Brexit: EU-Notfallpläne in der Zielgeraden

 

erstellt am
14. 03. 19
13:00 MEZ

BundesrätInnen erörtern Vorkehrungen für ungeordneten EU-Austritt des Vereinigten Königreichs
Wien (pk) - Der Brexit wirft seine Schatten voraus, nicht nur im Britischen Parlament, wo die Abgeordneten am 13. Feber über einen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) ohne Abkommen abgestimmt haben. Im EU-Ausschuss des Bundesrats diskutierten MandatarInnen und ExpertInnen aus den Ressorts für Finanzen, Bildung und Soziales bereits am Vormittag Auffanglösungen für eine derartiges "No Deal"-Szenario. Erst am 12. März hatte die Mehrheit im Unterhaus des Britischen Parlaments erneut den zwischen britischer Regierung und EU-Kommission ausverhandelten Austrittsvertrag abgelehnt. Einigkeit bestand im Ausschuss, dass die Einhaltung bestimmter Verpflichtungen durch das Vereinigte Königreich auch nach dessen Trennung von der EU in beiderseitigem Interesse liegt. Britische StaatsbürgerInnen auf Auslandsaufenthalt in der Union würden auch nach dem Brexit ihr Aufenthaltsrecht behalten, erfuhr etwa Bundesrat Hubert Koller (SPÖ/St), vorausgesetzt, EU-BürgerInnen auf der Insel erhalten die gleichen Rechte. "Kein Weg führt an der Reziprozität vorbei", betonte Ausschussvorsitzender Christian Buchmann (ÖVP/St) das Prinzip der Wechselseitigkeit in der künftigen Beziehung.

Den heurigen EU-Haushalt samt Förderungen, das Bildungs-Mobilitätsprogramm Erasmus+ und Ansprüche auf Sozialleistungen wählten die BundesrätInnen als Schwerpunkte in der Debatte über die Vorkehrungen, die zur Schadensbegrenzung bei einem ungeordneten EU-Austritt des Vereinigten Königreichs, auch "Hard Brexit" genannt, zu treffen sind.

EU-Haushalt: Beiträge Londons Voraussetzung für Förderungen an UK
Für den EU-Gesamthaushalt 2019 schlägt die EU-Kommission einen rechtlichen "Notfallrahmen " vor, in dem auch im Falle eines "No Deal" EU-Förderungen an berechtigte Stellen im Vereinigten Königreich (UK) bis Jahresende fließen können, sofern das Land nach dem geplanten Austritt Ende März seine Beiträge für 2019 in das EU-Budget einzahlt. Konkret geht es um 17,5 Mrd. €, die heuer an die Union zu überweisen sind, teilte der Experte des Finanzministeriums mit. Einen Teil dieser Gelder habe Brüssel allerdings in den letzten Monaten bereits abgerufen. Zum Schutz der finanziellen Interessen der Union verlangt Brüssel von London, sich bis 18. April 2019 schriftlich zu den Zahlungen zu verpflichten und überdies Kontrollen der geförderten Maßnahmen zuzulassen. Vom Finanzministerium wird der Vorschlag unterstützt, solange er zu keiner Änderung bei den Beitragsanteilen der übrigen EU-Mitgliedsländer führt. Es liege im Interesse aller, dass das Vereinigte Königreich als Nettozahler zum EU-Haushalt weiterhin seinen Beitrag leistet und auch Rückflüsse lukrieren kann, so der Finanzexperte. Vermieden würde dadurch nicht nur eine Lücke im EU-Budget, sondern auch das abrupte Ende der Förderungen an das UK – rund 7,5 Mrd. € mehr als die UK-Einzahlungen ausmachen, wie Wolfgang Beer (SPÖ/W) erfuhr. Als Verordnung des Rats, bei dem das EU-Parlament nur Zustimmungsrecht hat, werde dieser Teil des Brexit-Notfallplans voraussichtlich am 27. März 2019 abgesegnet.

Die Möglichkeit einer Zahlungsverweigerung Londons brachten im Ausschuss Georg Schuster (FPÖ/W), Sonja Zwazl (ÖVP/N) und Stefan Schennach (SPÖ/W) zur Sprache, um Gegenmaßnahmen der EU auszuloten. Schennach wies dabei auch auf die Finanzierungsfrage von EU-Institutionen nach dem UK-Austritt hin und warnte vor einem finanziellen "Supergau" für die EU-27, falls London das Pariser Klimaabkommen verlässt. Rechtliche Handhabe zur Einforderung der britischen EU-Beiträge nach einem ungeordneten Austritt des UK hätte die EU-Kommission kaum, meinte der BMF-Vertreter. Immerhin würden die EU-Verträge dann nicht mehr gelten und auch die im Abkommen festgelegte Übergangsfrist entfalle. Letztendlich gehe es jedoch um die Glaubwürdigkeit des Vereinigten Königreichs auf den internationalen Finanzmärkten, vermutete er schlechtere Ratings als Konsequenz eines Zahlungsstopps, woran wiederum Schennach zweifelte. Der SPÖ-Mandatar sieht Neuwahlen des britischen Parlaments als die vernünftigste Lösung an.

Gibt es kein Austrittsabkommen, habe die Kommission zur Sicherung des EU-Haushalts mehrere Optionen, nannte der Experte als erstes Mittel eine Budgetkürzung in der Höhe des Betrags der Förderungen an das UK. Zahlungen zu verschieben, wäre ebenfalls denkbar, um eine etwaige Lücke zu füllen, außerdem verfüge Brüssel dank diverser Strafzahlungen über "Geld auf der Kante". Die Finanzausstattung von Europäischem Gerichtshof und anderen EU-Institutionen sei gesichert, da direkt aus dem EU-Haushalt gespeist. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger habe sämtliche Einrichtungen bereits 2018 angewiesen, den Brexit bei ihrer Budgetierung zu berücksichtigen.

In ihrem Entwurf hält die Kommission fest, ein Szenario ohne Austrittsabkommen, das die haushaltstechnischen Beziehungen regelt, würde zu einem rechtsfreien Raum führen, der gerade bei Fördervergaben erhebliche Unsicherheiten und Schwierigkeiten hervorrufe. FörderempfängerInnen im Vereinigten Königreich wären am stärksten davon betroffen. Sie würden nicht mehr für Mittel im Rahmen der Unionsprogramme infrage kommen, so die Kommission, außer entsprechende Bestimmungen über die Teilnahme von Trittländern würden den Rechtsakten der EU-Ausgabenprogramme beigefügt. Mit dem vorgelegten Notfallplan will Brüssel die Probleme für die Begünstigten und die EU-27 in Zusammenhang mit dem heurigen Haushalt von vornherein minimieren, in der Annahme, damit auch die Grundlage für die künftige Finanzregelung mit dem Königreich zu schaffen.

Erasmus+: Laufende Auslandsaufenthalte sollen nicht unterbrochen werden
Große Bedeutung hat die Notfallsplanung auch für TeilnehmerInnen am Bildungsprogramm der Europäischen Union, Erasmus+. Jene TeilnehmerInnen, die sich zum Zeitpunkt des Austritts im Vereinigten Königreich befinden, sollen ihren Aufenthalt vertragsgemäß beenden können, geht aus dem Verordnungsvorschlag hervor, den die EU-Kommission im Einvernehmen mit EU-Parlament und Rat als Notfallplan für Erasmus+ ausgearbeitet hat. Gleiches gelte umgekehrt für Personen aus dem Vereinigten Königreich in der EU. Entsprechende Willenserklärungen des Vereinigten Königreichs gibt es dem Bildungsministerium (BMBWF) zufolge. Die EU plane eine formelle Annahme des diesbezüglichen Verordnungsentwurfs und das Inkrafttreten für Mitte März. Fraktionsübergreifend bekannten sich die Ausschussmitglieder zur bildungspolitischen Bedeutung von Erasmus+. Der Bildungsaustausch mit dem UK sei nicht nur zwecks Spracherwerbs unglaublich wertvoll, wie Christoph Längle (FPÖ/V) hervorhob, gerade auch für Lehrlinge biete die Erfahrung in britischen Betrieben einen großen Mehrwert, erinnerte Zwazl (ÖVP/N). In den Verhandlungen sei dies mitzubedenken.

Zum Zeitpunkt des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union werden sich fast 14.000 Lernende aus den EU-27-Staaten im UK aufhalten, fast 7000 britische Staatspersonen sind dann zu Bildungszwecken in der Union, schreibt die Kommission in ihrem Entwurf. Umgelegt auf Österreich gehe man von 825 österreichischen Auszubildenden im UK gegenüber 437 BritInnen an heimischen Bildungseinrichtungen aus, informierte eine Expertin des Bildungsministeriums. Neben StudentInnen an Universitäten wären auch Lehrlinge und Lehrtätige sowie die entsendenden und aufnehmenden Bildungseinrichtungen von den negativen Folgen betroffen, die eine Nicht-Ratifikation des Austrittsabkommens ohne Vorbereitungsmaßnahmen nach sich zieht, warnt Brüssel. Die derzeit an Erasmus+ teilnehmenden Personen müssten ihre Auslandsaufenthalte unterbrechen. Viele Studierende würden außerdem die Möglichkeit verlieren, Leistungspunkte anrechnen zu lassen, und hätten deshalb ein Semester oder ein akademisches Jahr zu wiederholen.

Als Schlüsselinstrument für den Aufbau eines europäischen Bildungsraums bis 2025 müsse die erfolgreiche europäische Mobilitätsinitiative - jährlich nehmen rund 800.000 Menschen teil – vor derartigen Folgen bewahrt werden, mahnt die EU-Kommission. Laufende Aktivitäten von Erasmus+ Aktivitäten, an denen das Vereinigte Königreich beteiligt ist, gelte es, vor einem harten Abbruch zu schützen. Darunter fallen auch bereits bewilligte oder geplante Mobilitätsprojekte und laufende Kooperationen zwischen Bildungseinrichtungen. Das Weiterlaufen der Kooperationsprogramme hänge nur davon ab, dass das UK seinen Beitrag für 2019 in das EU-Budget einzahlt. In weiterer Folge könnte sich das Königreich analog zu anderen Drittstaat an den Erasmus-Programmen beteiligen, was zum beiderseitigen Nutzen wäre, stimmte die BMBWF-Vertreterin mit Bundesrat Schennach (SPÖ/W) überein.

Die angekündigte Verdoppelung des Erasmus-Budgets im Mehrjährigen Finanzrahmen ab 2021 auf 30 Mrd.€ (Kommissionsvorschlag), sei weiterhin geplant, versicherte die Expertin. Das EU-Parlament wolle sogar auf über 40 Mrd.€ aufstocken. Für Studiengänge außerhalb des Erasmus-Programms, auf die Marlene Zeidler-Beck (ÖVP/W) verwies, suche man ressortübergreifend nach gesonderten Regelungen.

Sozialleistungen: bestehende Rechte absichern
Einen wichtigen Teil der Vorsorge- und Notfallpläne für einen harten Brexit stellt der Kommissionsentwurf zur Gewährleistung der sozialen Sicherheit dar. UnionsbürgerInnen im Vereinigten Königreich dürften nicht um ihre vor dem Austrittsdatum erworbenen Rechte gebracht werden, heißt es darin, gleichermaßen großzügig sei mit britischen StaatsbürgerInnen in der EU zu verfahren. Dementsprechend schlägt die EU-Kommission vor, dass die Grundsätze zur Koordinierung der EU-Sozialsysteme wie Gleichstellung von Einkünften, Gleichbehandlung und Zusammenrechnung von Versicherungszeiten weiterhin für betroffene Personen gelten, wenn diese während der EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs ins Land gezogen sind. Für Staatenlose oder Flüchtlinge mit UK-Bezug sowie für Familienangehörige und Hinterbliebene käme diese Regelung ebenfalls zum Tragen.

Das Sozialministerium begrüßt den Verordnungsentwurf, der Rechtssicherheit für die von einem "Hard Brexit" besonders betroffenen Personen schaffe. Eine Umsetzung in österreichisches Recht sei nicht erforderlich, so ein Experte des Sozialministeriums, da der Entwurf lediglich gewisse Rechte klarstelle, die ohnehin bestehen. Die MinisterInnen im Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament haben dem Ministerium zufolge das Vorhaben bereits gebilligt. Nicht enthalten im Entwurf sind laut Sozialministerium die Punkte Krankenversicherung und anwendbares Recht zur Vermeidung von Doppelversicherungen. Auf Nachfragen der BundesrätInnen Christian Buchmann (ÖVP/St), Georg Schuster (FPÖ/W), Stefan Schennach (SPÖ/W) und Marlene Zeidler-Beck (ÖVP/W), unter anderem nach Lösungen für PensionistInnen, die ihren Wohnsitz außerhalb des Heimatlands haben, unterstrich der Ressortvertreter, bilaterale "Mini-Deals" würden das gemeinsame Austrittsabkommen der EU untergraben. Man setze auf ein gemeinsames Vorgehen der EU-27 in den noch offenen Punkten. Bis dahin könnten Privat- beziehungsweise Reiseversicherungen Abhilfe schaffen, wobei für erkrankte Reisende die weltweit gültige Wahlarzthilfe jedenfalls eine Behandlung absichere.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at

 

 

 

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