Abgeordnete geben auch grünes Licht für Neuerungen im Anerbenrecht und im Gerichtsorganisationsgesetz
Wien (pk) – Im Rahmen einer umfangreichen Durchforstung der Rechtsordnung will Österreich in Zukunft
Gesetzesbestimmungen zurücknehmen, die über die EU-Mindestvorgaben hinausgehen und mehr Kosten als Nutzen
bringen. Einen ersten Schritt in diese Richtung setzte der Nationalrat am 24. April mit dem so genannten Anti-Gold-Plating-Gesetz,
das rund 40 Anpassungen in elf Gesetze vorsieht und dabei vor allem Mitteilungs-, Melde-, Zulassungs- und Prüfpflichten
im Visier hat. ÖVP und FPÖ erwarten sich Erleichterungen für die Unternehmen durch den Entfall von
unnötiger Bürokratie und versicherten ebenso wie Justizminister Josef Moser, dass es zu keinerlei Senkung
von Standards kommen werde. Bei SPÖ und JETZT hingegen überwogen die Bedenken, es könnte im Zuge
von Anti-Gold-Plating auch in Schutzbestimmungen für ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen und AnlegerInnen eingegriffen
werden. Die NEOS wiederum unterstützten die Bereinigung, warfen den Regierungsparteien aber "EU-feindliche
Töne" vor.
Beschlossen wurde im Rahmen des "Justizblocks" auch eine Novelle zum Gerichtsorganisationsgesetz, die
unter anderem Ausnahmen für Sachverständige und DolmetscherInnen von den Sicherheitskontrollen in Gerichtsgebäuden
bringt. Änderungen im Anerbenrecht wiederum zielen darauf ab, die Zerschlagung von land- und forstwirtschaftlichen
Betrieben im Zuge der Erbfolge zu verhindern.
Anti-Gold-Plating-Gesetz fährt Übererfüllung von EU-Vorgaben zurück
Mit der Rücknahme von Regelungen in einzelnen Bereichen will das Anti-Gold-Plating-Gesetz unnötige Belastungen
für die Normadressaten beseitigen, ohne dass es dabei zur Senkung von Schutzstandards kommen soll. Die Änderungen
im Bereich von Mitteilungs-, Melde-, Zulassungs- und Prüfpflichten betreffen im Einzelnen das Unternehmensgesetzbuch,
Bankwesengesetz, das Alternative-Investmentfonds-Managergesetz, das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz,
das Börsegesetz, das Immobilien-Investmentfondsgesetz, das Investmentfondsgesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz,
das Wirtschaftstreuhandberufsgesetz, das Bilanzbuchhaltungsgesetz und das Abfallwirtschaftsgesetz.
Durch Abschaffung von überbordenden Formalismen werden nun die Unternehmen und die BürgerInnen entlastet,
unterstrich ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker. Die Regierung setze mit diesem Paket ihren Weg nach
dem Motto "Entlasten statt belasten" fort, bestätigte ihr Fraktionskollege Peter Haubner. Bürokratie
werde abgebaut, Schutzbestimmungen bleiben aber erhalten, brachte Gertraud Salzmann (ÖVP) die Stoßrichtung
des Gesetzes aus der Sicht ihrer Fraktion auf den Punkt. Auch FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan begrüßte
das Gesetz unter dem Aspekt von Rechtsbereinigung und Deregulierung und sprach von einem ersten Schritt in die
richtige Richtung, dem noch weitere folgen werden. Die Errungenschaften in den Bereichen Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz
und Konsumentenschutz werden nicht angetastet, versicherte Axel Kassegger (FPÖ).
Irmgard Griss (NEOS) unterstützte das Gesetz, zeigte sich aber irritiert über ihrer Einschätzung
nach EU-kritische Untertöne und stellte fest, EU-Vorgaben würden nicht auf Geheiß Brüssels,
sondern aus innerstaatlichen Interessen übererfüllt.
Seitens der SPÖ kritisierte Peter Wittmann, bei Investment- und Immobilienfonds sei nun eine Änderung
der Fondsbestimmungen auch ohne Genehmigung des Aufsichtsrates möglich. In der Praxis könnte sich dadurch
ein Manager seinen Bonus zu Lasten der AnlegerInnen erhöhen. Michaela Steinacker (ÖVP) erwiderte unter
Hinweis auf die Gesetzeslage, sämtliche Managergehälter seien vom Aufsichtsrat zu bewilligen, bei Änderungen
der Fondsbestimmungen würden nach wie vor die Depotbank und die FMA prüfen.
SPÖ-Abgeordnete Melanie Erasim warnte ebenso wie Harald Troch (SPÖ) vor einer Aushöhlung von Umweltschutzbestimmungen
und Arbeitnehmerrechten und forderte bei zukünftigen Rechtsbereinigungen eine genaue Prüfung im Einzelfall.
Für JETZT-Mandatar Bruno Rossmann bedeutet das Gesetz einen Abbau von Schutzbestimmungen mit Verschlechterungen
für ArbeitnehmerInnen und AnlegerInnen.
Justizminister Josef Moser stellte klar, es gehe um die Beseitigung von Übererfüllungen, wobei genau
darauf geachtet worden sei, dass es zu keinem Abbau von Schutzbestimmungen komme. Gerade die Europäische Kommission
habe in ihrem Länderbericht zu Österreich die Rechtsbereinigung als besonders positiv hervorgehoben.
Wie Moser ankündigte, sollen nun in einem weiteren Schritt rund 160 Bestimmungen "durchackert" werden.
Keine Sicherheitskontrollen für Sachverständige und DolmetscherInnen beim Betreten von Gerichtsgebäuden
Ausnahmen für Sachverständige und DolmetscherInnen von den Sicherheitskontrollen in Gerichtsgebäuden
bringen Änderungen im Gerichtsorganisationsgesetz , die das Plenum einstimmig genehmigte. Neu ist für
diese Personengruppe auch die Verpflichtung, Gutachten und Übersetzungen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs
einzubringen.
FPÖ-Abgeordneter Volker Reifenberger begrüßte die Abschaffung der Sicherheitskontrollen als sachlich
gerechtfertigt, zumal dadurch Sachverständigen und DolmetscherInnen das pünktliche Erscheinen vor Gericht
erleichtert werde. Zustimmung für die Maßnahme kam auch von Muna Duzdar (SPÖ), die in diesem Zusammenhang
aber ebenso wie ihre Fraktionskolleginnen Nurten Yilmaz und Petra Wimmer eine bessere Entlohnung für die beiden
Berufsgruppen forderte. Hier hakte NEOS-Abgeordnete Irmgard Griss mit einem entsprechenden Entschließungsantrag
ein, der bei der Abstimmung allerdings in der Minderheit blieb. Wimmer wünschte zudem eine Ausweitung der
Ausnahmen von den Sicherheitskontrollen bei Gericht auf beeidete BewährungshelferInnen.
Justizminister Josef Moser ortete ebenfalls Handlungsbedarf bei der Entschädigung für Sachverständige
und DolmetscherInnen und kündigte an, diesen Aspekt im Rahmen der kommenden Budgetverhandlungen anzusprechen.
Änderungen im Anerbenrecht sollen Erhalt von Erbhöfen sichern
Ein mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ, SPÖ und NEOS beschlossenes Zivilrechts- und Zivilverfahrensrechts-Änderungsgesetz
2019 erweitert den Anwendungsbereich des Anerbenrechts auf reine Forstbetriebe und soll dadurch der Zerschlagung
von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben im Zuge der Erbfolge vorbeugen. Weitere Bestimmungen der Novelle
betreffen Klarstellungen im Bereich der Grundbuch-Eintragungsgebühr und Präzisierungen im Zusammenhang
mit der Abfrage der Exekutionsdaten.
Die Existenzgrundlage von kleinstrukturierten Familienbetrieben werde durch die Ausweitung des Anerbenrechts nun
gesichert, freute sich ÖVP-Abgeordneter Andreas Kühberger. Die Maßnahme ermögliche die ungeteilte
Übernahme von Betrieben, betonte Volker Reifenberger (FPÖ). Georg Strasser (ÖVP) sprach von einem
"Freudentag", werde doch heute eine langjährige Forderung der Bauernschaft erfüllt. Seine Fraktionskollegin
Johanna Jachs erwartet sich von der Novelle eine Attraktivierung der Hofübergabe. Auch Selma Yildirim (SPÖ)
begrüßte die Maßnahme, meinte aber, gemischte Betriebe sollten vom Gesetz explizit erfasst werden.
Alfred Noll (JETZT) scherte aus dem Konsens aus und lenkte den Blick auf die Gerichtsgebühren, die er im internationalen
Vergleich als zu hoch bezeichnete. Sein Entschließungsantrag mit der Forderung nach einer Senkung im Rahmen
des kommenden Budgets fand allerdings keine Zustimmung. (Fortsetzung Nationalrat)
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