Albaniens Parlamentspräsident
 Gramoz Ruçi zu Gast im Parlament

 

erstellt am
07. 05. 19
13:00 MEZ

Österreich soll Anwaltschaft in EU-Heranführung des Westbalkans übernehmen
Tirana/Wien (pk) – Albanien sieht Österreich als Schlüsselland für die Heranführung des Westbalkans an die Europäische Union, wie der albanische Parlamentspräsident Gramoz Ruçi am 6. Mai in Gesprächen mit Bundesratspräsident Ingo Appé und Abgeordneten im Parlament sagte. Es gebe Staaten wie Russland und China, die in der Region präsent seien und kein Interesse daran hätten, dass Südosteuropa Teil der EU wird. Dieses Momentum werde von einigen EU-Mitgliedsländern nicht bemerkt. Umso wichtiger sei die Haltung und Rolle Österreichs, betonte Ruçi, der seine Anerkennung für das bisherige Engagement an das Anliegen knüpfte, im EU-Heranführungsprozess gegenüber skeptischen Mitgliedsstaaten die Anwaltschaft für den Westbalkan zu übernehmen, um die Wichtigkeit der Region für ganz Europa vor Augen zu führen. "Ich denke, dass ein integrierter Westbalkan kein zusätzliches Problem für die EU ist, sondern ein nicht integrierter Westbalkan", so der Gast aus Tirana.

Albanien und Nordmazedonien würden nach Erfüllung der Bedingungen auf den von Brüssel für heuer ins Auge gefassten Beginn der Beitrittsgespräche warten. Die EU-Beitrittsgespräche oder der Beitritt sollten kein Geschenk sein, Albanien kenne seine Verantwortung und habe mit großer Intensität an Reformen gearbeitet, "wir hoffen dieses Jahr auf eine positive Antwort der EU", so Ruçi. Als positiven Indikator für Albaniens Fortschritte nannte er etwa die 2017 gestartete Justizreform. "Weder Korruption noch Kriminalität können ohne unabhängige Justiz bekämpft werden. Deswegen ist sie die wichtigste all unserer Reformen", so der Parlamentspräsident, der zudem darüber informierte, dass nach dem Vetting der albanischen Justiz 70% der RichterInnen an den Höchstgerichten aus ihrem Amt enthoben wurden. Bis Juni sollen der Verfassungsgerichtshof sowie der Oberste Gerichtshof neu besetzt und wieder funktionsfähig sein. Was den Kampf gegen Kriminalität und Drogenhandel betrifft, sieht der Parlamentspräsident Albanien auf einem positiven Weg. Es handle sich dabei allerdings um Probleme, die kein Land alleine bewältigen könne, deshalb seien Vereinbarungen wie mit Österreich in diesem Bereich von großer Bedeutung.

Bundesratspräsident Appé betonte gegenüber Ruçi, dass sich Österreich seiner Vermittlerrolle bewusst sei und auch mit skeptischen EU-Mitgliedsländern Gespräche führe, um das europäische Projekt in Südosteuropa zu finalisieren. Angesichts des Friedensprozesses sowie wirtschaftlicher Aspekte sollte es das Ziel sein, die gesamte Region in die EU zu integrieren. Die weitere Unterstützung Österreichs auf Albaniens Weg in die EU betonte ebenfalls der Obmann des EU-Unterausschusses Reinhold Lopatka (ÖVP). Im österreichischen Parlament gebe es fraktionsübergreifenden Konsens zur EU-Westbalkan-Integration, informierte der Abgeordnete. Natürlich würde es eine Zeit dauern, bis neue Mitgliedstaaten zu Nettozahlern werden, allerdings müsse man im Fall der südosteuropäischen Region auch "Nichterweiterungskosten" miteinbeziehen.

Geht es um die teilweise gewaltsamen Proteste in Tirana, meinte Ruçi, dass diese ausschließlich von der Opposition organisiert würden. Diese würde "wie jede politische Partei, die die Regierung übernehmen möchte", vorgezogene Wahlen erzwingen wollen, wie er gegenüber Susanne Fürst (FPÖ) sagte. In den Protesten seien jedenfalls keine Gewerkschaften oder Interessengruppen wirtschaftlicher oder sozialer Art involviert. Fürst machte gegenüber dem albanischen Gast geltend, dass die Integration des Westbalkans in die EU ein Anliegen der FPÖ sei. "Das würde dem Frieden in Österreich und der EU gut tun", so die Abgeordnete.

Angesprochen von Birgit Sandler (SPÖ) auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie die Landflucht in Albanien, meinte Ruçi, dass es in den letzten vier Jahren im Vergleich mit anderen Ländern in der Region positive Entwicklungen gebe, das Problem aber noch nicht gelöst sei.

Angelehnt an seinen Themenschwerpunkt als Bundesratspräsident erkundigte sich Appé auch über die Situation des Trinkwassers in Albanien. "Wir sind ein Land, das sich bemüht, diesen Schatz nicht zu missbrauchen", sagte dazu Ruçi. Albanien würden nicht die Wasserquellen fehlen, in den letzten drei Jahrzehnten seien diese allerdings nicht optimal verwaltet worden.

Der albanische Parlamentspräsident Gramoz Ruçi befindet sich diese Woche zu einem mehrtägigen Besuch in Wien. Heute stand eine Aussprache mit MandatarInnen der bilateralen parlamentarischen Gruppe Österreich-Albanien, des Außenpolitischen Ausschusses und des Ständigen EU-Unterausschusses des Nationalrats sowie ein Arbeitsgespräch bei Bundesratspräsident Ingo Appé am Programm.

Der Präsident des albanischen Parlaments setzt am 7. Mai seinen Besuch im Parlament fort. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka wird ihn am Nachmittag im Palais Epstein zu einem Arbeitsgespräch empfangen, davor besucht Ruçi die Demokratiewerkstatt.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at

 

 

 

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