Innsbruck (universität) - Forscher um Francesca Ferlaino an der Universität Innsbruck und an der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften haben in dipolaren Quantengasen aus Erbium- und Dysprosiumatomen suprasolide Zustände
beobachtet. Im Dysprosiumgas ist dieser exotische Materiezustand außerordentlich langlebig, was die Tür
für eingehendere Untersuchungen weit aufstößt.
Suprasolidität ist ein paradoxer Zustand, in dem die Materie sowohl supraflüssige als auch kristalline
Eigenschaften besitzt. Die Teilchen sind wie in einem Kristall regelmäßig angeordnet, bewegen sich aber
gleichzeitig ohne Reibung wie in einer Supraflüssigkeit. Vor 50 Jahren vorhergesagt, wurde bisher versucht,
diesen ungewöhnlichen Materiezustand mit seinen widersprüchlichen Eigenschaften in supraflüssigem
Helium nachzuweisen. Nach jahrzehntelanger theoretischer und experimenteller Forschung fehlt jedoch noch ein eindeutiger
Nachweis von Suprasolidität in diesem System. Zwei Forschungsgruppen unter der Leitung von Francesca Ferlaino
am Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und am Institut für Quantenoptik und
Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben nun Merkmale dieses exotischen Zustands
in ultrakalten Quantengasen beobachtet.
Während sich die meisten Arbeiten bisher auf den Nachweis von Suprasolidität in flüssigem Helium
konzentrierten, haben sich Forscher in jüngster Zeit den atomaren Gasen zugewandt - insbesondere denjenigen
mit starken dipolaren Wechselwirkungen. Das Team von Francesca Ferlaino untersucht seit langem Quantengase aus
Atomen mit starkem dipolaren Charakter. „Jüngste Experimente haben gezeigt, dass solche Gase grundlegende
Ähnlichkeiten mit suprafluidem Helium aufweisen“, sagt Lauriane Chomaz und verweist auf experimentelle Erfolge
in Innsbruck und Stuttgart in den vergangenen Jahren. „Diese Eigenschaften bilden die Grundlage für den Übergang
zu einem Zustand, in dem sich die mehreren Zehntausend Gaspartikel spontan in einer selbstbestimmten kristallinen
Struktur organisieren und gleichzeitig eine gemeinsame makroskopische Wellenfunktion aufweisen - beides Merkmale
von Suprasolidität."
Die Innsbrucker Forscher schafften es nun, diese Eigenschaften von Suprasolidität sowohl in Erbium- als auch
in Dysprosium-Quantengasen zu zeigen, indem sie die Wechselwirkung zwischen den Teilchen entsprechend regeln. „Während
in Erbium das suprasolide Verhalten wie bei aktuellen, bemerkenswerten Experimenten in Pisa und Stuttgart nur vorübergehend
erscheint, ist es im Dysprosium-Quantengas beispiellos stabil“, sagt Francesca Ferlaino. „Hier zeigt sich das suprasolide
Verhalten nicht nur sehr lange, es kann auch direkt durch Verdampfungskühlung erreicht werden.“ Wie beim Kühlen
einer Tasse Tee durch ständiges Blasen besteht das Prinzip hier darin, die energiereichsten Teilchen zu entfernen
und das Gas immer weiter abzukühlen bis schließlich ein quantendegenerierter stationärer Zustand
mit suprasoliden Eigenschaften im thermischen Gleichgewicht erreicht ist.
Dies bietet spannende Perspektiven für neue Experimente und Theorien, da der suprasolide Zustand in diesem
Kontext von dissipativer Dynamik oder Anregungen nur wenig beeinflusst wird und damit der Weg für die Erforschung
seines Anregungsspektrums und seines supraflüssigen Verhaltens geebnet ist. Finanziell unterstützt wurde
die Arbeit vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
und der Europäischen Union.
Publikation: Long-lived and transient
supersolid behaviors in dipolar quantum gases. L. Chomaz, D. Petter, P. Ilzhöfer, G. Natale, A. Trautmann,
C. Politi, G. Durastante, R. M. W. van Bijnen, A. Patscheider, M. Sohmen, M. J. Mark, and F. Ferlaino. Phys. Rev.
X 9, 021012 DOI: https://doi.org/10.1103/PhysRevX.9.021012
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