IV-GS Neumayer: Konjunkturelle Ernüchterung ist auch Handlungsauftrag für Reformen –
IV-Chefökonom Helmenstein: Rückkehr zur konjunkturellen Normalität
Wien (pdi) - „Während die Ausgangslage vor Jahresfrist wirtschaftlich kaum besser sein konnte, kehrt
nun etwas konjunkturelle Ernüchterung ein“, so Mag. Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung
(IV) am 18. April in einem gemeinsamen Pressegespräch mit IV-Chefökonom Dr. Christian Helmenstein bei
der Vorstellung der Ergebnisse des aktuellen IV-Konjunkturbarometers aus dem 1. Quartal 2019. Die Kardinalfrage
zu den aktuellen Konjunkturaussichten laute nun „Abschwung oder Rezession?“. Wesentliche globale Rahmenbedingungen
seien unverändert. Die US-Administration verfolge weiterhin eine unkonventionelle bis eigenwillige Wirtschaftspolitik.
Die Modalitäten des Brexit blieben ungeklärt, geopolitische Konfliktherde bestünden weiter. Und
doch unterscheide sich das heurige Jahr fundamental von 2018. „Sowohl die supranationalen als auch die nationalen
Prognostiker korrigieren ihren Konjunkturausblick laufend nach unten. Die nächste Rezession ist aber keineswegs
vorgezeichnet“, stellte Neumayer klar.
„Sofern nicht das Szenario einer kumulativen Verschärfung der zahlreichen geopolitischen Einzelrisiken eintritt,
ist für die Eurozone wie auch für Österreich eine Rückkehr auf den Potenzialwachstumspfad zu
erwarten“, betonte auch Christian Helmenstein. Genau dieses Szenario einer markanten Abschwächung der Konjunkturdynamik
habe die Industriellenvereinigung bereits vor einem Jahr angekündigt. „Dies bedingt ein zum Vorjahr vergleichsweise
niedriges Wachstum in der Größenordnung von 1,5 bis 1,75 Prozent für Österreich im Jahr 2019.
Umso wichtiger ist, dass sich Österreich standortpolitisch bestmöglich positioniert. Neben der Bekämpfung
des Fachkräftemangels, kann eine kluge, ausgewogene Steuerreform hier ein optimaler Hebel sein.“
Die Ergebnisse im Detail
Das IV-Konjunkturbarometer, welches als Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage
und der Geschäftslage in sechs Monaten bestimmt wird, bildet sich abermals von dem bereits reduzierten Niveau
der beiden Vortermine von 29,7 Punkten auf nunmehr 24,9 Punkte zurück. Dabei ist dieser Rückgang ausschließlich
auf die neuerliche Eintrübung der aktuellen Geschäftslage von +60 Punkten auf +49 Punkte zurückzuführen.
Diese Entwicklung geht mit der vor einem halben Jahr für den aktuellen Zeitraum avisierten Dynamik konform.
Bei der Einschätzung der Geschäftserwartungen der Unternehmen auf Sicht der nächsten sechs Monate
ist hingegen eine minimale Verbesserung von -1 Punkt auf +1 Punkt und somit bereits zum zweiten Mal eine Stabilisierung
des Ausblickes zu verzeichnen.
„Einerseits zeichnet sich damit kein Abgleiten in die Rezession ab, andererseits wäre es verfrüht, schon
die Wende zum Besseren auszurufen. Auf Sicht des nächsten Halbjahres verharrt die industrielle Produktion
am Rande der Stagnation, derzeit noch ohne Anzeichen einer erneuten Beschleunigung“, führte Helmenstein aus.
“Würden also die aktuellen geopolitischen Risiken eine positive Wendung erfahren – etwa durch den Abschluss
von Freihandelsabkommen zwischen den USA einerseits und China sowie der Europäischen Union andererseits oder
auch einen Exit vom Brexit –, hellten sich die konjunkturellen Aussichten deutlich auf und die Risikoprämien
auf den Aktienmärkten würden verbunden mit steigenden Kursen ausgepreist. Insbesondere die Investitionstätigkeit
würde davon beflügelt, zumal das Zinsumfeld nach wie vor expansiv wirkt.“
Der Rückgang der Gesamtauftragsbestände, die von +58 Punkten auf +53 Punkte sinken, spiegelt die Abschwächung
der konjunkturellen Dynamik wider. Dabei ist kein Unterschied mehr zwischen der Dynamik bei den inländischen
Aufträgen und jener der Auslandsaufträge auszumachen, deren Saldo auf +48 Punkte nach zuvor +53 Punkten
zurückgeht, obwohl die Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar gegenüber demselben Zeitpunkt
des Vorjahres inzwischen rund 8,5 Prozent ausmacht, was die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der heimischen
Exporte auf dem Weltmarkt stützen sollte. Zudem profitiert die österreichische Wirtschaft aufgrund ihrer
starken Verankerung in Zentral- und Osteuropa von der anhaltenden Einkommenskonvergenz gegenüber Westeuropa,
sodass der verhaltene Verlauf der Auftragseingänge aus dem Ausland vor allem den unsicherheitsbedingten globalen
Nachfrageattentismus unterstreicht.
Dementsprechend fahren die Unternehmen die geplante Ausweitung ihrer Produktionstätigkeit bei einem saisonbereinigten
Wert von +5 Punkten nach zuvor +14 Punkten weiter zurück. Angesichts der zurückhaltenden Erwartungen
auf Sicht von sechs Monaten und vor dem Erfahrungshintergrund des Jahres 2008, als sich die seinerzeit ebenfalls
überdurchschnittlichen Auftragsbestände nur teilweise in entsprechenden Ausbringungsmengen materialisierten,
sind die Unternehmen bestrebt, ihre Aufträge zügig erlösgenerierend abzuarbeiten. Dies impliziert
eine weiterhin abnehmende Auftragsreichweite.
Im Gegensatz zu dem sich weiter verlangsamenden Industriewachstum legt der Indikator zur Entwicklung des Beschäftigtenstandes
von einem niedrigen Niveau ausgehend merklich von +7 Punkten auf +12 Punkte zu. Dieser Anstieg bei einer ihrem
Wesen nach gegenüber anderen Konjunkturindikatoren üblicherweise nachlaufenden Variable ist bemerkenswert,
zumal selbiger das Ergebnis sowohl einer leicht erhöhten Einstellungsneigung bei einem Teil der Respondenten,
als auch eines zurückgehenden Anteils von Respondenten mit der Notwendigkeit eines Beschäftigungsabbaus
zurückzuführen ist. Der ausgeprägte Fachkräftemangel scheint jedes fünfte Unternehmen
bereits jetzt zu veranlassen, prospektiv im Hinblick auf eine erwartete Erholung einen Beschäftigungsaufbau
in den kommenden Monaten anzustreben. Bei der Entwicklung der Verkaufspreise erzwingen einerseits hohe Kostenbelastungen
eine Kostenüberwälzung, andererseits schlägt sich die Abschwächung des Welthandels nieder und
begrenzt die Preiserhöhungsspielräume. Im Ergebnis halten beide Einflussgrößen einander nahezu
die Waage, sodass sich ein Saldo von +2 Punkten nach 0 Punkten im Vorquartal ergibt.
Österreichs Wachstum bleibt vor Deutschland – Integration mit CEE-Raum positiv
Angesichts der weiter erodierenden Mengenkonjunktur gibt der Saldo der Ertragslage leicht auf +32 Punkte nach.
Ebenso verschlechtern sich die zuvor schon abwärts gerichteten Ertragserwartungen zum inzwischen fünften
Mal in Folge von zuvor 0 Punkten auf nunmehr -4 Punkte. Summa summarum ist für die Eurozone wie auch für
Österreich für das Jahr 2019 eine Rückkehr zur konjunkturellen Normalität zu erwarten. Dass
das Potenzialwachstum in Deutschland und Italien noch tiefer angesiedelt ist, unterstreicht nur, dass Österreich
es nach wie vor weitgehend selbst in der Hand hat, durch strukturpolitische Maßnahmen die eigene Wohlstandsperspektive
positiv zu gestalten. Die österreichische Wirtschaft wird im Vergleich zur deutschen Wirtschaft voraussichtlich
einen markanten Wachstumsvorsprung in der Größenordnung von mindestens einem Dreiviertelprozentpunkt
erzielen. Dieser Wachstumsvorsprung Österreichs resultiert aus einer ganzen Reihe von Faktoren: Erstens war
Österreich bei diesem Zyklus standortpolitisch bedingt ein konjunktureller Spätstarter – die Expansion
in Deutschland hält grosso modo bereits doppelt so lange an wie in Österreich. Damit einhergehend fällt
der Fachkräftemangel in Deutschland noch ausgeprägter als hierzulande aus, zumal als Folge der langen
Aufschwungsphase und der stärkeren Beschäftigungsanreize die Arbeitslosenquote in Deutschland deutlich
unterhalb des Niveaus von Österreich liegt, sodass so gut wie keine Beschäftigungsreserve mehr besteht.
Zugleich ist die deutsche Gesellschaft demografisch gesehen erheblich älter als die österreichische,
was infolge von Abgängen in die Pension den dortigen Fachkräftemangel noch weiter verschärft.
Weiters profitiert Österreich von der engen Integration mit den zentral- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten,
und zwar in doppelter Weise. Zum einen aufgrund des nach wie vor bestehenden Wachstumsvorsprunges der zentral-
und osteuropäischen Länder gegenüber dem Durchschnitt der Eurozone in Höhe von rund 1,5 Prozentpunkten,
sodass die österreichische Wirtschaft über ihre Exportverflechtung gleichsam Wachstumsbeiträge aus
dem dortigen Raum importiert. Zum anderen aufgrund des beträchtlichen Zustromes von Arbeitskräften aus
den betreffenden Ländern, welcher das Arbeitskräfteangebot in den letzten Jahren in Österreich beträchtlich
ausgeweitet hat.
Schließlich hat die Wirtschaft in Deutschland allgemein, besonders aber die Industrie, während des zweiten
Halbjahres 2018 unter Sondereffekten gelitten. Dazu zählen Produktionsausfälle in der Automobilindustrie
durch die Umstellung auf das neue Fahrzeuggenehmigungsverfahren (WLTP) sowie in der chemischen und pharmazeutischen
Industrie infolge des Niedrigwassers des Rheins. Hinzu kamen noch Produktionsausfälle durch Streiks bei verschiedenen
Verkehrsträgern. Diese Ausfälle wirken statistisch bedingt noch bis in das Jahr 2019 nach. Von zentraler
Bedeutung ist darüber hinaus, dass die österreichische Bundesregierung bereits Maßnahmen zur Stärkung
des heimischen Wachstums gesetzt hat. Dazu zählen die Arbeitszeitflexibilisierung und die beschleunigte Genehmigung
von bedeutenden Infrastrukturprojekten. Nunmehr steht die Umsetzung der Steuerreform an, die zumindest in jenen
Teilen auf das Jahr 2020 vorgezogen werden sollte, die über höhere Investitionen sowohl die Binnennachfrage
als auch die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes stärken. Wenn dieser nächste Schritt rasch kommt
und kräftig ausfällt, dann vermag Österreich schon aus eigener Kraft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit
eine Rezession zu vermeiden.
Die IV-Konjunkturumfrage: Zur Befragungsmethode
An der jüngsten Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung beteiligten sich 382 Unternehmen mit rund
252.500 Beschäftigten. Bei der Konjunkturumfrage der IV kommt folgende Methode zur Anwendung: Den Unternehmen
werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten)
Prozentanteile dieser Antwortkategorien, sodann wird der konjunktursensible „Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver
und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.
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