Nationalratspräsident Sobotka für aktive EU-Nachbarschaftspolitik, Bundesratspräsident
Appé drängt auf mehr Bürgernähe und Transparenz
Wien (pk) - Rund 50 AmtskollegInnen aus 37 europäischen Ländern sind der Einladung von Nationalratspräsident
Wolfgang Sobotka und Bundesratspräsident Ingo Appé zur diesjährigen Konferenz der EU-ParlamentspräsidentInnen
in das Wiener Konzerthaus gefolgt, um gemeinsam über die EU-Nachbarschaftspolitik und die Herausforderungen
im Lichte der bevorstehenden Europawahlen zu beraten. Darunter befinden sich auch VertreterInnen aus Island, Norwegen
und der Schweiz. "Es ist wichtig, die Sichtweisen und verschiedenen Perspektiven aller EU-Partner zu hören
und gemeinsame Ideen für den Weg nach vorne zu diskutieren", so Sobotka im Vorfeld der Konferenz.
Erstmals wurden auch alle Länder des Westbalkans eingeladen. "Damit wollen wir ein deutliches Signal
nicht nur für die gesamte Region, sondern auch gegenüber allen EU-Mitgliedsländern setzen: "Die
Zukunft Südosteuropas liegt in der Europäischen Union," betonte Sobotka.
Sobotka zur Integration des Westbalkans: Europa ist nicht nur ein Versprechen, sondern eine wechselseitige Verpflichtung
Der erste Konferenztag (8. April) - stand im Zeichen der Nachbarschaftspolitik, wobei ein breiter Bogen von
der südlichen Nachbarschaft über die Türkei, der östlichen Partnerschaft und Russland bis hin
zur EU-Donauraumstrategie und dem Westbalkan gespannt wurde.
Besonders hob der Nationalratspräsident die Bedeutung der Integration der Länder des Westbalkans nicht
nur für die Stabilität Europas, sondern auch im Hinblick auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den
Ländern selbst hervor. "Für die notwendigen Reformen gibt es keinen stärkeren Anreiz als die
Beitrittsperspektive", sagte Sobotka. "Nur ein starkes Engagement der EU am Westbalkan verhindert, dass
ein Vakuum von anderen Akteuren genutzt wird", warnte er.
Gleichzeitig stellte der Nationalratspräsident klar, dass Europa nicht nur ein Versprechen, sondern eine wechselseitige
Verpflichtung sei. Für die Kandidatenländer heiße das, dass sie durch Reformen Beitrittsreife erlangen
müssen, denn ein "Beitritt light" sei keine Option. Die EU wiederum müsse im Gegenzug glaubwürdig
zur Beitrittsperspektive stehen und Fortschritte honorieren.
Weil Fragen der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte zu den wesentlichen Punkten im Rahmen des
Integrationsprozesses führen, sieht Sobotka den Annäherungsprozess auch als eine Aufgabe der nationalen
Parlamente der EU-Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang stellte er das Stipendienprogramm des österreichischen
Parlaments für MitarbeiterInnen der Parlamentsverwaltungen der Westbalkanstaaten vor und wies darauf hin,
dass auch Initiativen zur Demokratie-Vermittlung unterstützt werden.
Große Herausforderungen in der Nachbarschaftspolitik
Der Nationalratspräsident ging darüber hinaus auch auf die weiteren Herausforderungen der Nachbarschaftspolitik
ein. Ohne die russische Föderation könne es keinen dauerhaften Frieden in Europa geben, stellte Sobotka
fest, ließ aber auch keinen Zweifel daran, dass Lockerungen der EU-Sanktionen nur dann möglich seien,
wenn es sichtbare Fortschritte im Minsker Prozess gibt. Im Konflikt mit der Ukraine sei die EU als Vermittler gefordert.
Sobotka wies zudem auf die verschiedensten Spionage- und Cyber-Vorfälle hin, die das Verhältnis zu Russland
belasten. "Russland ist ein wichtiger Nachbar, mit dem wir sowohl auf offizieller als auch auf Ebene der Zivilgesellschaft
in einem offenen Dialog bleiben müssen", sagte Sobotka.
Kritisch und mit Sorge blickte er auf die rechtsstaatliche Entwicklung in der Türkei, die er als einen wichtigen
strategischen Partner der EU vor allem im Hinblick auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Energiesicherheit
und die Sicherheitspolitik, insbesondere bei der Bekämpfung des Terrorismus, bezeichnete.
Der Nationalratspräsident unterstrich aber auch die Bedeutung der Zusammenarbeit mit den Ländern des
Mittelmeerraums und erinnerte an die Impulse, die vom EU-Afrika-Forum im vergangenen Dezember in Wien gekommen
sind, das von der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft initiiert worden war. Es gehe um eine Partnerschaft
mit Afrika, die wirtschaftliche Entwicklung, Bildung und Innovation in den Vordergrund rückt. "Nur wenn
es uns gelingt, den Menschen in Afrika Perspektiven auf gleicher Augenhöhe zu eröffnen, werden wir den
Migrationsdruck langfristig dämpfen können", sagte er.
Appé: Europa muss handlungsfähig, krisenfest transparent und bürgernah sein
Bundesratspräsident Ingo Appé sprach in seiner Begrüßung mit Sorge den Vertrauensverlust
in das Projekt Europa an. Wenn man dieses Vertrauen wieder zurückgewinnen wolle, dann müsse sich die
EU handlungsfähig und krisenfest zeigen, ohne auf das Wohl ihrer Bürgerinnen und Bürger zu vergessen.
Dies vor allem auch im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen, zumal sich die EU gerade in turbulenten Zeiten
befinde - denke man beispielsweise an den Brexit, an den Klimawandel, an die Frage der Migration, an Konflikte
in der Nachbarschaft, aber auch an die Herausforderungen durch technologische Neuerungen.
Gleichzeitig sei es notwendig, die EU durch mehr Transparenz wieder den Menschen näher zu bringen. Appé
misst dabei der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten und den EU-Institutionen aber auch einer effizienteren
und aktiveren Subsidiaritätspolitik besondere Bedeutung bei. In diesem Zusammenhang forderte er eine stärkere
Einbindung der Regionalparlamente in die europäische Gesetzgebung. "Ein permanenter formeller und informeller
Dialog zwischen den Regionen einerseits und der Europäischen Union andererseits ist unabdingbar. Subsidiarität
und die damit verbundene Mitbestimmung bei europäischen Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozessen stellt für
lokale und regionale Gebietskörperschaften ein elementares Prinzip für ein zukunftsfähiges Europa
dar", sagte der Bundesratspräsident.
Er sieht die Bedeutung der Länder und Regionen vor allem auch mit Blick auf die kommenden Wahlen zum Europäischen
Parlament: "Denn sie sind es, die den Bürgerinnen und Bürgern am nächsten sind und damit einen
unverzichtbaren Beitrag zu deren Information leisten".
Mairead McGuinness: EU-Wahlen nicht auf die leichte Schulter nehmen
Die EU-Wahlen so wichtig wie die Wahlen zu nationalen Volksvertretungen zu nehmen, dazu rief eindringlich Mairead
McGuinness, Erste Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, auf. Man dürfe die EU-Wahlen keinesfalls
auf die leichte Schulter nehmen, sagte sie und forderte explizit das Engagement der nationalen Parlamente bei diesem
Urnengang. Vor allem gelte es, Regeln für die sozialen Netzwerke aufzustellen, um Manipulationen zu verhindern,
auch wenn dies keinesfalls leicht sei.
McGuinness sprach ebenfalls Ängste und den Vertrauensverlust in der europäischen Bevölkerung an
und trat für einen sozial nachhaltigen Binnenmarkt und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten ein.
Eine Zukunftsfrage stellt für sie die Klimapolitik dar. Für McGuinness sind wirtschaftlicher Wohlstand,
Wettbewerb und Klimapolitik sehr wohl kompatibel.
Die interparlamentarische Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinaus sowie eine aktives Engagement der nationalen
Parlamente hält sie für eine der wesentlichsten Voraussetzungen für eine starke Union. "Wir
brauchen eine Politik des Kompromisses und keine Politik des Konflikts", brachte sie die Herausforderungen
der EU-28 bzw. der EU-27 auf den Punkt. "Politische Blockaden sind in niemandes Interesse".
Was den Brexit betrifft, so sollte man McGuinness zufolge vor allem einen geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs
im Auge behalten und für eine Verschiebung des Austrittsdatums offen sein. Wichtig sei Geduld in der jetzigen
Phase. Allerdings brauche es einen Plan, der einen geordneten Brexit auch sicherstellt, fügte sie hinzu. Jedenfalls
müsse man aus dem Brexit die Lehren für die Zukunft ziehen, betonte die Vizepräsidentin des EU-Parlaments
und merkte kritische an: "Vielleicht haben wir zu wenig kommuniziert und zu wenig zugehört".
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Andrej Danko sieht Erweiterung als Beitrag zu Frieden und Sicherheit
Die Stabilität der Nachbarländer müsse vordringlichstes Ziel der Europäischen Union sein,
gehe es doch um die großen Herausforderungen in Bezug auf Sicherheit, Frieden und Migration, gab der Präsident
des slowakischen Nationalrates, Andrej Danko, in seinem Einleitungsstatement zu bedenken. Gerade unter diesem Aspekt
seien die südöstliche Grenze der EU und die Erweiterung am Westbalkan von besonderer Bedeutung. Danko
begrüßte insbesondere den Durchbruch zwischen Nordmazedonien und Griechenland im Namensstreit und sah
darin ein Signal auch an die anderen Staaten der Region. Die EU-Erweiterung ist für den slowakischen Parlamentspräsidenten
ein strukturierter Prozess, bei dem es darum geht, die erzielten Fortschritte der einzelnen Beitrittskandidaten
zu bewerten. Klar sei, dass die Europäische Union Reformen und die Anerkennung ihrer gemeinsamen Werte erwartet.
Gefordert sieht Danko die Europäische Union vor allem auch, wenn es um die Bekämpfung des Terrorismus,
des Fundamentalismus und des radikalen Islamismus geht. Es gelte, den interreligiösen Dialog und die Versöhnung
zu fördern und dabei auf den gemeinsamen Werten von Christentum und Islam aufzubauen, betonte er.
Nikos Voutsis mahnt europäische Solidarität in der Flüchtlingspolitik ein
Der Präsident des griechischen Parlaments, Nikos Voutsis, wertete das Prespa-Abkommen als Zeichen der guten
nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen seinem Land und Nordmazedonien und als Beweis, dass es bei entsprechendem
politischem Willen gelingt, bestehende Differenzen zwischen einzelnen Staaten friedlich auszuräumen. Das Abkommen
öffne nicht nur den Weg für eine europäische Perspektive Nordmazedoniens, sondern sei auch ein wichtiges
Signal für die Länder Südosteuropas. Die rasche EU-Integration des Westbalkans bleibe jedenfalls
wichtige Priorität für Griechenland. Klar sei dabei, dass das Tempo des Beitrittsprozesses auf dem Fortschritt
beruhen sollte, den jedes einzelne Land bei der Umsetzung der europäischen Kriterien erzielt hat.
Voutsis bekannte sich überdies auch zur Union für das Mittelmeer als Forum, um die Beziehungen zu den
südlichen Nachbarn der EU zu stärken. Wichtig seien dabei vor allem die Förderung von Frieden sowie
die Achtung des internationalen Rechts, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte. Was die Bewältigung
der Migrationsströme betrifft, mahnte der griechische Parlamentspräsident mehr Solidarität ein,
wobei er kritisch anmerkte, die gerechte Aufteilung der Verantwortung sei bisher noch nicht von allen Mitgliedsstaaten
umgesetzt worden. Im Verhältnis zur Türkei wiederum unterstützt Voutsis eine europäische Perspektive
auf Basis eines offenen Dialogs mit Ankara.
Roberto Fico: EU muss die afrikanischen Staaten stärker unterstützen
Die EU müsse gegenüber ihren Nachbarn eine einheitliche Position vertreten und ihre Grundwerte durchsetzen,
steht für den Präsidenten der italienischen Abgeordnetenkammer, Roberto Fico, außer Streit. Er
beklagte überdies, dass es in Sachen Migration derzeit immer wieder gegensätzliche Standpunkte gebe und
pochte wie sein griechischer Kollege auf die Einhaltung des Prinzipes der Solidarität und der gleichberechtigten
Aufteilung der Verantwortung. Seiner Meinung nach gilt es, die Dublin-Verordnung mit dem Grundsatz des Erstankunftsstaates
zu überwinden, wobei alle EU-Länder aufgefordert seien, bei der Aufnahme der MigrantInnen und bei der
Bekämpfung von Schlepperei zusammenzuarbeiten. Fico plädierte weiters für eine bessere Koordination
der nationalen Asylsysteme und brach eine Lanze für eine stärkere finanzielle Unterstützung von
Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Staaten des südlichen Mittelmeerraums und der Sahelzone.
Der kommende mehrjährige Finanzrahmen der EU sollte seiner Meinung nach klare Prioritäten in Richtung
einer finanziellen Unterstützung gerade der afrikanischen Staaten setzen.
In der Außenpolitik sei es wichtig, dass Europa mit einer Stimme spricht, forderte Fico und schlug zudem
auch eine Vertretung der EU als Ganzes mit Sitz und Stimme in internationalen Organisationen vor. "Wir müssen
nationale Egoismen hinter uns lassen und gemeinsame Visionen vorantreiben", brachte Fico sein Credo auf den
Punkt.
Breiter Konsens für europäische Perspektive am Westbalkan
Die Förderung einer nachhaltigen pro-europäischen Orientierung in den EU-Nachbarländern am Westbalkan
sowie die Stärkung der Zusammenarbeit im Mittelemeerraum dominierte die restliche Diskussion über die
Nachbarschaftspolitik der EU. Beim Versuch, eine gemeinsame Haltung gegenüber den vielseitigen Herausforderungen
auf europäischer Ebene zu finden, herrschte bei den TeilnehmerInnen der Parlamentspräsidentenkonferenz
Einigkeit darüber, langfristige strategische Debatten über die Zukunft der EU zu führen und gemeinsame
Ziele zu setzen, die die EU-Erweiterung und eine entsprechende Solidaritätspolitik betreffen. Gemeinsames
Bestreben ist ferner die Verbesserung der Partnerschaften zwischen den Staaten sowie der Schutz europäischer,
demokratischer Werte.
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Sobotka urgiert mehr Bürgernähe bei Entscheidungen
Mit einer Diskussion über die Weiterentwicklung der EU und die künftige Zusammenarbeit zwischen den
nationalen Parlamenten und den EU-Institutionen startete am 9. April der zweite Tag der Konferenz. Der Präsident
des deutschen Bundestags Wolfgang Schäuble, die Präsidentin der niederländischen "Eerste Kamer"
Ankie Broekers-Knol, der Präsident des französischen Senats Gerard Larcher und der Präsident des
polnischen Sejm Marek Kuchcinski übernahmen die Rolle der Impulsgeber, wobei sie sich weitgehend darin einig
zeigten, dass sich die EU in Zukunft stärker auf "große Fragen" konzentrieren solle. Was das
gegen Polen laufende Rechtsstaatlichkeitsverfahren anbelangt, warf Kuchcinski der EU vor, mit zweierlei Maß
zu messen.
Den Mitgliedstaaten bei jenen Themen, die die Bevölkerung direkt berühren, wieder mehr Spielraum zu geben,
ist auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ein Anliegen. Es würde das Vertrauen der BürgerInnen
in die Union stärken, wenn die kleinen Dinge bürgernah geregelt würden, ist er überzeugt. Gleichzeitig
sollte seiner Meinung nach die Schlagkraft der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik und der Handelspolitik
verbessert werden, damit Europa im internationalen Wettbewerb erfolgreich bestehen kann.
Sobotka hob eingangs des zweiten Diskussionspanels der Konfernz überdies die Bedeutung des gemeinsamen Bekenntnisses
der EU-Staaten zu Rechtsstaatlichkeit, zu den Grund- und Menschenrechten und zur parlamentarischen Demokratie hervor.
Wer an diesen Grundprinipzien rüttle, stelle das Fundament des europäischen Einigungswerks in Frage,
warnte er. Überdies gelte es, den modernen säkularen Staat als ein zentrales Merkmal Europas gegenüber
radikalislamischen oder anderen extremistischen Kräften zu verteidigen sowie Antisemitismus, Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen.
Schäuble: Europa ist in der Lage, seine Probleme zu meistern
Der Präsident des deutschen Bundestags Wolfgang Schäuble betonte, dass die EU alle Möglichkeiten
habe, ihre Probleme selbst zu meistern. Es sei richtig, dass die EU derzeit einem Stresstest ausgesetzt sei, meinte
er, aber auch in der Vergangenheit sei es gelungen, aus Krisen gestärkt hervorzugehen und den Einigungsprozess
fortzuschreiben.
Optimistisch stimmt Schäuble in diesem Zusammenhang, dass die Zustimmung der EuropäerInnen zur EU steigt.
Allerdings gebe es wachsende Zweifel an der Lösungsfähigkeit der europäischen Institutionen. Um
effizienter zu werden, schlägt der Bundestagspräsident vor, sich auf EU-Ebene pragmatisch auf die drängendsten
Aufgaben zu konzentrieren. Als Beispiele nannte er die Umweltpolitik, die Grenzsicherheit, die Migrationsfrage
und die Wirtschaftspolitik. Ebenso hält er eine gemeinsame europäische Rüstungs- und Verteidigungspolitik
für zwingend.
Gefordert sieht Schäuble dabei auch die nationalen PolitikerInnen und Parlamente. Bei Fragen mit europäischer
Dimension brauche es Kooperation, Kompromissfähigkeit und die Bereitschaft, auf EU-Ebene getroffenen Mehrheitsentscheidungen
Vertrauen entgegenzubringen. Nationale Interessen und Besonderheiten würden den Blick der ParlamentarierInnen
oft begrenzen, es sei aber wichtig, bei Debatten neben nationalen Standpunkten auch eine europäische Perspektive
einzunehmen.
Broekers-Knol: Der EU nicht immer den Schwarzen Peter zuschieben
Auch die Präsidentin der niederländischen "Eerste Kamer" Ankie Broekers-Knol hob die Bedeutung
der Zusammenarbeit der EU-Staaten hervor. Viele Probleme wie Terrorismus, Klimawandel und Migration seien heute
nicht mehr nationalstaatlich lösbar. Die Staaten müssten zusammenstehen und zusammenarbeiten, um die
angestrebten Ziele zu erreichen. Dafür brauche es aber keinen europäischen Bundesstaat, sagte Broekers-Knol,
es gehe darum, Politik für die Menschen zu machen.
Um die Akzeptanz der EU-Politik zu erhöhen, sieht Broekers-Knol auch die nationalen Parlamente und ParlamentarierInnen
gefordert. Man dürfe nicht ständig der EU den Schwarzen Peter zuschieben, sondern müsse der Bevölkerung
auch den Mehrwert von EU-Entscheidungen erklären. Wesentlich sei es, Entscheidungsprozesse und Entscheidungen
transparent zu machen.
Larcher: 2019 ist Jahr eines neuen Aufbruchs
Für den Präsidenten des französischen Senats Gerard Larcher ist das Jahr 2019 so etwas wie ein
Schicksalsjahr. Entweder die EU zerbreche oder es gebe einen neuen Aufbruch, sagte er. Wobei sich Larcher durchaus
optimistisch zeigte, dass dieser Aufbruch gelingt.
Viele BürgerInnen hätten Schwierigkeiten, sich mit der EU zu identifizieren, gab der französische
Senatspräsident zu bedenken. Das liege nicht zuletzt daran, dass die nationalen Regierungen die EU häufig
zum Sündenbock für ihr eigenes Scheitern machten. Europa müsse sich aber auch wieder stärker
auf konkrete Initiativen besinnen. Die Menschen wollten ein Europa, das schützt, und ein Europa, das wächst.
Es gelte, pragmatisch zu handeln und sich nicht in institutionellen Debatten zu verlieren. In Bereichen wie der
Außen- und Verteidigungspolitik oder der Handelspolitik handle die EU nicht in dem Ausmaß, wie sie
könnte, glaubt Larcher.
Um die nationalen Parlamente im EU-Gesetzgebungsprozess zu stärken, schlägt Larcher vor, die Frist für
eine "gelbe Karte" zu Vorschlägen der EU-Kommission von acht auf zwölf Wochen zu verlängern
und ein Initiativrecht für die nationalen Parlamente ("grüne Karte") einzuführen. Ungeduldig
ist Larcher in Sachen Brexit, es brauche einen verbindlichen Zeitplan.
Kuchcinski: EU behandelt neue und alte Mitglieder unterschiedlich
Der Präsident des polnischen Sejm Marek Kuchcinski warf der EU vor, jene Mitgliedsstaaten, die ab 2004 der
EU beigetreten sind, anders zu behandeln als alte Mitgliedsstaaten. Das Justizsystem zu organisieren, sei nationale
Kompetenz und die von Polen eingeleitete Reform stehe nicht nur in Einklang mit der polnischen Verfassung und mit
den Europäischen Verträgen, sondern entspreche auch den Systemen in vielen anderen EU-Staaten, bekräftigte
er. Vorwürfe gegenüber Polen, die Rechtsstaatlichkeit nicht einzuhalten, hält er daher für
völlig unbegründet und sprach von einer Einmischung in interne Angelegenheiten. Das könne Polen
nicht länger so akzeptieren.
Kuchcinski rief auch dazu auf, sich der gemeinsamen Werte und christlichen Wurzeln Europas zu besinnen und die
gemeinsame europäische Identität nicht auf Wirtschaftsfragen, losgelöst von kulturellen und sozialen
Belangen, zu beschränken. Zudem erachtet er es für notwendig, das Gleichgewicht zwischen den EU-Institutionen
und den nationalen Parlamenten wieder herzustellen. Die Stärke der EU entspringe der Gemeinschaft der Staaten,
man müsse die Vielfalt der Länder und die kulturellen Eigenheiten akzeptieren. Kritisch beurteilte Kuchcinski
in diesem Zusammenhang auch die Vorschläge zum neuen mehrjährigen EU-Finanzrahmen und die darin vorgesehenen
Kürzungen der Agrar- und Kohäsionsförderungen.
Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen nationalen Parlamenten und EU-Institutionen soll Vertrauen der BürgerInnen
in die EU stärken
Vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament und des Brexit fokussierte die anschließende
Debatte auf die Frage, wie man den Erwartungen der BürgerInnen und den Anliegen der WählerInnen in Anbetracht
der vielseitigen gegenwärtigen Herausforderungen auf EU-Ebene gerecht werden könne. Antworten auf die
Probleme des 21. Jahrhunderts müssten auf Grundlage des Pluralismus und der Solidarität gefunden werden,
so der Tenor. Betont wurde die wesentliche Rolle der nationalen Parlamente für die Bürgernähe und
für die Stärkung des Vertrauens der BürgerInnen in die EU.
Einig scheint sich der Großteil der VertreterInnen der Parlamente auch darin zu sein, dass die großen
aktuellen Herausforderungen in den Bereichen Migration und Sicherheit, der Kampf gegen den Terrorismus und den
Antisemitismus sowie der Klimawandel nur auf europäischer Ebene gelöst werden können. In vielerlei
Hinsicht, etwa beim Thema Cybersicherheit, gelte es, eine gemeinsame Sicht der Dinge zu entwickeln und weiteren
Konsens zu finden. Auch für eine gemeinsame EU-Außenpolitik sollte eine gemeinsame integrierte Vision
und Sichtweise erarbeitet werden. Mehrere KonferenzteilnehmerInnen betonten die Notwendigkeit der Überarbeitung
der Leitlinien der interparlamentarischen Kooperation sowie die Notwendigkeit eines effizienteren, informellen
raschen Informationsaustauschs.
Von einigen Seiten wurden die zunehmenden nationalistischen Tendenzen in Europa, der Populismus und die Euroskepsis
problematisiert. In diesem Zusammenhang wurde an die Grundwerte der Europäischen Union zurückerinnert,
immerhin sei die europäische Idee in erster Linie ein Projekt der Werte gewesen, das dem Pluralismus und dem
Grundsatz der Subsidiarität Rechnung trägt. Zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, zur Gewährleistung
der Unabhängigkeit der Justiz und der Pressefreiheit tragen die nationalen Parlamente eine gemeinsame Verantwortung,
die Demokratie auszubauen und europaweit voranzutreiben.
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