Aussprache mit Abgeordneten im Vorfeld des EU-Gipfels
Brüssel/Wien (pk) – "Wir können Theresa May positiv signalisieren, dass wir für eine
Verschiebung sind", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz am 20. März im parlamentarischen EU-Hauptausschuss
als Reaktion auf die an diesem Tag von der britischen Premierministerin beantragte Verschiebung für den Austritt
Großbritanniens aus der EU bis 30. Juni. Die Mehrheitsmeinung in der EU sei, den Brexit nach hinten zu verschieben,
um einen ungeordneten Austritt zu vermeiden. Gelöst seien die offenen Streitfragen allerdings nicht. Ziel
bleibe ein Deal noch vor den Europawahlen im Mai, so Kurz, er rechnet wie Kommissionspräsident Jean Claude
Juncker beim morgen startenden EU-Gipfel in Brüssel nicht mit einer endgültigen Klärung. Auch die
Chance für ein zweites Brexit-Referendum sieht der Kanzler im Moment nicht gegeben. Zur Zeit gebe es in Großbritannien
für diese Idee einfach keine nennenswerte Unterstützung.
Geht es nach der SPÖ, sollte die EU eine Brexit-Verschiebung nicht unkritisch befürworten. "Nur
zu sagen, nicht gegen die Wand fahren zu wollen, ist zu wenig", sagte Andreas Schieder (SPÖ). Die Oppositionspartei
vermisst in der britischen Verhandlungsposition eine Perspektive für einen konstruktiven Ausweg. Theresa May
sei nicht mehr der politische Garant dafür, so Schieder, die Entscheidung falle schlussendlich im britischen
Unterhaus. Die Frage sei, was eine Verschiebung bringen soll, ergänzte der Abgeordnete, die Aufgabe der britischen
KollegInnen sei es nun, eine Alternative zu formulieren. Ein entsprechender Antrag auf Stellungnahme, in dem die
SPÖ den Bundeskanzler auffordert, einer Verlängerung der Frist für den Brexit im Europäischen
Rat nur dann zuzustimmen, wenn diese eine tatsächliche Veränderung der Verhandlungsposition erwarten
lässt, wurde nur von den NEOS sowie der Liste JETZT unterstützt und fand damit keine Mehrheit im Ausschuss.
Martin Engelberg (ÖVP) merkte an, dass die von der SPÖ beantragte Mitteilung bereits offizielle EU-Position
sei, es handle sich dabei um ein "explain the obvious". Wer die britische Verhandlungsführung kenne,
wüsste, wie wichtig es sei, in den letzten Tagen die Nerven zu behalten. Nicht weniger essentiell sei es nun
auch innenpolitisch, hinter der Position der Regierung zu stehen und EU-Chefverhandler Michel Barnier zu unterstützen.
Europaminister Gernot Blümel bekräftigte, dass es auch mit einer Brexit-Verschiebung zu keinem Aufschnüren
des ausverhandelten Vertrags kommen werde. May brauche eine technische Verlängerung des Austrittsdatums, um
den Vertrag durch das britische Unterhaus bringen zu können. In der EU würden jedenfalls weiterhin Vorkehrungen
für den Fall eines harten Brexit getroffen. Im Rat für Allgemeine Angelegenheiten seien gestern etwa
11 von 19 Rechtsakte beschlossen worden.
Auf die Frage von Jessi Lintl (FPÖ), warum es in Sachen Backstop kein Entgegenkommen der EU für die Briten
gibt, sagte Blümel, dass es sich im Abkommen dabei um eine Rückversicherung handle, um eine harte Grenze
zwischen Nordirland und Irland zu vermeiden. So eine Rückversicherung müsse auch rechtlich bindend und
zeitlich unbefristet sein. "Es gibt die Befürchtung, dass wieder Blut fließt, wenn es zu einer
harten Grenze kommt", so der Minister. Die Wahrscheinlichkeit, dass es schlussendlich zu keinem Brexit kommt,
bewertet Blümel unter den aktuellen Gegebenheiten als "nicht sehr groß". Die Hand bleibe Richtung
Großbritannien jedenfalls immer ausgestreckt.
US-Strafzölle, Macrons Europa-Pläne, künstliche Intelligenz, Westbalkan
Angesprochen von Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP) auf US-Strafzölle etwa in der Automobilindustrie, erklärte
der Bundeskanzler, dass er bei seinem Besuch Interesse für ein EU-Abkommen ähnlich wie mit Mexiko oder
Kanada vernommen habe. Ob so ein Abkommen schnell gelinge, sei nicht voraussehbar. Mittelfristig sei er jedenfalls
optimistisch, er habe nicht den Eindruck gewonnen, dass vonseiten der USA Interesse an einem langjährigen
Handelskrieg bestehe. Er spreche sich jedenfalls für einen fairer Freihandel mit den USA aus, wie er Douglas
Hoyos-Trauttmansdorff erklärte.
FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus erkundigte sich beim Bundeskanzler, wie er zu den EU-Zukunftsplänen des
französischen Präsidenten Emmanuel Macron steht. Kurz bekräftigte darauf einmal mehr seine Vorstellung
einer subsidiären Union, Macrons Vorschläge sind seiner Meinung nach unterschiedlich zu bewerten. Unterstützenswert
seien etwa die französischen Vorstellungen in Hinblick auf einen stärkeren Außengrenzschutz, kritisch
stehe er allerdings einer Sozialunion gegenüber.
Das Thema künstliche Intelligenz, Datenzugang sowie Datennutzung in Verbindung mit ethischen Codes brachte
Stefanie Cox (JETZT) aufs Tapet. Kurz meinte dazu, dass es für künstliche Intelligenz genauso ethische
Standards geben müsse wie für alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Diese zu formulieren,
sei allerdings komplex und sensibel, im Bundeskanzleramt wird sich laut Informationen des Kanzlers ein Ethik-Rat
mit diesen Fragen befassen. "Wir dürfen uns vor dem Fortschritt nicht fürchten", so Kurz. Einem
europaweiten Sicherheitszertifikat für Cyber-Produkte und -Dienstleistungen stehe er positiv gegenüber.
Was die Heranführung Südosteuropas an die EU betrifft, betonte Blümel, dass der Westbalkan auch
nach der Ratspräsidentschaft ein laufender Schwerpunkt der österreichischen EU- und Außenpolitik
bleibe. Wichtig sei, dass die Union auch weiterhin die Hand ausstreckt und weitere Handlungen setzt, wenn es zu
Fortschritten in den Westbalkan-Staaten kommt. Zumal die Beitrittsperspektive positive Transformationswelle in
der Region auslösen könne.
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