EU muss mehr für die eigene Sicherheit unternehmen

 

erstellt am
20. 03. 19
13:00 MEZ

Verteidigungsminister Kunasek diskutiert im EU-Unterausschuss mit Abgeordneten über Sicherheits- und Verteidigungsstrategie der EU
Brüssel/Wien (pk) - Mit Mario Kunasek war am 19. März erstmals ein Verteidigungsminister im EU-Unterausschuss des Nationalrats, um mit den Abgeordneten zu diskutieren. Konkret informierten Kunasek und seine Ressortexperten die Abgeordneten über EU-Missionen und den Außengrenzschutz und erörterten mit ihnen die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik GSVP. Die Bedrohungen heute seien vielfältig, sagte Kunasek und sprach von "hybriden Bedrohungen" – eine Kombination aus klassischen Militäreinsätzen, wirtschaftlichem Druck, Computerangriffen bis hin zu Propaganda in den Medien und sozialen Netzwerken -, die man nicht alleine bewältigen könne, sondern nur in Zusammenarbeit mit stabilen Partnern. Er sprach sich für eine enge Kooperation aus, eine EU-Armee lehnte er aber ab.

Die EU werde mit der GSVP nicht in Konkurrenz zur NATO treten, unterstrich der Minister, vielmehr gehe es im Rahmen der EU-Globalstrategie darum, mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen und eine europäische Handlungsautonomie zu erreichen. Bestimmend für die Verteidigungsplanung seien die sogenannten Petersberger Aufgaben (humanitäre Aufgaben, Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen), ferner der Schutz Europas und seiner BürgerInnen – ein neuer Punkt – und die Unterstützung der Partnerstaaten, mit ihren Kapazitäten umgehen zu können.

Der Minister zog bei dieser Gelegenheit auch eine positive Bilanz der EU-Ratspräsidentschaft in seinem Bereich. So sei in Bezug auf die EU-Globalstrategie im Bereich der Weiterentwicklung der Fähigkeiten, der Finanzierung und der Strukturen etwas weitergegangen. PESCO, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, ist laut Kunasek das Instrument, um selbstgesteckte Ziele auf den Weg zu bringen. Insgesamt gebe es dabei 34 Projekte, wobei sich Österreich an fünf Projekten teilweise federführend beteilige. Er sehe dabei auch keinerlei Diskrepanzen zur Neutralität, betonte er gegenüber den Abgeordneten Klaudia Friedl (SPÖ), Rudolf Plessl (SPÖ), Wolfgang Gerstl (ÖVP) und Petra Wimmer (SPÖ). Er bekannte sich dabei auch zur Verpflichtung nach einem steigenden Budget, räumte aber ein, dass dieses ab dem Jahr 2020 noch nicht sichergestellt sei. Deshalb betrachte er es auch als seine Aufgabe, dieser Verpflichtung nachzukommen. Österreich arbeite auch intensiv in der EU-Verteidigungsagentur mit, informierte er FPÖ-Abgeordneten Markus Tschank.

Als einen Erfolg der österreichischen Ratspräsidentschaft bezeichnete Kunasek die Tatsache, dass im vergangenen Herbst eine gemeinsame Position aller Mitgliedstaaten zum Europäischen Verteidigungsfonds erzielt werden konnte. Der Fonds ist mit 13 Mrd. € im kommenden EU-Finanzrahmen integriert. Mit all diesen Schritten sei es gelungen, Instrumente zu schaffen, um die EU als einen glaubwürdigen Akteur etablieren zu können.

Kunasek: Nein zu einer EU-Armee
Der Verteidigungsminister unterstrich mehrmals die Notwendigkeit einer stärkeren Kooperation in sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen innerhalb der EU. Einer EU-Armee erteilte er aber eine klare Absage. Nicht nur im Hinblick auf die Neutralität, sondern auch im Hinblick auf die Souveränität Österreichs lehne er eine Armee unter einem führenden Kommando von Brüssel ab, stellte er dezidiert nach einer konkreten Frage von Petra Steger (FPÖ) fest.

Er lege darauf Wert, so der Minister, sich auf die klassischen zentralen Aufgaben der militärischen Landesverteidigung wieder zurückzubesinnen, was jedoch keinesfalls das aktive Engagement in der GSVP ausschließt.

23 Stabsoffiziere seien in wichtigen EU-Funktionen tätig, insgesamt seien 1.023 Personen aus Österreich im Einsatz. Es gebe sechs militärische Operationen der EU, Österreich beteiligt sich an vier davon. Darüber hinaus wirke Österreich aktiv an der konzeptionellen Weiterentwicklung der GSVP und der EU-Battlegroups mit.

Kunasek für Assistenzeinsatz auch an den EU-Außengrenzen
Ein Schwerpunkt der österreichischen Ratspräsidentschaft sei auch der EU-Außengrenzschutz gewesen. Der Minister wies in diesem Zusammenhang einmal mehr auf seine Bemühungen hin, das Modell des Assistenzeinsatzes an der österreichischen Grenze auch an den EU-Außengrenzen zu implementieren. Nach kritischen Bemerkungen seitens der Abgeordneten Peter Pilz (JETZT) und Rudolf Plessl (SPÖ), weil die personelle Aufstockung von FRONTEX auf 10.000 Personen seitens des Innenministers nicht gelungen ist, antwortete Kunasek, sein Vorschlag sei lange vor der Nichteinigung der EU-Innenminister vorgelegen. Er verteidigte auch Innenminister Kickl, der den EU-Außengrenzschutz ganz oben auf seiner Agenda gehabt habe.

Das Militär wäre vor allem im Hinblick auf eine rasche Verfügbarkeit und Durchhaltefähigkeit außerordentlich hilfreich, meinte Kunasek, und er habe seinen Kollegen im Rat auch die Fähigkeiten der österreichischen SoldatInnen darstellen können. Jedenfalls dürfe man den Assistenzeinsatz nicht nur quantitativ beurteilen, sondern müsse ihn auch qualitativ gestalten. Kunasek kündigte auch eine diesbezügliche gemeinsame Übung zum Außengrenzschutz in Ungarn an.

Stabile Sicherheitsarchitektur am West-Balkan noch lange nicht gegeben
Österreich habe auch den West-Balkan wieder stärker in der Agenda der EU verankern können, berichtete der Verteidigungsminister nach Wortmeldungen der Abgeordneten Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS), Martin Engelberg (ÖVP), Wendelin Mölzer (FPÖ) und Ernst Gödl (ÖVP). In dieser Region könne man noch lange nicht von einer stabilen Sicherheitsarchitektur sprechen, sagte der Minister. Im Vordergrund stehe aber der Versuch, die Länder dazu zu bringen, die Sicherheitsaufgaben selbst zu bewältigen. Österreich habe mit seinem Engagement im Rahmen von EU-Missionen am Balkan wichtige Akzente gesetzt, und genieße dafür hohe Anerkennung - nicht nur aufgrund der zahlenmäßigen Beteiligung, sondern auch im Hinblick auf das hohe Niveau.

Der West-Balkan werde auch in Zukunft ein Schwerpunktbereich bleiben. Der Fokus werde aber verstärkt auf die Ausbildung gelegt, erläuterte der Minister und nannte die Notwendigkeit, mit diesen Ländern verstärkt einen strategisch-verteidigungspolitischen Dialog zu führen. Kunasek wies auf die geplante Einrichtung regionaler Offiziers- und Trainingsakademien hin, wobei hier stark personell investiert werden müsse. Man habe auch für die kommenden Jahre ein entsprechendes West-Balkan-Paket geschnürt.

Der Minister und seine Experten informierten die Ausschussmitglieder ausführlich über historische Zusammenhänge, Aufgaben und Strukturen der Missionen auf dem West-Balkan, vor allem in Bosnien und Herzegowina. Als eine Problematik sehen sie vor allem die unsachgemäße Lagerung von Kriegsmaterialien und die noch immer bestehende Gefahr der Minen, obwohl das Land seit 2017 minenfrei hätte sein sollen. Darüber hinaus würden noch immer internationale Organisationen die Produktion und den Handel von Rüstungsgütern kontrollieren.

   

Im zweiten Teil des EU-Unterausschusses standen die Pläne zur Etablierung eines Europäischen Verteidigungsfonds auf dem Programm. Damit will die EU mehr Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei militärischer Forschung und Beschaffung von Verteidigungsmaterial erreichen, vor allem aber auch Lücken zwischen Forschung und Entwicklung schließen. Über den entsprechenden Verordnungsentwurf konnte während der österreichischen Ratspräsidentschaft eine gemeinsame Position aller Mitgliedstaaten erzielt werden, im April 2019 soll er beschlossen werden. Der Verteidigungsfonds ist in das Forschungsrahmenprogramm im kommenden Finanzrahmen 2021 bis 2027 integriert, womit erstmals auch ein eigenes Kapitel für Sicherheit und Verteidigung in der Höhe von 13 Mrd. € enthalten ist.

Verteidigungsminister Mario Kunasek sprach in diesem Zusammenhang von einer "riesengroßen Chance" für die heimischen Klein- und Mittelbetriebe. In seinem Ressort sei in der Zwischenzeit ein Konzept im Hinblick auf die heimische strategische Ausrichtung entwickelt worden, erfuhren die Abgeordneten. An der Debatte beteiligten sich Alois Rosenberger (ÖVP), Hermann Krist (SPÖ) und Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS).

Verteidigungsfonds soll Forschung fördern
Mit dem EU-Verteidigungsfonds sollen Effizienz sowie Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der europäischen Verteidigungsindustrie gefördert werden, unterstreicht die EU-Kommission in ihrem diesbezüglichen Verordnungsvorschlag. Aus dem EU-Haushalt würden demnach Mittel zur Unterstützung von Kooperationen der EU-Mitgliedsländer bereitgestellt, um besonders die Sicherheits- und Verteidigungsforschung voranzutreiben. Entscheidend sei die Entwicklung von Schlüsseltechnologien in kritischen Bereichen, sodass Europa für neue Angriffsformen wie Cyberattacken entsprechend gerüstet ist. Nicht übersehen werden dürfe auch das industrielle Potential militärischer Forschung, so die Kommission, die mehr Autonomie und Handlungsfreiheit der Union im Verteidigungssektor anstrebt.

Derzeit krankt die Stärkung europäischer Verteidigungskapazitäten aus Sicht Brüssels an einer Fragmentierung beziehungsweise Doppelung von Ressourcen auf nationaler Ebene. Dadurch ergäben sich nicht zuletzt beträchtliche Marktineffizienzen, zumal die nationalen Verteidigungshaushalte, insbesondere im Bereich Forschung und Entwicklung, in den vergangenen zehn Jahren beträchtlich gekürzt worden seien. Mit dem nächsten EU-Finanzrahmen soll der Europäische Verteidigungsfonds nach Wunsch der Kommission für den Zeitraum 2021 bis 2027 insgesamt 13 Mrd. € erhalten, wovon 4,1 Mrd. € für Forschungsmaßnahmen schlagend würden und 8,9 Mrd. € für die sogenannte Fähigkeitsentwicklung, mit der Forschungsergebnisse für die Entwicklung und Beschaffung verteidigungsrelevanter Technologien genützt werden. Die Union würde damit zum größten Investor in die Verteidigungsforschung der EU.

Viele Synergien erwartet
Die Mitgliedstaaten könnten dagegen bis zu 30% ihrer jährlichen Verteidigungsaufwendungen einsparen, heißt es aus Brüssel, etwa wenn sie gemeinsam in die Entwicklung von Drohnentechnologie oder Satellitenkommunikation investieren oder Hubschrauber in großer Stückzahl ankaufen und damit ihre Ausgaben reduzieren. Auch die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte würde durch die Bündelung der Verteidigung verbessert.

Nur gemeinsame Projekte von EU-Ländern erhalten gemäß Kommissionsplan Finanzhilfen. Konsortien, an denen KMU beteiligt sind, will die EU bei Förderungen begünstigen. Ausnahmen bei der bis zu 100%igen Kofinanzierung durch den Fonds sind bei der Entwicklung von Systemprototypen vorgesehen, die maximal zu 20% durch EU-Mittel gedeckt würde, sowie bei Test, Eignungsnachweis und der Zertifizierung von Produkten – hier sollen 80% der Kosten als förderfähig gelten.

Außerdem sieht man viele Synergien mit anderen Politikbereichen. Dazu zählen u.a. das Weltraumprogramm der Union, die EU-Initiativen im Bereich Cybersicherheit, einschlägige Programme im Bereich Sicherheit oder Maßnahmen, die im Rahmen der koordinierten Forschungsagenda zur maritimen Sicherheit im zivilen und im militärischen Bereich sowie im Zusammenhang mit dem Seeverkehr festgelegt wurden.

Erste Weichen für Kooperationen gestellt
Die Vorbereitungen für den Europäischen Verteidigungsfonds begannen bereits 2016 mit der Ankündigung des Europäischen-Verteidigungsaktionsplans (EDAP) durch die EU-Kommission. Der geplante Aufbau des Fonds zur Vertiefung der europäischen Verteidigungszusammenarbeit erfolgt zunächst in zwei Phasen, abgestimmt auf die beiden Bereiche des Verteidigungsfonds, das "Forschungsfenster" und das "Fähigkeitenfenster". Letzteres dient dem nahtlosen Übergang von Forschungsergebnissen zu marktreifen Produkten.

In der zweiten Phase ist diese Trennung dann nicht mehr vorgesehen, die Umsetzung soll dann in einem integrierten Ansatz erfolgen. Dazu liegt ein Verordnungsvorschlag vom 13. Juni 2018 vor.

Österreich unterstütze die Stärkung einer integrierten und wettbewerbsfähigen verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis der EU, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Der Europäische Verteidigungsfonds solle insbesondere für KMU einen fairen grenzüberschreitenden Zugang zu Märkten und internationalen Versorgungsketten sicherstellen. Befürwortet wird auch, dass aus dem Fonds keine Mittel für Förderungen ausgeschüttet werden, die den Abrüstungsbemühungen Österreichs widersprechen. Die Entwicklung von Waffen sei nach derzeitigem Verhandlungsstand nicht förderfähig und obliege weiterhin den Nationalstaaten.

     

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at

 

 

 

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