Regierung verteidigt Sozialhilfegesetz, Opposition befürchtet mehr Armut und Lohndumping
Wien (pk) - Zu einem ersten parlamentarischen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition in Sachen
Mindestsicherung Neu kam es am 27. März in der Aktuellen Stunde des Nationalrats. Das von ÖVP und
FPÖ vorgelegte Sozialhilfe-Grundsatzgesetz steht unter dem Motto " Mehr Fairness für uns Österreicher
statt Zuwanderung in das Sozialsystem", betonte FPÖ- Klubobmann Walter Rosenkranz, der die Eckpunkte
der Vorlage erläuterte. Die bundesweite Harmonisierung der Leistungen, die stärkere Integration in den
Arbeitsmarkt sowie ein restriktiverer Zugang zur Sozialhilfe für Neuzugewanderte stünden im Mittelpunkt.
Massive Kritik kam von Seiten der SPÖ, die von einem Kürzungsprogramm sprach, das zu mehr gesellschaftlicher
Spaltung, zu Lohndumping, zu Sozialabbau und zu Kinderarmut führen werde. Bei den Familien mit Kindern werden
insgesamt 40 Mio. € gestrichen, zeigte SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner auf, dies sei die gleiche Summe,
die im letzten Jahr von den Kabinetten der schwarz-blauen Bundesregierung für reine PR ausgegeben wurde. Auch
die Liste JETZT beklagte Verschlechterungen in den verschiedensten Bereichen. Außerdem werde der "föderale
Fleckerlteppich" weiterbestehen, gab Daniela Holzinger-Vogtenhuber zu bedenken. Gerald Loacker von den NEOS
plädierte für einen grundlegenden Systemwechsel, der eine Zusammenführung von Mindestsicherung und
Notstandshilfe umfassen müsste.
Das neue Grundsatzgesetz stehe für mehr Fairness und Gerechtigkeit im Sinne der hart arbeitenden Menschen
in Österreich, die bereits jahrelang Beiträge ins Sozialsystem eingezahlt haben, unterstrich Bundesministerin
Beate Hartinger-Klein. Sozialhilfe sollte eine vorübergehende Hilfe zur Selbsthilfe sein und nicht die Armutszuwanderung
von Ausländern fördern.
Bevor das Gesetz wie geplant am 1. Juni in Kraft treten kann, soll es noch ein Experten-Hearing im Sozialausschuss
geben. Danach sind die Länder aufgefordert, entsprechende Ausführungsgesetze bis Anfang 2020 zu beschließen.
FPÖ: Faires und gerechtes Grundeinkommen und Hilfe für die, die es brauchen
Es war höchst an der Zeit, ein neues und faires System der Mindestsicherung zu entwickeln, betonte FPÖ-Klubobmann
Walter Rosenkranz. Mit dem vorliegenden Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, das unter anderem Sockelbeträge und die
Forcierung von Sachleistungen beinhaltet, werde zudem ein weiteres Wahlversprechen der Freiheitlichen umgesetzt.
Wie viele Umfragen belegen, komme man damit auch dem mehrheitlichen Wunsch der Bevölkerung nach, die ebenso
die Meinung vertrete, dass sich Leistung wieder lohnen müsse und die arbeitenden Menschen nicht die Dummen
sein dürfen. Ein wichtiges Ziel der Maßnahme sei die Etablierung von verstärkten Arbeitsanreizen,
weshalb bei bestimmten Personengruppen ein Teil der Sozialhilfe für Sprachkurse oder Qualifizierungsmaßnahmen
umgewidmet wird. Rosenkranz verteidigte auch die geplante Staffelung der Beträge für die Kinder, für
die ohnehin weiter Familienbeihilfe bezogen werden könne. Profitieren von der Reform werden zudem AlleinerzieherInnen
und Menschen mit Beeinträchtigung.
Da es sich um ein Grundsatzgesetz handelt, sei es logisch, dass gewisse föderale Unterschiede bestehen bleiben,
argumentierte Rosenkranz. Dadurch hätten die Länder auch die notwendigen Spielräume, um etwa die
Höhe der Zuschläge für die Wohnkosten (bis zu 30%) festzulegen. Vom Bund vorgegeben wurde jedoch
die Verpflichtung, drei Jahre lang nicht auf das Vermögen der Betroffenen zuzugreifen. In Summe soll ein Grundeinkommen
sichergestellt werden, das nicht dazu führt, dass es zu noch mehr Zuwanderung ins Sozialsystem kommt. Die
SPÖ rede an den Lebensrealitäten der Menschen vorbei, urteilte Abgeordnete Dagmar Belakowitsch, die vor
allem die Zustände in Wien beklagte. Was soll sich ein durchschnittlicher Arbeitnehmer und Alleinverdiener
denken, wenn er hört, dass eine sechsköpfige Flüchtlingsfamilie 3.000 € Mindestsicherung erhält?
Oder dass laut der Western Union-Bank im Jahr 2016 zwei Millionen Euro von Österreich aus allein nur nach
Syrien überwiesen wurden? Der Sinn der österreichischen Sozialhilfe könne es aber nicht sein, die
ganze Welt zu retten. Ihr Fraktionskollege Johann Gudenus sprach noch einen Dank an Ministerin Hartinger-Klein
aus, die die wirklich "heißen Eisen" der Sozial- und Gesundheitspolitik nicht nur anpacke, sondern
auch löse.
Sozialministerin Hartinger-Klein: Mehr Fairness für die ÖsterreicherInnen statt Zuwanderung ins Sozialsystem
Das neue Sozialhilfe-Grundsatzgesetz stehe für Fairness und Gerechtigkeit, unterstrich Bundesministerin Beate
Hartinger-Klein, das hart verdiente Steuergeld soll nicht weiterhin an ausländische Wirtschaftsflüchtlinge
verteilt werden. Es dürfe nicht sein, dass viele hart arbeitenden Menschen unterm Strich schlechter da stehen
als jene, die arbeiten könnten, aber nicht arbeiten wollen. Bei der Reform der Mindestsicherung stand das
grundlegende Ziel im Mittelpunkt, dass all jene Personen, die wirklich Unterstützung brauchen, eine zielgerichtete
Hilfe erhalten sollen. Besondere Regelungen gelten für AlleinerzieherInnen und Menschen mit Beeinträchtigungen
sowie für Personen, die von den Ländern als Härtefälle eingestuft werden. Außerdem soll
drei Jahre lang nicht auf das Vermögen zugegriffen werden.
Den KritikerInnen von Seiten der Opposition hielt sie entgegen, dass auch die Kinder ausreichend Unterstützung
erhalten, zumal die Familienbeihilfe und sonstige Leistungen nicht auf die Sozialhilfe angerechnet werden dürfen.
Bei einem Haushalt mit drei Kindern können auch künftig monatlich ca. 1.000 € nur für die Minderjährigen
als Unterhalt gewährt werden. Die degressive Staffelung sei jedoch aus ihrer Sicht mehr als gerecht, da auch
die Höhe der Löhne und Gehälter nicht von der Zahl der Kinder abhängt.
Mit dem vorliegenden Gesetz wolle man die bedauernswerten Missstände beseitigen, die von SPÖ-Ministern
und von der rot-grünen Landesregierung in Wien nicht nur mit Achselzucken hingenommen, sondern sogar mit Zähnen
und Klauen verteidigt werden. Die Politik in der Vergangenheit habe nämlich dazu geführt, dass die illegale
Einwanderung zugenommen hat, weil vom ersten Tag an Mindestsicherung bezahlt wurde. Schon jetzt seien mehr als
50% der MindestsicherungsbezieherInnen keine österreichischen StaatsbürgerInnen.
In Hinkunft soll daher ein Teil der Sozialhilfe für Zuwanderer, die auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar
sind, in Form von arbeitsmarktbezogenen Sachleistungen (Deutschkurse, Qualifizierungsmaßnahmen) zur Verfügung
gestellt werden. Gleichzeitig werden die Zuwendungen von Integrationsleistungen wie etwa Wertekursen abhängig
gemacht. Erst wenn die Personen den Willen gezeigt haben, selbst etwas für die Gesellschaft beizutragen, sei
es gerechtfertigt, einen Anspruch auf Mindestsicherung zu haben. Integration sei nämlich vorrangig eine Bringschuld
der Zuwanderer und keine Holschuld der Mehrheitsbevölkerung. Subsidiär Schutzberechtigte werden – in
Übereinstimmung mit dem Unionsrecht - in Hinkunft nur mehr soziale Kernleistungen (Grundversorgung) erhalten.
Ausreisepflichtige Personen wiederum werden überhaupt keinen Anspruch mehr auf Mindestsicherung haben, informierte
die Ministerin.
ÖVP: Mehr Gerechtigkeit, Anreize für die Aufnahme von Arbeit und Zuschläge für schützenswerte
Personengruppen
Durch das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz werden zahlreiche Missstände bereinigt, schloss sich ÖVP-Klubobmann
August Wöginger den Ausführungen der Ministerin an. Es verstehe nämlich kein Mensch in Österreich,
warum eine Mindestpensionistin, die jahrlang gearbeitet hat, gleich viel bekommt wie ein Asylberechtigter. Sozialhilfe
sollen nur jene bekommen, die Hilfe brauchen, aber sich selbst nicht helfen können. Eine fünfköpfige
Familie werde in Zukunft noch immer ca. 2.200 € netto (Sozialhilfe und Familienbeihilfe) bekommen, hob Wöginger
hervor. Er frage sich daher, was an dieser Maßnahme unsozial sein soll. Auch in den Kollektivverträgen
werde nicht darauf Rücksicht genommen, wie viele Kinder man hat. Seiner Meinung nach müsste Wien dem
Bund für dieses Gesetz dankbar sein, weil damit der Sozialtourismus beendet wird. Sollte Wien dieses Gesetz
wirklich nicht vollziehen, werde man dies beim Finanzausgleich sanktionieren, warnte Wöginger, denn so gehe
das nicht.
Eine Harmonisierung der unterschiedlichen Bestimmungen für die Mindestsicherung war notwendig und sei nicht
als Absage an die Länder zu verstehen, gab Abgeordnete Kira Grünberg (ÖVP) zu bedenken. In ihrer
Wortmeldung strich sie vor allem die Maßnahmen für besonders schützenswerte Personengruppen hervor.
SPÖ: Weiteres soziales Kürzungsprogramm auf dem Rücken aller ÖsterreicherInnen
Mit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz wird der Regierungskurs der letzten 15 Monate fortgesetzt, den man am besten
mit "tarnen, täuschen und mit dem Finger auf Menschen zeigen" umschreiben kann, beklagte SPÖ-Klubobfrau
Pamela Rendi-Wagner. Die heutige Rede von Ministerin Hartinger-Klein war aber "das Menschenverachtendste",
das sie aus ihrem Mund je gehört habe. Rendi-Wagner vertrat die grundsätzliche Überzeugung, dass
die Menschen arbeiten und ihren Beitrag leisten wollen. Jenen, die dazu aus den verschiedensten Gründen nicht
in der Lage sind, müsse die Hand gereicht werden, damit sie wieder eine Perspektive erhalten. Die Neuorganisation
der Mindestsicherung stelle ein weiteres Sozialkürzungsprogramm dar, durch das der Druck auf die Menschen
offensichtlich erhöht werden solle. Die Beschlüsse und Vorschläge der letzten Monate – vom 12-Stunden-Tag,
den Kürzungen beim AMS bis hin zum Hungerlohn für AsylwerberInnen - zeigen, dass Österreich zu einem
Billiglohnland gemacht werden soll. "Sie spielen eiskalt mit den Menschen" und treiben einen Keil in
die Gesellschaft, warf die Klubobfrau der Ministerin vor. Davon betroffen seien vor allem Langzeitarbeitslose,
größere Familien und vor allem die Kinder, die vermehrt von Armut betroffen sein werden.
Kein Kind habe es in Österreich verdient, um 1,5 € pro Tag leben zu müssen, stellte auch Josef Muchitsch
mit Bedauern fest. Für ihn sei heute ein sehr schlimmer Tag, weil die Regierung wieder einmal die Ausländerkarte
ziehe, um die Auswirkungen der Mindestsicherung Neu zu beschönigen. Nur drei der 142 Stellungnahmen haben
die Maßnahme positiv bewertet; diese kamen von der Wirtschaftskammer, der Industriellenvereinigung und dem
Land Niederösterreich. Man dürfe nicht vergessen, dass es in der Debatte um 0,9% der österreichischen
Sozialausgaben geht, die von 3% der Bevölkerung, die sich zudem legal in Österreich aufhalten, bezogen
werden.
NEOS-Vorschlag sieht liberales Bürgergeld und Harmonisierung von Mindestsicherung und Notstandshilfe vor
Die vom Bundeskanzler Kurz und Ministerin Hartinger-Klein erzählten "Geschichten" über die
Familien mit den vielen Kindern, die so hohe Kosten verursachen, halten einer Prüfung durch die Realität
nicht stand, erklärte der Sozialsprecher der NEOS, Gerald Loacker. 50% bis 60% der BezieherInnen von Mindestsicherung
seien nämlich alleinstehend, danach komme die Gruppe der AlleinerzieherInnen mit einem Kind. Außerdem
seien 70% sogenannte Aufstocker, hob Loacker hervor.
Der Vorschlag der NEOS für eine Umgestaltung der Sozialhilfe sieht ein "liberales Bürgergeld"
vor, also eine Leistung aus einer Hand. So wie vom Rechnungshof vorgeschlagen, sollten Mindestsicherung und Notstandshilfe
harmonisiert werden, erläuterte Loacker. Außerdem müsste es flexible Zuverdienstgrenzen geben.
Generell brauche es ein System, das den BürgerInnen hilft, so schnell wie möglich aus der staatlichen
Abhängigkeit herauszukommen. Überdies sollte über die echten Probleme in Österreich mehr geredet
werden, wünschte sich Josef Schellhorn (NEOS), wie etwa über den Fachkräftemangel oder den fehlenden
qualifizierten Zuzug von ArbeitnehmerInnen. Außerdem hätte es die Regierung selbst in der Hand, dafür
zu sorgen, dass die Arbeitenden nicht die Dummen sind. Sie könnte nämlich die Lohnnebenkosten senken
und die kalte Progression abschaffen, schlug er vor.
Liste JETZT befürchtet Negativwettbewerb zwischen den Ländern aufgrund föderaler Spielräume
Anstatt bundeseinheitliche Standards für die Absicherung eines gewissen Lebensstandards festzulegen und den
erfolgreichen Weg der Mindestsicherung von 2010 bis 2016 fortzusetzen, habe die Regierung das Rad der Zeit wieder
sehr weit zurückgedreht, kritisierte Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber (JETZT). Die Tatsache, dass
keine Mindestgrenzen festgelegt wurden, zeige, dass Armutsbekämpfung bei diesem Gesetz nicht im Vordergrund
stehe. Obwohl die Regierung immer bekundet hat, dass sie die einzelnen föderalen Bestimmungen harmonisieren
wolle, werden lediglich Obergrenzen vorgeschrieben. Den Bundesländern stehe es aber im Rahmen ihrer Ausführungsgesetzgebung
völlig frei, die finanziellen Grenzen zu unterschreiten. Am Ende werde wieder die Postleitzahl darüber
entscheiden, wie hoch die Sozialhilfe ausfällt.
Bruno Rossmann (JETZT) gab zu bedenken, dass es sich bei der Mindestsicherung um das unterste soziale Auffangnetz
handelt, das den Menschen gesellschaftliche Teilhabe und ein Leben in Würde ermöglichen soll. Diesen
Zielen werde aber die Regierungsvorlage keineswegs gerecht, da etwa bei Familien mit Kindern deutlich gekürzt
werde. Überdies komme es zu massiven Verschlechterungen für Zuwanderer mit schlechten Sprachkenntnissen,
denen aber aufgrund der gekürzten Mittel viel weniger Kurse zur Verfügung stehen. Rossmann sprach von
einer menschenverachtenden Politik, die zur Spaltung der Gesellschaft führe.
Die fraktionslose Abgeordnete Martha Bißmann warnte davor, dass das Vorhaben der Regierung zur Neugestaltung
der Mindestsicherung viele Menschen in die Armut stoßen werde. Davon betroffen seien nicht nur Zuwanderer,
sondern auch Kinder von ÖsterreicherInnen, zeigte die Rednerin auf. Damit werde bloß die nächste
Generation von SozialhilfeempfängerInnen geschaffen. Sie plädierte für die Einführung einer
Finanztransaktionssteuer, weil man damit ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzieren könnte.
Abgeordneter Efgani Dönmez, der keinem Klub angehört, wies darauf hin, dass viele Menschen von ihrem
Gehalt kaum leben können. Er war daher überzeugt davon, dass die Löhne angehoben werden müssen.
Dann würde man es auch schaffen, dass mehr Menschen, die Mindestsicherung beziehen, wieder Jobs annehmen.
Die beste Prävention gegen Armut sei Bildung und sozialer Aufstieg.
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