Radioteleskop entdeckt „Nadeln“ in Gewitterblitzen
Groningen (idw) - Mit dem Radioteleskop LOFAR hat ein internationales Forscherteam überraschende Strukturen
von Gewitterblitzen in der Erdatmosphäre entdeckt. Diese „Nadeln“ können Gewitterwolken wieder aufladen,
so dass sie sich nach kurzer Zeit ein zweites Mal entladen. Das Team unter Leitung von Brian Hare und Olaf Scholten
von der Universität Groningen in den Niederlanden stellt das bisher unbekannte Phänomen im Fachblatt
„Nature“ vor. An der Arbeit sind auch deutsche Forscherinnen und Forscher unter anderem von DESY beteiligt.
Das Low Frequency Array LOFAR ist ein dezentrales Radioteleskop, das aus tausenden einfachen Antennen besteht.
Zugehörige Antennenfelder befinden sich in vielen europäischen Ländern, in Deutschland etwa am Forschungszentrum
Jülich und in Norderstedt bei Hamburg. Diese Antennen sind über Glasfasernetze miteinander verbunden
und an Hochleistungsrechner angeschlossen. Diese Verbindung erlaubt es, die Antennen zusammenzuschalten und als
ein riesiges, virtuelles Teleskop zu nutzen.
LOFAR dient in erster Linie zu astronomischen Beobachtungen. Allerdings ist die Anlage sehr flexibel, so dass sie
sich auch zur Messung von Blitzen eignet. „Wir messen Frequenzen von 30 bis 80 Megahertz, liegen also genau zwischen
dem Kurzwellen- und dem Ultrakurzwellenbereich“, berichtet Hare. „Mit diesen weltweit einzigartigen Daten konnten
wir zum ersten Mal Blitze so genau auflösen, dass einzelne physikalische Prozesse sichtbar wurden. Durch die
Benutzung von Radiowellen konnten wir auch ins Innere der Gewitterwolken schauen, wo sich die spannenden Prozesse
abspielen.“
Blitze entstehen, wenn innere Turbulenzen verschiedene Teile großer Cumulonimbus-Wolken gegeneinander elektrisch
aufladen. Der Effekt ist vergleichbar mit der aus dem Alltag bekannten statischen Aufladung. Wird der Spannungsunterschied
zwischen positiven und negativen Wolkenteilen zu groß, kommt es zu einer plötzlichen Entladung, die
wir als Blitz sehen können. Dabei entsteht zunächst in einem kleinen, punktförmigen Bereich ein
Plasma, also ein elektrisch leitfähiges Gas, das sich dann zu Kanälen ausbreiten kann. Die Spitze eines
solchen Plasmakanals kann positiv oder negativ geladen sein. Es war bekannt, dass negative Kanäle besonders
viele Radiowellen an der Spitze aussenden, wohingegen positive Kanäle dies an der Spitze kaum tun.
LOFAR erlaubt es, die Radiowellen, die ein Blitz aussendet, in ihrer ursprünglichen Form unverarbeitet zu
speichern. Dies wiederum ermöglicht es, neue bildgebende Verfahren zu entwickeln, die aus den Rohdaten ein
dreidimensionales Bild eines Blitzes zeichnen können – zehnmal besser als bisherige Messungen, bis zu einem
Meter genau und dank Radiowellen innerhalb einer Wolke, die vom Teleskop bis zu 20 Kilometer entfernt sein kann.
„Die Messungen stammen ursprünglich aus unserer Forschungsgruppe, die sich mit kosmischer Strahlung beschäftigt“,
berichtet Ko-Autorin Anna Nelles von DESY. „An der Schnittstelle zwischen Teilchenphysik und Astronomie war dieses
Gebiets bereits recht exotisch für ein Radioteleskop. LOFAR wurde ja vor allem für die Astronomie gebaut.
Dass wir nun das beste Blitz-Interferometer der Welt sind, kam für alle überraschend und zeigt, welche
spannenden Möglichkeiten sich durch Grundlagenforschung mit herausragender Infrastruktur ergeben können.“
Die Beobachtungen enthüllen bisher unbekannte, nadelförmige Strukturen. Wenn Blitze sich ausbreiten,
entladen sie die Gewitterwolken nur an einigen Stellen. Die nun entdeckten Nadeln erlauben, dass elektrische Ladungen
gespeichert werden, und ermöglichen damit, dass eine Gewitterwolke an der gleichen Stelle mehrfach entladen
werden kann. „Unsere Erkenntnisse stehen im Widerspruch zum bisherigen Verständnis von Blitzen, in dem Ladung
entlang von Plasmakanälen von einer Wolke zur anderen fließt“, berichtet Scholten. „Nur durch die unübertroffen
genauen Messungen mit LOFAR konnten wir zeigen, dass sich entlang der positiven Kanäle kleine Seitenkanäle
bilden, die besonders helle Radiowellen aussenden, was bedeutet, dass dort Ladung fließt.“
„In diesen Nadeln sammelt sich Ladung, die dann anschließend nicht wie erwartet in die negativen Kanäle
fließt, sondern über die Nadeln in die Wolke zurückgepumpt wird. Dadurch lädt sich die Wolke
erneut auf,“ ergänzt Hare. „Wir sehen eine immense Anzahl an Nadeln in unseren Beobachtungen. Dies wiederum
zeigt uns, wie sich Wolken nach einer Blitzentladung so schnell wieder aufladen können. Daher kommt es aus
einer Wolke zu wiederholten Blitzeinschlägen auf dem Boden, und Gewitter liefern nicht nur einen Blitz, sondern
viele spektakuläre, aber auch gefährliche Entladungen.“
DESY zählt zu den weltweit führenden Beschleunigerzentren und erforscht die Struktur und Funktion von
Materie – vom Wechselspiel kleinster Elementarteilchen, dem Verhalten neuartiger Nanowerkstoffe und lebenswichtiger
Biomoleküle bis hin zu den großen Rätseln des Universums. Die Teilchenbeschleuniger und die Nachweisinstrumente,
die DESY an seinen Standorten in Hamburg und Zeuthen entwickelt und baut, sind einzigartige Werkzeuge für
die Forschung. DESY ist ein Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft und wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent von den Ländern Hamburg und Brandenburg finanziert.
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