Wissenschafter der Immunologischen Tagesklinik zentrale Partner in großem, internationalem
Konsortium
Wien (pr&d) - Klinische Details einer bestimmten, genetisch bedingten Form der Immundefizienz wurden
nun erstmals systematisch untersucht. Federführend bei der großen internationalen Studie waren Wissenschafter
der Wiener Immunologischen Tagesklinik. Gemeinsam mit Kollegen aus 6 Ländern werteten sie anonymisierte Datensätze
von über 690 Patienten mit angeborener Immundefizienz aus Österreich und Großbritannien aus. Speziell
suchten sie dabei nach Mutationen in den so genannten Recombination Activating Genes (RAG). Die Entdeckung zweier
spezieller Mutationen in RAG im Jahr 2015 brachte der Immunologischen Tagesklinik aus Wien international viel Beachtung
und sicherte ihre Führungsrolle bei der aktuellen Studie. Diese evaluierte die Häufigkeit des Auftretens,
die gesundheitlichen Konsequenzen sowie die unterschiedlichen Therapieansätze dieser Erkrankung.
Unser Immunsystem schützt uns selbst vor Infektionserregern, die dem Körper bisher unbekannt waren. Das
gelingt, weil wichtige Zellen des Immunsystems, die B- und T-Zellen, Millionen von verschiedenen Rezeptoren besitzen.
Diese erkennen Strukturen auf der Oberfläche eines Erregers und initiieren so eine Immunantwort. Mitverantwortlich
für diese Rezeptorvielfalt sind zwei Enzyme, die von den Recombination Activating Genes (RAG) codiert werden.
Diese Enzyme sorgen mit einem ausgeklügelten Mechanismus dafür, dass aus wenig genetischer Information
viele verschiedene Rezeptoren entstehen. Sind die RAG aber mutiert, kann das schwerwiegende Folgen haben und eine
bestimmte genetisch bedingte Immundefizienz hervorrufen. Wie häufig diese sogenannte RAG-Deficiency die Ursache
für eine angeborene Immundefizienz ist und welche klinischen Herausforderungen sie verursacht, hat nun erstmals
ein Konsortium von weit über 100 Wissenschaftern aus den USA, Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden,
Norwegen, Weißrussland und Österreich untersucht. Mit dabei ein Team der Immunologischen Tagesklinik
in Wien, die bereits im Jahr 2015 zwei besondere Fälle der RAG-Deficiency in Österreich beschreiben konnte.
Angeborene Immundefizienz
Tatsächlich nutzte das internationale Team zwei große anonymisierte Datensätze von Patienten, die
an einer angeborenen Immundefizienz (PID - Primary Immunodeficiency) leiden. Einer der beiden Datensätze stammte
dabei aus Großbritannien vom National Institute for Health Research BioResource. Der zweite hatte seinen
Ursprung in Österreich, wo PID-Patienten auch aufgrund der über zwanzigjährigen Tätigkeit der
Immunologischen Tagesklinik besonders gut diagnostiziert und betreut werden. Deren Leiterin, Frau Prof. Martha
Eibl, Immunologin mit über 30 Jahren Berufserfahrung, meint dazu: "Es gibt über 300 bekannte, verschiedene
Formen der angeborenen Immunschwäche. Die genaue Diagnose der Ursachen ist entscheidend für eine effektive
Therapie. Unsere jetzige Arbeit leistet genau dazu einen wesentlichen Beitrag."
Insgesamt wurden so 692 Datensätze von antikörperdefizienten Patienten auf RAG-Mutationen hin untersucht.
So konnten fünf neue Fälle erkannt und die Häufigkeit der Erkrankung bei PID-Patienten auf 1 bis
1.9% geschätzt werden. Für Großbritannien, wo über 3.000 PID-Patienten registriert sind, bedeutet
dies, dass zwischen 30 und 60 Personen von RAG-Mutationen betroffen sein könnten, bei denen dies bisher noch
nicht diagnostiziert wurde.
Zu den weiteren Arbeiten im Rahmen der Studie meint Frau Prof. Eibl: "Tatsächlich wirken sich RAG-Mutationen
je nach ihrer Art für die individuellen Patienten sehr unterschiedlich aus. So zeigen einige Patienten bereits
rasch nach der Geburt Symptome - andere leben über Jahrzehnte ohne klinische Auffälligkeiten". Trotz
- oder gerade wegen - dieser Vielfalt existierte bisher keine systematische Erhebung bei Patienten mit der Diagnose
von Antikörperdefizienz, deren klinischen Symptomen und der RAG-Mutation. Genau das hat das internationale
Team nun nachgeholt und erstmals 15 Patientenfälle systematisch analysiert und beschrieben. Zahlreiche klinisch
relevante Daten wurden dabei erhoben. So konnte gezeigt werden, dass über 85% aller Betroffenen entzündliche
Autoimmunerkrankungen entwickelten und dass bei über 90% der Patienten Lungenerkrankungen auftraten und oftmals
zum Tod führten, wobei Lungenentzündungen am häufigsten vorkamen.
Auch die verschiedenen Behandlungsregime wurden für die untersuchten Fälle analysiert, wobei einzelne
Patienten z. T. mit mehreren Methoden behandelt wurden. So wurde bei 93% der Patienten das Immunsystem durch eine
Immunglobulin-Ersatztherapie gestärkt, 57% wurden prophylaktisch mit Antibiotika behandelt, 21% erhielten
antivirale Medikamente und 14% anti-rheumatische Substanzen, die auf das Immunsystem wirkten. "Interessanterweise",
so Prof. Eibl, "zeigte der statistische Vergleich der verschiedenen Behandlungsmethoden, dass es bei der Überlebensrate
der Patienten keinen Unterschied gab."
Mit dieser vor kurzem veröffentlichen Arbeit leistete das Team der Immunologischen Tagesklinik in Wien gemeinsam
mit den internationalen Kollegen einen bedeutenden Beitrag zum besseren Verständnis des klinischen Managements
der RAG-Defizienz. Die Ergebnisse werden nicht nur die Diagnose der schwerwiegenden Erkrankung verbessern, sondern
auch deren Therapie optimieren.
Publikation:
Prevalence and clinical challenges among adults with primary immunodeficiency
and recombination-activating gene deficiency. D. Lawless, C. B. Geier, J. R. Farmer, H. Lango Allen, D. Thwaites,
F. Atschekzei, M. Brown, D. Buchbinder, S. O. Burns, M. J. Butte, K. Csomos, S. V.V. Deevi, W. Egner, S. Ehl, M.
M. Eibl, O. Fadugba, Z. Foldvari, D. M. Green, S. E. Henrickson, S. M. Holland, T. John, C. Klemann, T. W. Kuijpers,
F. Moreira, A. Piller, P. Rayner-Matthews, N. D. Romberg, R. Sargur, R.E. Schmidt, C. Schröder, C. Schuetz,
S. O. Sharapova, K. G.C. Smith, G. Sogkas, C. Speckmann, K. Stirrups, A. J. Thrasher, H. M. Wolf, L. D. Notarangelo,
R. Anwar, J. Boyes, B. Ujhazi, NIHR BioResource-Rare Diseases Consortium, J. Thaventhiran, J. E. Walter and Sinisa
Savic. J. Allergy Clin. Immunol.June 2018Volume 141, Issue 6, Pages 2303-2306. DOI: https://doi.org/10.1016/j.jaci.2018.02.007
Über die Immunologische Tagesklinik (ITK)
Seit dem Jahr 1985 werden in der Immunologischen Tagesklinik in Wien Patienten
mit einer fehlerhaften Immunabwehr untersucht und betreut. Ein breites Spektrum an immunologischen Spezialuntersuchungen
ermöglicht es dort, bei einer Vielzahl von bekannten Immundefekten auch seltene Erkrankungen zu erkennen und
genau zu charakterisieren. Diese Analyse dient am ITK zur Bereitstellung eines optimalen Behandlungsplans, der
gemeinsam mit dem behandelnden Arzt die bestmögliche Versorgung des Patienten gewährleistet. Das Team
der ITK ist auch maßgeblich an der wissenschaftlichen Weiterentwicklung diagnostischer und therapeutischer
Behandlungsmethoden im Bereich der Immunologie beteiligt. Die internationale Zusammenarbeit mit renommierten Zentren
in Europa und den USA erstreckt sich schon über mehrere Jahrzehnte.
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