Der Nationalratspräsident präsentiert gemeinsam mit IFES und Braintrust Antisemitismus-Studie
2018
Wien (pk) - "Wo Antisemitismus auftritt, führt er zu gesellschaftlichen Veränderungen wie
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, antidemokratische Tendenzen und dem Ruf nach einem starken Mann", unterstrich
heute Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka die Bedeutung der Antisemitismus-Studie 2018, die am 15. März
im Rahmen einer Pressekonferenz präsentiert wurde. Auch in Europa habe sich 2015 das gesellschaftliche Bild
gewandelt, der Antisemitismus sei noch immer latent und Österreich keine Insel der Seligen. "Antisemitismus
geht uns alle an", so der Nationalratspräsident.
Die Studie wurde im Auftrag des Nationalratspräsidenten von einer Arbeitsgemeinschaft unter der Führung
von IFES durchgeführt. Gemeinsam mit Sobotka erläuterten Sudienkoordinator Thomas Stern und Eva Zeglovits
als Wissenschaftliche Leitung die Ergebnisse.
Die Studie wird auf der Homepage des Parlaments http://www.parlament.gv.at
veröffentlicht und ist auch auf einer eigenen Website http://www.antisemitismus2018.at
mit Downloads und Hintergrundmaterial abrufbar.
Daten ergeben 10% manifesten und rund 30% latenten Antisemitismus
Die erhobenen Daten belegen, dass der manifeste Antisemitismus mit einem Anteil von rund 10% der Bevölkerung
quantifizierbar ist und sich vor allem im Bereich des rassistischen Antisemitismus und der Holocaustleugnung zeigt.
Zudem liegen eindeutige Indizien für einen latenten Antisemitismus im Ausmaß von rund 30% vor, vor allem
in den Bereichen traditioneller Antisemitismus, auf Israel bezogener Antisemitismus und sekundärer Antisemitismus,
erläuterte Zeglovits. Ein besorgniserregend antisemitisches Potential zeigt sich laut den vorliegenden Ergebnissen
aber bei bereits länger in Österreich ansässigen Arabisch und Türkisch sprechenden Menschen.
Gleichzeitig haben die Daten der Studie aber auch deutlich gemacht, dass sich das Meinungsklima in der Antisemitismusfrage
in Österreich nachhaltig zum Positiven verändert hat, erläuterte Stern. So würden rund 41%
der Befragten zustimmen, dass wir heute eine moralische Verpflichtung haben, den Juden in Österreich beizustehen.
Diese Haltung sei im Kontext der Aktivitäten im Bildungswesen und Medien zur historischen Aufarbeitung des
Holocaust zu sehen. Es sei davon auszugehen, dass ein großer Teil der Bevölkerung gegen Antisemitismus
immunisiert sei.
Dennoch, so macht die Studie deutlich, ergibt der Einfluss von Alter und Bildung der Befragten auf das Antwortverhalten
ein unerwartet differenziertes Bild. Der bisher angenommene lineare Zusammenhang zwischen dem Alter und antisemitischen
Einstellungen wird durch die Daten nur zum Teil bestätigt. Grundsätzlich ergebe aber der Schnitt das
bekannte Muster, wonach mit zunehmendem Alter die Zustimmungsraten zu antisemitischen Aussagen steigen. Stärker
ausgeprägt ist allerdings laut Zeglovits der Bildungseffekt, denn mit steigendem Bildungsgrad geht der Anteil
an antisemitischen Stereotypen zustimmenden Antworten zurück, gleichzeitig steigt der Anteil an Antisemitismus
ablehnenden Antworten. Es wäre aber voreilig zu meinen, dass Bildung vor antisemitischen Einstellungen schützt,
warnte Zeglovits.
Sobotka kündigt einen "Simon-Wiesenthal-Preis" und einen weiteren gesamtgesellschaftlichen Dialog
an
Die Studie verfolgt das Ziel, die bestehende Forschungslücke im Hinblick auf Status und Entwicklung antisemitischer
Tendenzen in Österreich zu schließen – insbesondere vor dem Hintergrund des Gedenkjahres 2018 und angesichts
der Debatte über neue Formen des Antisemitismus in Österreich durch Zuwanderung.
Es sei notwendig, eine sachliche Diskussion und Auseinandersetzung mit dem Thema auf Grund von validen, empirisch
fundierten und transparenten Daten zu führen, erklärte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka das
Motiv für den Auftrag, eine Antisemitismusstudie zu erstellen. Die vorhandenen vereinzelten Studien seien
nicht in einer Reihe zu sehen, die nackten Daten des Verfassungsschutzberichts seien nicht aussagekräftig,
zumal sie einen Rückgang extremistischer Taten und Übertretungen des Verbotsgesetzes ausweisen, die Internetmeldestelle
aber einen deutlichen Anstieg verzeichnet.
Die vorliegende Arbeit biete nun eine wichtige und klare Orientierung, sagte Sobotka und stelle gleichzeitig fest,
dass es keineswegs darum gehe, Schuldige und Sündenböcke zu suchen. "Es geht um eine Analyse und
um Ursachenforschung", so Sobotka.
Der Nationalratspräsident stellte auch klar, dass er beabsichtige, regelmäßig diesbezügliche
Studien in Auftrag zu geben, um noch näher einzelne Bereiche beleuchten zu können – etwa wie tradierte
Werte von Schule und Familie weitergegeben werden.
Zudem wolle er einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs mit den Landtagen, Ministerien und VertreterInnen der Religionsgemeinschaften
und der Zivilgesellschaft in Österreich in die Wege leiten und mit der Wissenschaft in einen Dialog treten.
Die Demokratiewerkstatt entwickle ein eigenes Modul zu diesem Thema und man überlege auch neue Veranstaltungsformate.
Zudem kündigte der Nationalratspräsident die Vergabe eines "Simon-Wiesenthal-Preises" für
Initiativen gegen den Antisemitismus an.
Die Ergebnisse der Studie basieren auf einer umfangreichen Stichprobe von insgesamt 2.100 Interviews unter der
österreichischen Bevölkerung ab 16 Jahre sowie auf zusätzlichen – jedoch nicht repräsentativen
– 300 Interviews mit Türkisch und Arabisch sprechenden Personen. Die Feldarbeit erfolgte durch die Institute
IFES, Demox Research und Telemark, die Auswertung der Erhebungen wurde von IFES und Demox Research vorgenommen.
Es wurden verschiedene Erhebungsmethoden miteinander kombiniert.
|