Neuropsychologen weisen Lernfähigkeit und Effizienzsteigerung beim Einradfahren nach
Graz (universität) - „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ lautet ein bekanntes Sprichwort.
„Falsch“, sagen die Neuropsychologen Bernhard Weber und Karl Koschutnig von der Universität Graz. Im Rahmen
einer Studie, die kürzlich im Wissenschaftsjournal „Scientific Reports“ veröffentlicht wurde, konnten
die Forscher nachweisen, dass sich auch das Gehirn erwachsener Menschen an neue Herausforderungen anpasst. „Neuroplastizität“
nennt die Wissenschaft diese Fähigkeit. Weber und Koschutnig untersuchten an Personen im Alter zwischen 18
und 51 Jahren, was sich in deren Gehirn verändert, wenn sie Einradfahren lernen.
„Am Einrad geht’s rund, und dabei auch im Kopf“, sagt Bernhard Weber. Einradfahren zählt wohl zu den größten
Herausforderungen für den Gleichgewichtssinn. Kinder lernen das in rund einer Woche. Überrascht waren
der Doktorand Bernhard Weber und Senior Scientist Karl Koschutnig, dass die erwachsenen TeilnehmerInnen der Studie
das mindestens ebenso rasch schafften. Im Gehirn der 23 Personen tat sich dabei Bemerkenswertes. Die Psychologen
stellten signifikante Veränderungen in der grauen und der weißen Masse sowie in der Dicke der Großhirnrinde
fest.
Die ProbandInnen, die zuvor noch nie auf einem Einrad gesessen waren, lernten und trainierten drei Wochen lang
das Fahren mit diesem Gerät, jede Woche vier Stunden unter professioneller Anleitung. Begleitend nahmen die
Forscher mittels Magnetresonanztomographie (MRT) zu drei Zeitpunkten strukturelle und funktionelle Bilder des Gehirns
auf: vor Beginn des Trainings, nach Beendigung des Programms und noch einmal fünf Wochen später.
„Diese Bilder zeigten Veränderungen in Gehirnarealen und Netzwerken der motorischen Kontrolle, der räumlich-visuellen
Aufmerksamkeit und der sensorischen Informationsverarbeitung“, berichtet Koschutnig. „Besonders überrascht
waren wir, dass es während des Trainings in einem Bereich zu einer massiven Abnahme an grauer Masse kam. Fünf
Wochen nach Beendigung des Programms hatte das Volumen an der gleichen Stelle wieder zugenommen“, ergänzt
Weber und liefert eine mögliche Interpretation: „Die Abnahme der grauen Masse kann als neuronale Effizienzsteigerung
gedeutet werden. Das Gehirn hat etwas gelernt und braucht deshalb weniger Ressourcen. Die automatisierte Koordination
und Gleichgewichtskontrolle werden besser und effizienter bewältigt.“ Dafür spricht, dass die Abnahme
umso größer war, je besser eine Person das Einradfahren beherrschte.
Ergebnisse von Untersuchungen beim Erlernen von Slacklining sollen demnächst weitere Einsichten über
die Plastizität des Gehirns bringen. Da dieses dermaßen lernfähig ist, darf vermutet werden, dass
eventuell auch erworbene Defizite mit dem richtigen Training teilweise reversibel sein könnten.
Die Forscher im Video:
https://youtu.be/P6LSJoP3G3o
Publikation:
Learning Unicycling Evokes Manifold Changes in Gray and White Matter
Networks Related to Motor and Cognitive Functions; Bernhard Weber, Karl Koschutnig, Andreas Schwerdtfeger, Christian
Rominger, Ilona Papousek, Elisabeth M. Weiss, Markus Tilp & Andreas Fink; Scientific Reports 9, Article number:
4324 (2019),
www.nature.com/articles/s41598-019-40533-6
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