Mehrheitsentscheidungen in der Union: EU-Ausschuss des Bundesrats diskutiert Für und Wider
Brüssel/Wien (pk) - Die EU-Steuerpolitik soll reformiert werden, um den Binnenmarkt besser für
den internationalen Wettbewerb zu rüsten. Mit diesem Argument begründet die Europäische Kommission
ihren Plan, von einstimmigen Beschlüssen bei unionsweiten Steuervorhaben abzugehen. Vielmehr sollten die Mitgliedstaaten
Entscheidungen in bestimmten Bereichen der gemeinschaftlichen Steuerpolitik mit qualifizierter Mehrheit fällen,
schreibt die Europäische Kommission in einer Mitteilung . Der EU-Ausschuss des Bundesrats, der dieses Kommissionsschreiben
am 10. April mit ExpertInnen aus Finanzministerium (BMF) und Arbeiterkammer diskutierte, ist geteilter Meinung
zum Reformplan. Ausschussobmann Christian Buchmann erinnerte in diesem Zusammenhang an die Passerelle-Klausel im
EU-Vertrag von Lissabon, die bei einem Übergang zur Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit die Zustimmung
aller Parlamente der Mitgliedstaaten erforderlich macht. Der Bundesrat spiele hier somit eine entscheidende Rolle.
Mehrheitsbeschlüsse: ÖVP und FPÖ skeptisch, SPÖ positiv
ÖVP und FPÖ stehen einer völligen Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in Steuerfragen ablehnend
gegenüber. Für Christoph Längle (FPÖ/V) würde mit einem grundsätzlichen Umschwenken
auf Mehrheitsbeschlüsse die nationalstaatliche Souveränität untergraben, wie er sagte. Gerade bei
steuerrechtlichen Themen seien längere Diskussionsprozesse äußerst notwendig, sprach sich auch
Christian Buchmann (ÖVP/St) gegen die vollständige Aufgabe der Einstimmigkeit in diesem Bereich aus.
In Teilaspekten könnten schneller zu verwirklichende Mehrheitsbeschlüsse zwar durchaus Sinn machen, jedoch
sei die rechtliche Machbarkeit dieser Herangehensweise fraglich. Von der Wirtschaftskammer Österreich wurde
dem Ausschuss ein Schreiben übermittelt, das ebenfalls für die Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips
eintritt.
SPÖ und Arbeiterkammer beziehen dagegen in Hinblick auf die Einführung des Mehrstimmigkeitsprinzips bei
der EU-Steuerpolitik eine positive Position. Immerhin entgingen dem Fiskus EU-weit jährlich 825 Mrd.€ durch
Steuerbetrug, zeigte ein AK-Vertreter im Ausschuss auf. Als konkretes Beispiel des stockenden Fortschritts im EU-Steuerrecht
aufgrund des besonderen Gesetzgebungsverfahrens mit Einstimmigkeitserfordernis nannte der Experte die langjährigen
Debatten über eine unionsweit einheitliche Bemessungsgrundlage der Körperschaftssteuer. Allerdings sei
für einen generellen Übergang zu Beschlüssen mit qualifizierter Mehrheit wiederum zunächst
ein einhelliger Beschluss im Rat erforderlich, gab Hubert Koller (SPÖ/St) zu bedenken.
Österreichs Haltung im Rat beschrieb auf Nachfrage von Sonja Zwazl (ÖVP/N) die BMF-Expertin als grundsätzlich
offen, jedoch zurückhaltend. Befürchtet wird ein Souveränitätsverlust der Nationalstaaten in
einem sehr sensiblen Gebiet, weswegen mehrere Mitgliedstaaten ihre Ablehnung bereits gezeigt hätten. Rechtlich
zu prüfen sei nun, ob in gewissen Teilbereichen vom Einstimmigkeitsprinzip abgegangen werden kann, etwa bei
der engeren Verwaltungszusammenarbeit zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Da mit dem Vertrag von Lissabon
die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit auf mehrere Politikfelder ausgedehnt worden sei, gebe es ausreichend
Evaluierungsgrundlagen zur Abschätzung, welche Konsequenzen bei einer Abkehr von der Einstimmigkeit zu erwarten
sind. Unabhängig von der Abstimmungsform hänge eine erfolgreiche Steuerbetrugsbekämpfung letztlich
vom politischen Willen der EU-Kommission ab, sieht Monika Mühlwerth (FPÖ/W) in diesem Feld zu viel Zurückhaltung.
Brüssel will rascheres Vorgehen gegen Steuerbetrug sicherstellen
Die Umstellung der Beschlussfassung in der EU-Steuerpolitik soll in mehreren Schritten erfolgen, skizziert die
Europäische Kommission in einem Zeitplan bis 2025. Zunächst würde man bei Maßnahmen für
Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung gegen Steuerbetrug und –hinterziehung zu einer Beschlussfassung
mit qualifizierter Mehrheit übergehen. Danach sollte auch bei steuerpolitischen Maßnahmen, die anderen
Politikfeldern dienen, diese mehrheitliche Beschlussform von 55% der Mitgliedstaaten zum Tragen kommen. Als Beispiele
dafür nennt Brüssel den Kampf gegen den Klimawandel und die Verbesserung der öffentlichen Gesundheit.
Des Weiteren will Brüssel mit dem laut Kommission in den EU-Verträgen vorgesehenen Rückgriff auf
die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit die Modernisierung harmonisierter EU-Vorschriften, etwa im Bereich
des Mehrwertsteuer- oder Verbraucherrechts, beschleunigen. Erhofft wird durch die raschere Beschlussfassung, dass
die EU-Mitgliedstaaten besser auf technologische Entwicklungen und Marktveränderungen reagieren können.
Die Mehrheit als vereinfachten Beschlussmodus sieht die Kommission schließlich auch bei großen Steuerprojekten
als notwendig an, um eine faire und wettbewerbsfähige Besteuerung in der Europäischen Union zu garantieren.
Genannt wird in der Mitteilung dazu eine Steuersystem für die digitale Wirtschaft und die gemeinsame konsolidierte
Körperschaftsbemessungsgrundlage.
Neben einer größeren Dynamik der europäischen Steuergesetzgebung in einer immer mobileren grenzüberschreitenden
Wirtschaftswelt erhofft sich die Kommission vom Mehrheitsprinzip auch qualitativ bessere Beschlüsse. Im Ringen
um Einstimmigkeit bei einer Entscheidung würde oft nur der kleinste gemeinsame Nenner als Kompromiss gefunden.
Teilweise machten Länder auch ihre Zustimmung bei Steuerfragen von Zugeständnissen in anderen Bereichen
abhängig, zeigt der Kommissionentwurf auf. Letztendlich würden mehrstimmig gefasste Beschlüsse auch
das Vorgehen gegen unlauteren Steuerwettbewerb unter den Mitgliedstaaten erleichtern.
Hinsichtlich der Einbindung des Europäischen Parlaments (EP), das derzeit bei Steuervorhaben lediglich ein
Anhörungsrecht hat, kann Brüssel sich aus demokratiepolitischen Gründen vorstellen, auf das ordentliche
Gesetzgebungsverfahren überzugehen, also dem EP das Mitentscheidungsrecht zu gewähren. Das österreichische
Finanzministerium betont generell, der Nutzen einer Reform der Beschlussverfahren habe jedenfalls mögliche
Nachteile wie den Verlust der nationalen Souveränität aufzuwiegen.
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