Rüdiger Safranski: „Kein Moralisieren der
 Integrationsdebatte, brauchen Diskurs der Mitte“

 

erstellt am
22. 03. 19
13:00 MEZ

Der Philosoph im Gespräch mit Moderator Michael Fleischhacker über Identität, Heimat und Auswirkungen von Migration und Integration auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt
Badenweiler/Wien (öif) - Am 20. März sprach der deutsche Philosoph und Autor Rüdiger Safranski auf Einladung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) in Wien über die Herausforderungen bei der Integration von Flüchtlingen, die Bedeutung von Sprache für die Teilhabe an der Gesellschaft und darüber, warum ein gutes Zusammenleben einen sachlichen Diskurs über Migration und ihre Herausforderungen braucht. Moderiert wurde das Podiumsgespräch im Wiener Weltmuseum von Journalist Michael Fleischhacker, Geschäftsführer der Medien- und Rechercheplattform Quo Vadis Veritas.

Sprachkenntnisse eröffnen Chancen auf Gemeinsamkeit
Philosoph Safranski sieht Sprache als wichtigste Voraussetzung für gelungene Integration: „Wir müssen gesellschaftliche Durchmischung fördern und Fremdheit abbauen. Das gelingt nur über Sprache – sie ist das A und O für das Teilen eines gemeinsamen Lebens.“ Es brauche einen gemeinsamen Alltag, damit Flüchtlinge und Migranten demokratische Werthaltungen erleben und verinnerlichen können: „Um zu vermitteln, was unsere Gesellschaft ausmacht und was an Werthaltungen in unserer Gesellschaft vorhanden ist, braucht es die Teilnahme am gemeinsamen Leben. Dabei geht es nicht um Missionierung, sondern um Kontakt und gesellschaftliche Durchmischung.“ Die Entwicklung von Parallelgesellschaften – besonders auch in Ballungsräumen – sei ein Warnsignal dafür, dass diese Durchmischung durch unkontrollierte Zuwanderung an ihre Grenzen stoßen könne.

„Demokratie schützen und verteidigen“
Durch die starke Migration der letzten Jahre hätten viele Menschen in Österreich und Deutschland subjektiv das Gefühl der Sicherheit in ihrer gewohnten Lebenswelt verloren. Insbesondere die Zuwanderung von Migrant/innen aus muslimisch geprägten Ländern führe zu einem gesellschaftlichen Wandel: „Diese Zuwanderer sind vielfach stark durch stammeskulturelle und religiöse Regeln und Traditionen geprägt, ihre Identität ist klar definiert.“ Das führe in einer pluralen Gesellschaft, in der religiöse Prägungen an Wert verloren hätten, zu Angst und Verunsicherung: „Hier prallen individualistische Vorstellungen auf kollektivistische Kulturen. Das führt bei vielen zu einem Befremdungsgefühl. Die eigene Kultur und Identität muss plötzlich reflektiert werden.“ Safranski plädierte angesichts der Debatten um die Themen Migration und Integration dafür, sich den Wert einer funktionierenden Demokratie wieder bewusster zu machen: „Gerade in Anbetracht der Geschichte Österreichs und Deutschlands müssen wir uns klarmachen, welcher Glücksfall eine funktionierende Demokratie ist. Diese Lebensform müssen wir unbedingt verteidigen und dürfen sie nicht so belasten, dass sie in Gefahr gerät.“

„Nüchternen Blick auf Herausforderungen entwickeln“
Um Verunsicherung und Ängsten entgegenzuwirken, braucht es für Rüdiger Safranski eine konstruktive Diskussion über die Herausforderungen bei der Integration von Flüchtlingen: „Der größte Fehler in der Migrationsdebatte war jener, zu moralisieren. Wir brauchen wieder einen Diskurs der Mitte, wo das Pro und Contra denselben moralischen Standard haben und Meinungen nicht stur in ‚gut‘ und ‚böse‘ unterteilt werden.“ Der fehlende Diskurs der Mitte habe laut Safranski zu einer Polarisierung der politischen Kultur geführt: „Wenn Ängste nicht ernstgenommen werden, führt das zu einem Erstarken der Extreme.“ Vielmehr müsse man wieder einen nüchternen Blick auf Herausforderungen und Probleme entwickeln und diese sachlich diskutieren: „Die Ängste in der Bevölkerung sind nicht nur irrational. Viele Menschen stehen durch die zunehmende Migration unter einem erhöhten Konkurrenzdruck um Arbeitsplätze und Wohnraum – das muss man ernstnehmen und diskutieren.“ Grenzen seien in diesem Zusammenhang sinnvoll, da der Sozialstaat bei grenzenloser Zuwanderung nicht mehr funktionieren könne.

Nächstes ÖIF-Gespräch: Rudolf Burger am 10. April 2019 in Wien
Der Österreichische Integrationsfonds lädt regelmäßig Wissenschaftler/innen, Historiker/innen, Philosoph/innen und Autor/innen zu Podiumsgesprächen und Lesungen, um die Bedeutung einer gemeinsamen Wertebasis für das Zusammenleben sowie die gesellschaftlichen Herausforderungen und aktuellen Entwicklungen im Bereich der Integration aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Am 10. April spricht Philosoph Rudolf Burger mit Journalist Michael Fleischhacker im Wiener Leopold Museum.

 

 

 

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