Wirtshauskultur in Linz – von 15. März-1. September 2019 im NORDICO Stadtmuseum Linz
Linz (Prost, Mahlzeit! widmet sich der facettenreichen Geschichte des Wirtshauses in Linz und erlaubt einen
Blick hinter die Kulissen dieses Grundpfeilers der Alltagskultur. Das Wirtshaus. Sehnsuchtsort: wenn die Kirchenbank
hart ist, die Arbeit zäh oder wenn daheim das Essen nicht schmeckt. Fluchtpunkt: wenn es draußen - metaphorisch
oder ganz konkret - wieder einmal stürmt und schneit. Als "Lebensraum" im ganz konkreten Sinne begleitet
das Wirtshaus seine Gäste vom Taufessen bis zur Totenzehrung. Wer vermag zu sagen, wie viele Beziehungen am
Gasthaustresen angebandelt wurden? Wie viele Schuhe wurden auf Hochzeiten durchtanzt? Wer zählt die Fluchtachterl
und die Sparvereinsgroschen? Wer die am Stammtisch ausgetüftelten Welterrettungstheorien, die Geschäftsverträge,
die leidenschaftlich geschmiedeten und wieder verworfenen Pläne? Kurz: Wirtshäuser sind die Bühne,
auf der das Leben spielt.
Fortschrittlich und konservativ zugleich, hat das Wirtshaus mit dem ersten Phonographen und dem Kinofilm die
Modernität nach Linz gebracht. In seinem Herzen ist es lange Zeit eine Männerbastion geblieben. Und es
ist nicht nur Austragungsort der Politik, sondern immer wieder - Stichwort Allergenverordnung und Rauchverbot -
auch ihr Spielball.
Mit rund 400 Ausstellungsstücken, davon etwa 150 Leihgaben und Schenkungen aus der Linzer Bevölkerung,
konnten die KuratorInnen Klaudia Kreslehner und Georg Thiel eine Schau zusammenstellen, die aufzeigt, wie das Wirtshaus
das Linz der Vergangenheit prägte und dies bis heute tut.
"Noch nie wurde so viel über Essen geschrieben und diskutiert wie heute. Kochen und gut essen liegt
aktuell im Trend. Wohin geht man also heute zum Mittagstisch und wo trifft man sich abends mit Freunden? Wer sind
die ambitionierten und angesagten Wirte der Stadt? Wie und was kochen sie? In unserer Ausstellung und der zugehörigen
Publikation beschäftigen wir uns mit verschiedenen Aspekten rund ums Wirtshaus: Essen und Trinken, Wirtsleute
und Personal, das Wirtshaus als Arbeitsort, die Gaststube oder dem Gastgarten", erklärt NORDICO Leiterin
Andrea Bina.
"Durch die engagierte Beteiligung der Linzer und Linzerinnen ist es gelungen eine spannende Ausstellung
zur Linzer Wirtshauskultur auf die Beine zu stellen. Das Wirtshaus hat eine lange Tradition in Linz, die von fleißigen
Wirtsleuten immer wieder neu interpretiert wir. Dazu zählt auch das Stärken und Wiederentdecken von regionalen
Produkten, wie das Linzer Bier, das bereits bei elf Wirten wieder ausgeschenkt wird.", ist Vizebürgermeister
und Wirtschaftsreferent Bernhard Baier überzeugt.
"Das NORDICO würdigt mit dieser Ausstellung das Wirtshaus als wichtigen Teil unserer Alltagskultur.
Die Ausstellung ‚Prost, Mahlzeit!' vermittelt Linzer Stadtgeschichte mit einem starken Gegenwartsbezug und lockt
mit einem köstlichen Rahmprogramm", zeigt sich Kulturstadträtin Doris Lang-Mayerhofer begeistert.
"Wer in Linz das Thema Kultur anspricht, wird um das Wirtshaus nicht umhin kommen. Das war in der Vergangenheit
so, das ist heute so und das wird auch in Zukunft noch so sein, wenngleich sich auch die Gastrobranche zeitgemäß
weiterentwickelt", verweist Fachgruppenobmann der oberösterreichischen Gastronomie, Thomas Mayr-Stockinger,
auf die gesellschaftspolitische Schlüsselrolle der Gastwirte und Wirtshäuser in der Landeshauptstadt.
Von der Gaststube über das Extrazimmer zum Fremdenzimmer
Im ersten Ausstellungsraum präsentiert sich die Gaststube in voller Pracht inklusive Schankanlage und
Stammtisch. Die Durchreiche ist mit einem Video bespielt, das einen Blick in die Küche eines Linzer Gasthauses,
in diesem Fall dem Wirtshaus Keintzel in der Rathausgasse, gewährt.
Im Extrazimmer - wie es sich gehört, direkt neben der Stube - findet sich Interieur aus dem ehemaligen
Gasthaus Hagen (später Hagendiele) am Pöstlingberg und dem Gasthaus Hauptmann in Ebelsberg sowie Kunstwerke
von Johann Baptist Reiter und Johann Baptist Wengler. Original-Speisekarten zum Beispiel von Michael Achleitner
um 1900 erzählen von der gastronomischen Vergangenheit der Stadt. Das Wirtshaus als gesellschaftlicher Schmelztiegel
bietet natürlich auch Zündstoff für Streitereien, thematisiert unter anderem in Egon Hofmanns Holzschnitt
Schlägerei im Bauernwirtshaus. Im Gang trifft man schließlich auf Zigaretten-, Zündholz- und Kondomautomaten
sowie ein stilles Örtchen.
Dem Fremdenzimmer ist ein eigener Raum gewidmet. Im Gegensatz zum Gasthaus besitzt der Gasthof bis heute Fremdenzimmer.
Die früher oft bescheidenen Räume beschränkten sich zumeist auf fließendes Wasser (kalt/warm)
und eine Zentralheizung. Bis in die 1980er-Jahre wurde das Niveau allmählich auf die heute üblichen Standards
mit Farbfernseher, Bad und WC gehoben. Aus dem Fremden- wurde ein Gästezimmer. In Gasthöfen, die nicht
modernisierten, blieb das Gäste- ein Fremdenzimmer. Heute dient es häufig auch als Notunterkunft für
Geflüchtete und AsylwerberInnen.
AkteurInnen in der Gastronomie - WirtIn, KöchIn und KellnerIn
Ein Raum in der Schau ist den AkteurInnen in der Linzer Gastronomie gewidmet. In Videoporträts berichten
Sandra Grünberger (Wirtshauskind und Geschäftsführerin von my Indigo), Günter Kaar (ehmaliger
Wirt im Gasthaus Hagen, später Hagendiele), Klaus Petermayr (Ex-Koch), Georgios Nikolaidis (Wirt im Orpheus)
sowie Christian Schimpl (Wirt im Gasthaus zur Eisernen Hand ) und Jacqueline Haslinger (Kellnerin im Gasthaus zur
Eisernen Hand) von den Licht- und Schattenseiten des Arbeitslebens in der Gastronomie.
In Spinden findet sich Kleidung für die verschiedenen Berufsgruppen vom Koch bis zum Zimmermädchen, mit
der die AusstellungsbesucherInnen gerne auch in die verschiedenen Rollen schlüpfen dürfen.
Wirtshaus im Wandel der Zeiten
Die Wirtshäuser in Linz haben im Laufe der letzten Jahrhunderte viele Metamorphosen durchgemacht. Das
erkennt man auch an den Hausnamen, waren diese früher geprägt von allen möglichen Farben (vor allem
Gold), Tieren, Gegenständen oder Städten, sind sie heute oft puristisch, emotional gefärbt oder
zeugen von internationalen Einflüssen: vom Goldenen Kreuz zum Panda Wok, vom Auerhahn zum Herzstück,
vom Wachauer Weinhaus zum Front Food, vom Ursulinenhof zur Stadtliebe, von der Stadt Triest zum muto.
Historische Ansichten zeigen den Wandel den viele Gaststätten bis heute durchmachen, dem gegenübergestellt
sind Fotografien von Otto Hainzl, die die aktuelle Gastronomieszene in Linz vom Gelben Krokodil bis zum Rossbarth
dokumentieren.
Vom Wirtshaus als Ort des geselligen Beisammenseins und Treffpunkt zeugen Objekte wie das Gästebuch aus dem
Gasthaus Zur Stadt Budweis, das sich einst unweit der Nibelungenbrücke direkt an der Pferdeeisenbahn Gmunden
- Budweis befand. In den 1960er-Jahren Treffpunkt für KünstlerInnen und Intellektuelle, haben sich hier
Fritz Aigner, Franz Kain, Peter Kubelka, Margit Palme oder Margarete Pausinger mit persönlichen Einträgen
oder Zeichnungen verewigt.
Die Welt auf dem Teller
Die Internationalisierung in Westeuropa brachte auch "fremdländische" Speisen auf die Teller
der Linzer. Ab 1953 etwa Balkanspezialitäten im Bojar, ab 1954 Ungarisches in der Gulaschhütte oder dem
Puszta-Stüberl und ab 1973 im Herz As in der Altstadt. 1956 folgte der erste Italiener, Alfredo, 1977 das
erste französische Restaurant Le Bistro. Nach und nach kamen chinesische und griechische Lokale hinzu und
1987 öffnete der erste "Afrikaner". Seit den 1990er-Jahren verfügt Linz darüber hinaus
etwa über spanische, indisch-pakistanische, thailändische, japanische oder auch mexikanische Spezialitätenrestaurants.
Neben einer Vielzahl von Fast-Food-Lokalen, die es heute in Linz gibt, griff die Gastronomie auch moderne Ernährungstrends
auf. Neuerdings werden biologische und vegetarische, aber auch vegane Gerichte in gesamt 943 Gastronomiebetrieben
und 54 Hotel- und Beherbergungsbetrieben angeboten.
Rauchverbot
Rauchen im Wirtshaus ist bis heute ein heiß diskutiertes Thema. Bis 1848 herrschte in Österreichs
Städten auf Straßen und Plätzen ein absolutes Rauchverbot. Verstöße dagegen wurden streng
geahndet. Raucher konnten ihrem Laster nur in geschlossenen Räumen frönen, sie taten es vorzugsweise
in Wirtshäusern. Gesellige Raucher schlossen sich zu eigenen Klubs zusammen, in Linz gab es sogar ein Wirtshaus
Zur Pfeife. Zur Standardausstattung des Wirtshaustisches zählte der Aschenbecher, und fast jeder Wirt führte
auch Zigaretten im Sortiment. Ein generelles Rauchverbot in der Gastronomie, wie in den meisten europäischen
Ländern üblich, konnte hierzulande bis dato nicht durchgesetzt werden. Es existiert eine zutiefst österreichische
Lösung. Diese besteht aus Raucher- und Nichtraucherbereichen, die über eine zumeist geöffnete Türe
miteinander verbunden sind.
Publikation
Zur Ausstellung erscheint im Verlag Anton Pustet ein gleichnamiges Buch mit farbigen Abbildungen in deutscher
Sprache. 290 Seiten, € 29
Zahlreiche historische sowie aktuelle Fotografien belegen die reichhaltige Geschichte der Linzer Wirtshauskultur.
Mit Textbeiträgen von Karin Baumgartner, Andrea Bina, Klaudia Kreslehner, Herta Neiß und Georg Thiel
sowie zeitgenössischen Fotografien von Otto Hainzl.
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