Bundespräsident: »Es beginnt immer damit, dass bestimmte Menschengruppen durch menschenverachtende
Rhetorik und Politik zu DEN ANDEREN gemacht werden.«
Wien (hofburg) - Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat in Wien eine Ausstellung zur Erinnerung
an die Opfer der NS-Gräuel eröffnet. Die Installation "Gegen das Vergessen" zeigt große
Porträtfotos von Überlebenden der NS-Verfolgung. Es sei wichtig, dem Leid ein Gesicht zu geben, betonte
der Bundespräsident. Gleichzeitig aber müsse man sich bewusst machen, welche Vorgänge zu derartigen
Taten führen.
Die Foto-Ausstellung wurde vom deutsch-italienischen Fotografen und Filmemacher Luigi Toscano initiiert. Toscano
hatte für sein Projekt mehr als 300 Überlebende porträtiert und stellt diese rund zwei Meter hohen
Porträts in mehreren Städten in Europa und den USA aus. Auf Initiative des Psychosozialen Zentrums ESRA
, das seit 25 Jahren Überlebende der NS-Verfolgung sowie deren Angehörige betreut und behandelt, wird
die Schau nun bis Ende Mai auf der Wiener Ringstraße vor dem Heldenplatz zu sehen sein.
Alexander Van der Bellen sagte bei der Eröffnung - einen Tag vor den Gedenkfeierlichkeiten zum offiziellen
Ende des Zweiten Weltkrieges - die Geschichte sei bekannt. "Wir alle kennen die Zahl der Ermordeten."
Aber: "Zahlen sind das eine, wir haben Schwierigkeiten uns vorzustellen, was Vertreibung, Folter, Erniedrigung
für jeden einzelnen Menschen bedeutete. Ich glaube, wir werden nie ganz nachfühlen können, was all
diese Menschen empfunden haben. Und wir werden nie ganz verstehen, was andere dazu bewogen hat, wie Menschen anderen
Menschen so viel Leid antun konnten."
Die Ausstellung zeige Menschen "als konkrete Individuen", so der Bundespräsident bei der Eröffnung,
an der auch mehrere Überlebende teilnahmen. "Und diese Ausstellung gibt dem Leid ein Gesicht - Gesichter
und Namen." Diese würden beispielhaft für Millionen von Verfolgten stehen, die Opfer von Willkür,
Hass und Brutalität wurden.
"Gegen das Vergessen" am Wiener Burgring
Alexander Van der Bellen betonte, es gehe aber nicht nur um Erinnerung, sondern auch darum, Lehren zu ziehen:
"Ich hoffe, dass Initiativen wie diese Ausstellung dazu beitragen, darüber nachzudenken, wie es zu Folter,
zum systemtischen Morden kommen konnte." Man müsse nicht nur über die Endphase der Verfolgung mit
den Konzentrationslagern wie Mauthausen nachdenken, sondern auch über deren Vorgeschichte.
"Es beginnt immer mit dem entwertenden, diffamierenden Wort, damit, andere zu Sündenböcken zu machen,
mit Diskriminierung. Und endet - schon vor Auschwitz und den anderen Lagern - mit der Entmenschlichung. Es beginnt
immer damit, dass bestimmte Menschengruppen durch menschenverachtende Rhetorik und Politik zu 'den Anderen' gemacht
werden", so Alexander Van der Bellen. Hier liege die Verantwortung der heutigen Generation: "Wir haben
die Pflicht, uns diese Vorgänge bewusst zu machen, um sie schon in ihren Anfangsstadien erkennen und dagegen
aufstehen zu können. Das ist nicht immer einfach, die Zeichen an der Wand rechtzeitig zu erkennen"
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