denn sie dachten, dass ich zur Not ja heiraten könne. Aber ich wollte selbst etwas
schaffen. Am Ende habe ich mit Auszeichnung maturiert.“ Dzalto erzählte, dass dies nicht selbstverständlich
war, habe sie doch als Mädchen gerade bei ihrem Vater um jede Freiheit kämpfen müssen: „Ich musste
vieles heimlich machen, weil mir verboten wurde, was meinem Bruder erlaubt war. Meine Selbstständigkeit musste
ich mir früh erarbeiten.“ Die angehenden Friseurinnen und Friseure beim ZUSAMMEN:ÖSTEREICH-Schulbesuch
forderte Sabina Dzalto auf, selbst Verantwortung für ihre Zukunft zu übernehmen: „Bemüht euch und
lasst nicht andere über euer Leben bestimmen, sondern schafft euch mit Leistung Respekt und Freiräume.
Ihr habt mit eurer Ausbildung wertvolle Möglichkeiten! Engagiert euch, geht mit offenen Augen durch die Welt
und nehmt teil an dieser Gesellschaft.“
Baltaci: „Finanzielle Unabhängigkeit ist für Frauen besonders wichtig“
Journalist Köksal Baltaci ist als Kind türkischer Gastarbeiter in Tirol aufgewachsen und weiß,
wie groß das Gefälle zwischen Frau und Mann in einer patriarchal geprägten Kultur sein kann: „Meine
Geschwister und ich haben selbst erlebt, was es heißt, wenn der Mann in der Familie das Sagen hat, weil er
das Geld verdient, und die Frau, obwohl sie ebenso hart arbeitet und die Kinder versorgt, keine Wertschätzung
erlebt.“ Baltaci, dessen Eltern kaum Deutsch sprechen und ihre Kinder auf dem Bildungsweg wenig unterstützen
konnten, entwickelte sich mit Talent und Fleiß zu einem der gefragtesten Journalisten Österreichs. Er
appellierte an die Schüler/innen, die Möglichkeiten hierzulande auszuschöpfen: „In Österreich
kann man mit Fleiß und Ehrgeiz viel erreichen. Wenn man die Möglichkeiten nutzt, kann man ein selbstbestimmtes,
erfolgreiches Leben führen – Männer und Frauen gleichermaßen. Das ist gerade für Mädchen
wichtig, weil manche Männer immer noch nicht akzeptieren wollen, dass Frauen nicht von ihnen abhängig
sind. Leistung stellt alles andere in den Hintergrund, man kann Mann oder Frau, Ausländer oder Inländer
sein.“
Über ZUSAMMEN:ÖSTERREICH
Seit 2011 geht die Initiative ZUSAMMEN:ÖSTERREICH mit ehrenamtlichen Integrationsbotschafter/innen in
Schulen und Vereine, um Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund zu motivieren, ihre Chancen in Bildung,
Beruf und Gesellschaft zu nutzen. Rund 65.000 Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund konnten
seitdem von den Schulbesuchen der ehrenamtlich tätigen Integrationsbotschafter/innen profitieren..
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