Abgeordnete bekennen sich zu unabhängigem öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Wien (pk) – Mit der einstimmigen Kenntnisnahme des Ausschussberichts hat der Nationalrat am 24. April
die Beratungen über das Volksbegehren "ORF ohne Zwangsgebühren" beendet. Nur wer den ORF tatsächlich
nutzt, soll künftig ein Programmentgelt – ohne zusätzliche Abgaben und Steuern – zahlen müssen,
hatten der Initiator des Volksbegehrens Rudolf Gehring und seine MitstreiterInnen gefordert. Längerfristig
sollte der ORF überhaupt aus privaten Mitteln finanziert werden. Aufgegriffen wurde das Anliegen von den Abgeordneten
nicht, die Diskussion über eine etwaige Abschaffung oder Adaptierung der ORF-Gebühren ist damit aber
nicht beendet. Nicht nur VertreterInnen der FPÖ, sondern auch der Opposition halten das derzeitige Finanzierungsmodell
für den ORF nicht mehr für ganz zeitgemäß.
SPÖ: Unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist essentiell für Österreich
Im Rahmen der Debatte bekannten sich alle Fraktionen zu einem unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Allerdings gingen die Meinungen der Abgeordneten im Detail stark auseinander. So warf die SPÖ der FPÖ
und zum Teil auch der ÖVP vor, den ORF gezielt anzugreifen. Ständig würden rote Linien überschritten,
meinte etwa Abgeordnete Selma Yildirim vor allem in Richtung FPÖ. Auch SPÖ-Mediensprecher Thomas Drozda
und die Abgeordneten Peter Wittmann und Maurice Androsch orten mehrfache Entgleisungen. JournalistInnen dürfen
nicht diffamiert werden, das müsse demokratischer Grundkonsens bleiben, mahnte Drozda.
Eine Abschaffung der ORF-Gebühren, wie von den UnterzeichnerInnen des Volksbegehrens gefordert, kommt für
die SPÖ vor diesem Hintergrund nicht in Frage. Die Finanzierung des ORF aus dem Budget wäre ein massiver
Angriff auf die Unabhängigkeit des ORF, warnte Wittmann. Man sei offenbar bestrebt, den ORF an die kurze Leine
zu nehmen, mutmaßt Yildirim. Als warnendes Beispiel führten Drozda und seine Fraktionskollegin Angela
Lueger Dänemark an, wo die Rundfunkgebühren vor kurzem abgeschafft wurden und das Budget für den
öffentlich-rechtlichen Sender gleichzeitig um 20% gekürzt wurde.
Der ORF leiste einen essentiellen Beitrag zur österreichischen Identität und brauche eine adäquate
Finanzierung, bekräftigte Lueger. Ohne Gebühren könnte der kleine österreichische Medienmarkt
gegen Deutschland nicht bestehen. Zudem wäre die österreichische Kreativwirtschaft ohne den ORF tot,
glaubt sie.
Untermauert wurde die Forderung der SPÖ nach einer Beibehaltung der ORF-Gebühren durch einen Entschließungsantrag,
der bei der Abstimmung jedoch keine Mehrheit fand. Zur Sicherung und Stärkung der Pressefreiheit in Österreich
brauche es einen starken, unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, hatte Drozda geltend gemacht.
Für ihn ist es ein Alarmsignal, dass Österreich im jüngsten Pressefreiheits-Ranking von "Reporter
ohne Grenzen" um 5 Plätze auf Platz 16 abgerutscht ist.
ÖVP: Finanzierungsfrage ist nicht vorrangig
Seitens der ÖVP hob Mediensprecher Karl Nehammer hervor, dass die Frage der Finanzierung nicht vorrangig sei.
Zunächst gelte es zu klären, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Zukunft aufgestellt sein
solle und wie man möglichst viel österreichischen Content verfügbar machen könne – sei es über
den ORF, sei es über private Anbieter. Zudem müsse es darum gehen, die pluralistische Medienlandschaft
zu erhalten und den ORF für die Herausforderung der Digitalisierung fit zu machen. Schließlich sei es
in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt durch Amazon, Netflix und Co, zu dramatischen Veränderungen gekommen.
Die Medienlandschaft sei im Umbruch, meinte dazu auch ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl. "Wir werden
von ausländischen Mediengiganten angegriffen." Es werde nicht allein durch den ORF gelingen, die österreichische
Identität durch österreichischen Content zu fördern. Auch seine Fraktionskollegin Angela Baumgartner
sprach sich für eine Kooperation zwischen dem ORF und österreichischen Privatsendern aus. Lob äußerte
Baumgartner für das vielfältige Angebot des ORF, etwa die regionalen Informationen, die Sendungen für
Minderheiten und die Zweikanaltonoption, eine Überarbeitung des ORF-Gesetzes hält sie dennoch für
unabdingbar.
Was das künftige Finanzierungsmodell für den ORF betrifft, wollten sich Nehammer und Gerstl nicht festlegen.
Es gebe viele Modelle, meinte Nehammer. Nicht alle Länder, in denen es keine Rundfunkgebühren gibt, seien
illiberale Demokratien. Es brauche aber jedenfalls einen starken, öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit adäquater
Finanzierung, bekräftigte er.
FPÖ: ORF soll sich auf faktenbasierte Information konzentrieren
Auch FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst hält die Finanzierungsfrage nur für eine unter mehreren
Fragen. Im Vordergrund stehe die Neudefinition des öffentlich-rechtlichen Auftrags, sagte sie. Es geht um
Public Value, um unabhängigen, glaubwürdigen Journalismus und um faktenbasierte Informationen. Fürst
stellte in diesem Zusammenhang Kommentare im ORF in Frage, kommentieren und moralisieren sei nicht Aufgabe eines
öffentlich-rechtlichen Senders.
In eine ähnliche Richtung ging auch die Argumentation von FPÖ-Abgeordnetem Markus Tschank. Die ZuseherInnen
würden sich vom ORF Ausgewogenheit, Objektivität und Meinungsvielfalt erwarten, diesen Anspruch habe
der Sender in den letzten Jahren nicht erfüllt. Viele Menschen würden an der objektiven politischen Berichterstattung
des ORF zweifeln. Tschank sieht das auch als Mitgrund dafür, dass der ORF in den letzten 20 Jahren fast die
Hälfte seiner Marktanteile verloren hat. Vor allem bei jungen Menschen gebe es einen niedrigen Marktanteil.
Die Menschen wollen nicht belehrt werden, meinte er.
Zur Frage der Abschaffung der Rundfunkgebühren merkte Tschank an, diese Diskussion werde nicht nur in Österreich,
sondern europaweit geführt. In vielen Staaten gebe es bereits alternative Finanzierungsmodelle. Die GIS-Gebühren
in ihrer jetzigen Form seien jedenfalls nicht sozial, da alle, unabhängig von ihrem Einkommen, den gleichen
Beitrag zahlen. Eine Umstellung auf eine Steuerfinanzierung würde weder automatisch Einsparungen bedeuten
noch die Unabhängigkeit beseitigen, hielt dazu auch Susanne Fürst fest. Es gelte, gemeinsam mit ExpertInnen
ein gerechtes Finanzierungsmodell vor dem Hintergrund der Digitalisierung zu finden. An der Unabhängigkeit
des ORF will auch Tschank nicht rütteln.
In Richtung SPÖ stellte Fürst fest, das Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen sei "faktenbefreit".
Zudem warf sie sowohl der SPÖ als auch JournalistInnen vor, unterschiedliche Maßstäbe anzuwenden.
NEOS: Aktuelles Gebührenmodell entspricht nicht dem 21. Jahrhundert
Über die künftige Finanzierung des ORF diskutieren will auch NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak. Die
derzeitigen Rundfunkgebühren entsprechen nicht dem 21. Jahrhundert, betonte er. Allerdings brauche es zunächst
einen Konsens darüber, dass der ORF parteipolitisch unabhängig sein müsse. Erst danach könne
man über unterschiedliche Finanzierungsformen reden. Skeptisch ist Scherak allerdings, was eine Budgetfinanzierung
betrifft.
Ausdrücklich verurteilt wurden von Scherak jegliche Einschüchterungsversuche gegenüber JournalistInnen.
Auch er habe nicht ganz verstanden, warum ORF-Redakteur Armin Wolf Harald Vilimsky nicht mehr Fragen zum Thema
Europa gestellt habe, sagte er, er würde aber nie auf die Idee kommen, einem Journalisten zu drohen, wenn
ihm die Fragen nicht gefallen oder er ihn nicht versteht.
JETZT: ÖVP ist nicht besonders glaubwürdig
JETZT-Abgeordneter Alfred Noll schloss sich den Ausführungen von ÖVP-Mediensprecher Nehammer vollinhaltlich
an. Bevor man über die Finanzierungsfrage diskutiere, müsse man sich darüber verständigen,
was öffentlich-rechtlicher Rundfunk sein und leisten soll. Er hält aber weder die Ausführungen Nehammers
noch die Position von Medienminister Gernot Blümel für besonders glaubwürdig. Es gebe keinen vorurteilsfreien
Diskurs. Schließlich habe Blümel schon mehrfach eine Haushaltsabgabe als Ersatz für die GIS-Gebühren
ausgeschlossen. Auch die SPÖ hat seiner Meinung nach angesichts der jahrzehntelangen Einflussnahme auf den
ORF ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Blümel: Es braucht weiterhin ein Leitmedium mit unabhängiger Finanzierung
Zu einem sachlichen Diskurs rief Medienminister Gernot Blümel auf. Er wies darauf hin, dass sich die Aufgaben
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufgrund der Digitalisierung geändert haben. Es gehe nicht mehr
nur um reine Information, sondern auch um Verifikation. Zudem seien Bestimmungen wie die 7-Tages-Beschränkung
in der Mediathek nicht mehr zeitgemäß.
Klar ist für Blümel, dass es weiterhin einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht. Es
bedürfe eines Leitmediums mit unabhängiger Finanzierung, das nicht vom Markt abhängig ist. Allerdings
soll sich der ORF seiner Meinung nach künftig nicht mehr als Konkurrent zu heimischen Privaten sehen, sondern
– etwa über gemeinsame Datenvermarktungsplattformen – mit ihnen kooperieren.
Das Volksbegehren "ORF ohne Zwangsgebühren" war gemeinsam mit dem Frauenvolksbegehren und dem Volksbegehren
"Don't Smoke" zur Unterzeichnung aufgelegen und von 320.264 Personen unterstützt worden.
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