Wien (universität) - Ein internationales Forschungsteam um den Anthropologen Ron Pinhasi von der Universität
Wien hat die bisher umfassendste Untersuchung uralter DNA von Bewohnern der Iberischen Halbinsel durchgeführt,
deren Resultate einen Zeitraum von 8.000 Jahren umspannen. Analysen zufolge wurde das iberische Y-Chromosom vor
4.000 bis 4.500 Jahren nahezu vollständig ersetzt. Durch die Ergebnisse, die aktuell im Fachjournal Science
erscheinen, ist es nun erstmals möglich, uralte iberische Genominformationen mit historischen Aufzeichnungen
zu vergleichen.
Die bisher umfassendste Untersuchung uralter DNA von BewohnerInnen der iberischen Halbinsel bietet neue Einblicke
in die Populationen, die diese Region in den vergangenen 8.000 Jahren bevölkerten. Am erstaunlichsten ist
wohl die Entdeckung, dass die regionalen Y-Chromosomen während der Bronzezeit nahezu vollständig ersetzt
wurden. Die Analysen der ForscherInnen weisen darauf hin, dass ab dem Jahr 2.500 v. Chr. und während der folgenden
nahezu 500 Jahre turbulente gesellschaftliche Ereignisse dazu führten, dass sich das männliche iberische
Erbgut veränderte.
"In der Erforschung uralter DNA ist das einer der klarsten Beweise für ein Ungleichgewicht bei den Geschlechtern
im prähistorischen Zeitalter", so Iñigo Olalde, Postdoctoral an der Harvard Medical School und
Erstautor der Studie. Im Rahmen der Untersuchungen analysierte die Forschungsgruppe Genome von 403 historischen
BewohnerInnen der Iberischen Halbinsel, die ungefähr zwischen 6.000 v. Chr. und 1.600 n. Chr. lebten, von
975 historischen Menschen von außerhalb der Iberischen Halbinsel und von circa 2.900 heute lebenden Menschen.
Nahezu ein Drittel der Genome stammte von Skeletten, die nicht älter als 2.000 Jahre v. Chr. waren, was die
Anzahl der öffentlich verfügbaren Genome aus diesem relativ jungen Zeitraum um das 25-fache steigert.
Väterliches Erbgut
Die Forschungsgruppe fand heraus, dass die BewohnerInnen der Iberischen Halbinsel diese schon im Jahr 2.500
v. Chr. mit Menschen teilten, die aus Mitteleuropa zugewandert waren und frisches Erbgut aus der russischen Steppe
mitbrachten. Die beiden Gruppen hatten sich innerhalb weniger hundert Jahre stark durchmischt. So fand man beispielsweise
in der bronzezeitlichen Grabungsstätte Castillejo de Bonete in Spanien ein Grab, in dem ein Mann und eine
Frau Seite an Seite begraben waren. Dabei zeigte sich, dass die Frau ausschließlich einheimisches Erbgut
aufwies, während der Mann nicht lange zurückliegend Vorfahren aus Mitteleuropa hatte.
Zu ihrer großen Überraschung stellten die ForscherInnen fest, dass in der Bronzezeit (2.200-900 v. Chr.)
pontisch-kaspische Steppengruppen nach Iberien gezogen sind und die genetische Struktur der lokalen Bevölkerung
maßgeblich beeinflusst haben. Diese Auswirkungen haben ihre Spuren in der genetischen Struktur zukünftiger
Generationen hinterlassen, einschließlich derjenigen der modernen Iberer. Dabei hat sich herausgestellt,
dass diese Auswirkungen Männer wesentlich stärker betraf als Frauen und dabei das männliche Erbgut
fast vollständig ersetzt wurde", erklärt Pinhasi und ergänzt: "Unsere Studie ermöglicht
einen Perspektivwechsel und lädt dazu ein, archäologische Funde aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten".
Die Analyse weiterer Proben aus diesem Zeitalter könnte detaillierte Informationen zur genetischen Veränderung
liefern oder zeigen, dass sich das Y-Chromosom in bestimmten iberischen Populationen oder Regionen weniger stark
verändert hat als in anderen. Wie das Team feststellte, entwickelte sich das männliche Erbgut im Laufe
der Jahrhunderte weiter. Noch heute lässt sich die väterliche Abstammung der meisten heute lebenden iberischen
Männer auf die Zuwanderer der Bronzezeit zurückführen.
Publikation in Science
The genomic history of the Iberian Peninsula over the past 8000
years. Iñigo Olalde, David Reich, Ron Pinhasi Et al., In: Science DOI: 10.1126/science.aav4040
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