Mit Quantenphysik Gletscher datieren

 

erstellt am
23. 04. 19
13:00 MEZ

Heidelberg/Wien (öaw) - Um Gletschereis aus der Kleinen Eiszeit präzise datieren zu können, entwickelten Forscher/innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Heidelberg eine neue Messmethode, die auf quantenphysikalischen Techniken basiert. Nun wurde diese erfolgreich in den Ostalpen getestet. Die Methode soll helfen, regionale Klimaänderungen besser zu verstehen, wie die Forscher/innen in der Fachzeitschrift PNAS schreiben.

Gletschereis ist wie ein riesiges Klimaarchiv. Durch die Bestimmung seiner Beschaffenheit und seines Alters können Forscher/innen mehr über Klimaveränderungen und Umweltbedingungen in vergangenen Jahrhunderten, aber auch über zukünftige Entwicklungen herausfinden.

Die Glaziolog/innen Andrea Fischer und Pascal Bohleber vom Institut für interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben nun in Zusammenarbeit mit den Physikern Markus Oberthaler und Werner Aeschbach von der Universität Heidelberg eine Pilotstudie mit Eis vom Schaufelferner in den Stubaier Alpen durchgeführt, die eine deutlich präzisere Datierung des Gletschereises ermöglicht als bisher. Zudem ist die neue Methode praxistauglicher: Für die Altersbestimmung reichen rund fünf Kilogramm Eis, bis dato waren mehrere Tonnen notwendig.

Gletschereis mit Atomfallen datiert
Die Studie basiert auf der sogenannten Atomfallenmethode zur Messung von Argon-39, die an der Universität Heidelberg entwickelt worden ist, und nun erstmals auch im Gletschereis eingesetzt wurde. Die Messungen führte Zhongyi Feng, Quantenphysiker und Erstautor der Studie, mit dem Eis aus den Ostalpen in Heidelberg durch. Die Ergebnisse, die einen Durchbruch in der Eisdatierung im Altersbereich der letzten 1.000 Jahre und einen Startschuss für künftige Forschungen darstellen, sind nun im US-Fachjournal PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) erschienen.

Schon jetzt wird die Methode der Atomfalle zur Datierung von älterem Eis der Antarktis (mittels Krypton-81-Isotopen) und zur Datierung von Grundwasser (mittels Argon-39) eingesetzt. Argon ist ein radioaktives Edelgas und Spurenelement in unserer Umgebungsluft, dessen Isotop Argon-39 mit einer Halbwertszeit von 269 Jahren zerfällt.

Weil Argon allerdings extrem selten vorkommt, sind in einem Kilogramm Eis typischerweise nur einige tausend bis zehntausend Atome Argon-39 enthalten. Für Messungen basierend auf dem radioaktiven Zerfall war daher bisher die Extraktion von Argon aus Tonnen von Eis notwendig - weit jenseits einer realistischen Anwendung auf einem Gebirgsgletscher.

Präzisere Ergebnisse mit weniger Eis

Dank der Unterstützung durch die Quantenphysik konnten die Glaziolog/innen dieses Problem nun lösen: Die wenigen im Eis eingeschlossenen Argon-39-Isotope werden mittels der Atomfalle gezählt indem eine resonante Multiphotonenstreuung von Laserlicht verwendet wird, um die gesuchten Isotope zu selektieren. Die quantenphysikalische Methode nutzt aus, dass verschiedene Isotope auf leicht unterschiedliches Laserlicht reagieren. Nur das gesuchte Argon-39 wird vom Licht abgebremst und detektiert, während die restlichen Isotope ungehindert an der Atomfalle vorbeifliegen.

Damit reichen ein paar Kilogramm Eis zur Altersbestimmung aus, gleichzeitig sind die Ergebnisse exakter als früher: Gletschereis, auch wenn es nur in geringen Mengen vorliegt, kann nun auf wenige Jahrzehnte genau datiert werden. Vergleichswerte aus den ersten instrumentellen Klimamessungen sowie zu den historisch dokumentierten turbulenten Witterungsabläufen am Ende der Kleinen Eiszeit (ca. 1250 bis 1850 n. Chr.) bestätigen die mittels Quantenphysik erzielten Ergebnisse.

Aus der Erforschung der Kleinen Eiszeit, die keineswegs gleichmäßig, sondern mit erheblichen klimatologischen Schwankungen verlief, erhoffen sich die Wissenschaftler/innen auch neue Erkenntnisse über das Klimasystem insgesamt: "Ein besseres Verständnis des Zusammenspiels von Klima, Geologie und Ökosystemen kann uns helfen, auch künftige Witterungs- und Klimaschwankungen besser einzuordnen", sagt ÖAW-Gletscherforscherin Andrea Fischer.

Publikation: "Dating glacier ice of the last millennium by quantum technology", Zhongyi Feng, Pascal Bohleber, Sven Ebser, Lisa Ringena, Maximilian Schmidt, Arne Kersting, Philip Hopkins, Helene Hoffmann, Andrea Fischer, Werner Aeschbach, and Markus K. Oberthaler, PNAS, 2019
DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.1816468116

 

 

 

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