Europa plant eine "Zeitmaschine" und die Österreichische Nationalbibliothek
ist dabei
Brüssel/Wien (onb) - Die Europäische Kommission hat entschieden: Das Time Machine-Projekt kommt
als eines von sechs exzellenten Projekten mithilfe einer großzügigen Anschubfinanzierung in die nächste
Ausarbeitungsphase. Zur Erstellung eines detaillierten, strategischen Vorschlages für die nächsten 10
Jahre stellt die EU 1 Million Euro zur Verfügung. Ziele sind die Erstellung und Nutzbarmachung großer
Datenmengen – Stichwort „Big Data of the past“. Im Rahmen der Time Machine werden neue Formen der Digitalisierung
entwickelt sowie verschiedenste Technologien aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz erprobt, um Europas
außerordentliches kulturelles Erbe zu heben und somit den offenen und kostenfreien Zugang zu Informationen
zu ermöglichen, die den Weg ebnen für weitere wissenschaftliche und technologische Entwicklungen für
das Europa der Zukunft.
Systeme basierend auf künstlicher Intelligenz auf höchstem Niveau
Für die Time Machine werden hochentwickelte Technologien aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz
entwickelt, mit deren Hilfe riesige Mengen an komplexen historischen Daten zusammengeführt werden können.
Fragmentierte Informationsquellen – mit Inhalten, die von mittelalterlichen Manuskripten bis zu historischen Objekten
oder Smartphone- und Satellitenfotos reichen – werden so zu für die Industrie nutzbarem Wissen. Ziel ist die
Erstellung einer großflächigen digitalen Infrastruktur, die Europas gesamte soziale, kulturelle und
geographische Evolution abbildet. In Anbetracht des schieren Ausmaßes und der Komplexität der Daten
haben die für Time Machine entwickelten Künstliche Intelligenz-Technologien das Potenzial, Europa einen
immensen Wettbewerbsvorteil im globalen Rennen um die Entwicklung von derartigen Technologien zu verschaffen.
„Die Time Machine wird höchstwahrscheinlich eines der am höchsten entwickelten Künstliche Intelligenz-Systeme
hervorbringen. Mit ihm können nicht nur die Datenströme der Gegenwart vermessen werden, wie es gängige
Systeme bereits beherrschen, sondern viel weitere geographische Räume und historische Epochen erfasst werden“,
sagt Frédéric Kaplan, Professor für Digital Humanities (Digitale Geisteswissenschaften) an der
Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) und Koordinator des Time Machine-Projekts. Diese
neue Wissensquelle wird zum Motor für die Wirtschaft, die neue Berufe, Dienstleistungen und Produkte kreiert
in Bereichen wie Bildung, Creative Industries, Politikgestaltung, smartem Tourismus, Smart Cities und Umweltgestaltung.
Eine neue Ära der Geistes- und Sozialwissenschaften
Das Time Machine-Projekt katapultiert die Geistes- und Sozialwissenschaften in eine neue Ära, da sie mithilfe
einheitlicher Daten und künstlicher Intelligenz den offenen Zugang zu Europas Vergangenheit ermöglicht.
ForscherInnen bekommen dadurch „Superkräfte”, die Recherchemöglichkeiten jedes/jeder Einzelnen werden
revolutioniert, und Projekte aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften erhalten eine völlig neue
Größendimension. Das so zusammengetragene Wissen hilft bei der Entwicklung neuer pan-europäischer
Strategien zur Beantwortung der großen Fragen; Herausforderungen wie nachhaltiges Wachstum, soziales Wohlergehen,
Migration und die Integration von Migranten und Migrantinnen sowie die Erhaltung der europäischen Demokratie
können völlig neu betrachtet werden.
Veränderungen im Bildungssystem
Bildung ist ein zentraler Faktor, wenn es um das soziale und ökonomische Wohlergehen in Europa und der Welt
geht. Die Time Machine wird wesentlich zur Transformation des bestehenden Bildungssystems beitragen, indem sie
eine neue, dynamische Industrie für die Produktion von digitalem Lehr-Material erschafft, basierend auf riesigen,
geordneten Datenmengen. Die so entstehenden Online-Kurse, Materialien, Simulationen und weitere Erfahrunsmöglichkeiten
von Geschichte unterstützen die aktive Auseinandersetzung mit Europas geteiltem kulturellen Erbe und erleichtern
so lebenslanges Lernen für jeden und jede.
Kulturelles Erbe als Europas wertvollstes wirtschaftliches Kapital
Das kulturelle Erbe ist Europas wertvollstes Kapital. Das für 10 Jahre angelegte Time Machine-Projekt wird
daher durch seine Innovationen zeigen, dass dieses anstatt eines Kostenfaktors zum wichtigen ökomomischen
Motor vieler Industrien werden kann. Dies beinhaltet z.B. die Entwicklung von marktgesteuerten Plattformen für
Dienstleistungen in Bereichen wie den Creative Industries, den Medien, Smart Cities und in der Landschaftsplanung.
Diese Industrien dienen dem pan-europäischen Wissensaustausch und fügen den Möglichkeiten strategischer
Planung eine neue Dimension hinzu.
Einmalige Institutionen-Allianz und Städte-Netzwerk
Das Time Machine-Projekt unterstützt eine einmalige Allianz zwischen führenden europäischen akademischen
Institutionen sowie Gedächtnisinsitutionen und privaten Firmen, die alle eines gemein haben – das Wissen um
das große Potenzial der Digitalisierung. Zu den 33 Hauptprojektpartnern kommen weitere 200 Organisationen
aus 33 Ländern hinzu, die sich für das EU-finanzierte Projekt zusammenschließen. Dazu zählen
sieben Nationalbibliotheken (Österreich, Belgien, Frankreich, Israel, Niederlande, Spanien, Schweiz), 19 Staatsarchive
(Belgien, Bulgarien, Kroatien, Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Deutschland, Ungarn, Litauen,
Malta, Norwegen, Polen, Rumänien, Slovenien, Spanien, Slowakei, Schweden und Schweiz), bekannte Museen (Louvre,
Rijksmuseum), 95 akademische und andere Rechercheinstitutionen, 30 europäische Firmen und 18 staatliche Behörden.
Das Time Machine-Projekt ist auch ein wachsendes Netzwerk an Städten, das auf einem „Franchise-Modell“ basiert.
Dies bedeutet, dass sich einzelne WissenschaftlerInnen, Gedächtnisinstitutionen, Behörden sowie Volontären
und Volontärinnen um spezielle Projektfokusse einzelner Städte gruppieren. Die Einbindung einer großen
Anzahl an Freiwilligen, oft lokale BürgerInnen in die Time Machine ist ein Schlüsselelement, um die nachhaltige
Entwicklung des Projekts zu garantieren. Lokale „Zeitmaschinen“ werden derzeit in folgenden Städten entwickelt:
Venedig, Amsterdam, Paris, Jerusalem, Budapest, Regensburg, Nürnberg, Dresden, Antwerpen, Gent, Brügge,
Neapel, Utrecht, Limburg und viele mehr. In den nächsten 12 Monaten wird sich die Time Machine als eine wachsende
Gemeinschaft von Gemeinschaften mithilfe einer standardisierten Plattform vernetzen, die bereits viele Werkzeuge
beinhaltet.
Hintergrund
Anfang 2016 hielt die EU Kommission ein öffentliches Hearing ab, um Ideen für zukünftige wissenschaftliche
und technologische Herausforderungen zu sammeln, die mithilfe eines FET Flagship-Projektes angegangen werden könnten.
Ende 2016 lud EU-Kommissar Günther Oettinger hohe Repräsentanten und Repräsentantinnen aus den Mitgliedstaaten,
der Industrie und dem akademischen Bereich zu einem Runden Tisch ein. Gemeinsam wurden drei Felder abgesteckt,
die sich als am vielversprechendsten für FET Flagship-Projekte darstellten: „Informations- und Kommunikationstechnik
und eine vernetzte Gesellschaft“, „Gesundheit und Biowissenschaften“ und „Energie, Umwelt und Klimawandel“. Im
Oktober 2017 kam es zur Ausschreibung eines Calls zur Vorbereitung zukünftiger Forschungsprojekte als Teil
des Horizon 2020 Programmes für 2018. Von den 33 eingereichten Vorschlägen wurden in einem zweistufigen
Verfahren sechs davon von unabhängigen, hochrangigen Experten und Expertinnen ausgewählt.
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