Opposition fürchtet um Unabhängigkeit bei Rechtsberatung für Asylwerbende
Wien (pk) - Die Flüchtlingsbetreuung in Österreich wird auf neue Beine gestellt. Mit ÖVP-FPÖ-Mehrheit
beschloss der Nationalrat am 16. Mai die Einrichtung einer Bundesagentur, die ab Mitte 2020 alle Erstaufnahmezentren
betreibt. Ab Anfang 2021 wird die staatliche Agentur auch die gesamte Rechts- und Rückkehrberatung für
AsylwerberInnen übernehmen. Die Maßnahme ziele auf eine Steigerung der Kosteneffizienz bei der Flüchtlingsbetreuung
ab, erklärte Innenminister Herbert Kickl im Plenum. Außerdem werde damit das Vorhaben vorangetrieben,
die Zahl der Asylanträge deutlich zu reduzieren.
Massive Kritik an der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), wie die Asylagentur
offiziell heißt, übt die Opposition. Befürchtet werden von SPÖ, NEOS und JETZT, dass es bei
der Versorgung und Beratung von Geflüchteten künftig zu Interessenkonflikten kommt, da die zuständigen
Personen nicht mehr unabhängig seien. Während der Debatte eingebrachte Anträge von NEOS und JETZT,
die unter anderem auf die Gewährleistung eines Anspruchs auf Rechtsberatung im Sinne der AsylwerberInnen abzielen,
fanden jedoch keine Mehrheit im Plenum.
BBU soll Kosten für Flüchtlingsbetreuung reduzieren
Durch die Errichtung der Asylagentur als gemeinnützige Gesellschaft im Eigentum des Bundes erhofft die Regierung
beträchtliche Einsparungen. Konkret rechnet man mit einer Reduktion der Gesamtkosten für einen in Bundesbetreuung
befindlichen Asylwerber von derzeit durchschnittlich 183 € pro Tag, nicht zuletzt aufgrund niedrigerer Administrationskosten.
Insgesamt geht man nach vorübergehenden Mehraufwendungen in den Jahren 2019 (+4,1 Mio. €) und 2020 (+6 Mio.
€) von deutlichen Minderausgaben in den Jahren 2021 (-12,5 Mio. €), 2022 (-15,2 Mio. €) und 2023 (-15,4 Mio. €)
aus. An der hohen Betreuungsqualität werde sich dadurch nichts ändern, heißt es in der Erklärung
zum Gesetz. Vielmehr soll eine "faire, realistische und objektive" Rechtsberatung dazu beitragen, den
Anteil der freiwilligen Ausreisen von Fremden an den Außerlandesbringungen von aktuell 45% zu erhöhen.
Neben einer Kostenersparnis sollen die Änderungen bei Betreuung und Rechtsberatung Geflüchteter eine
Reduzierung der Abhängigkeit von externen Leistungserbringern bringen sowie zur Qualitätssicherung beitragen.
Derzeit sind diese Leistungen an externe Anbieter ausgelagert, wobei die Rechts- und Rückkehrberatungen vor
allem gemeinnützige Nichtregierungsorganisationen wie Caritas oder Diakonie übernehmen. Mit Einführung
der Bundesagentur wird es auch Einschränkungen beim Anspruch auf Rechtsberatung geben, geht aus dem BBU-Gesetz
(594 d.B.) hervor.
SPÖ rügt Ausschaltung unabhängiger Stellen bei Flüchtlingsberatung
Für SPÖ-Sicherheitssprecherin Angela Lueger sind die von der Regierung versprochenen Einsparungen nicht
nachvollziehbar. Eigentlich ziele die Bundesbetreuungsagentur darauf ab, Nichtregierungsorganisationen (NGO) von
der Flüchtlingsversorgung auszuschließen. Deutlich kritisierte die Sozialdemokratin daher die geplante
Rechtsberatung durch das BBU, zumal sie deren Praktikabilität in Frage stellte. "Es geht um die Ausschaltung
der NGOs und es ist ein Eingriff in bestehende Rechte", folgerte Lueger, die Regierung zerstöre mit der
Überführung der kompletten Asylwerberbetreuung in die Staatsagentur ein "gut funktionierendes System".
Reinhold Einwallner (SPÖ) pflichtete bei, mit der BBU werde ein weiterer Schritt zur Reduzierung der Qualität
in der Rechtsberatung gesetzt. Die Unabhängigkeit, wie bei Nichtregierungsorganisationen gegeben, werde "eliminiert".
Außerdem warnte Einwallner vor steigenden Kosten, da die angedachte Ressourcenausstattung der Bundesagentur
nicht den Anforderungen entspreche. Als Hauptgrund für das Gesetz erachtet der Sozialdemokrat die Schaffung
von Posten für FPÖ Funktionäre, etwa als Geschäftsführer im BBU. Dass aufgrund der Novelle
künftig sowohl die Rechtsberatung als auch die Rechtsvertretung von AslywerberInnen nicht mehr unabhängig
sein werden, rügte SPÖ-Abgeordnete Nurten Yilmaz ebenfalls. Das würde die NGOs diskreditieren. Es
sei davon auszugehen, dass die BeamtInnen die Rechtsberatung unter der Anweisung durchführen, die Asylverfahren
einzustellen, meinte sie.
Maurice Androsch (SPÖ) äußerte Besorgnis über die Zusammenstellung des Aufsichtsrats der BBU.
Er kritisierte, dass das Bundesministerium für Inneres sechs von zwölf Mitgliedern stellt, bei denen
eine Durchgängigkeit in der Weisungskette gegeben sei. Bei Stimmengleichheit könnte also stets das Innenministerium
eine Entscheidung treffen. Sein Fraktionskollege Konrad Antoni bezweifelte in diesem Zusammenhang die Qualitätssicherung
sowie die angestrebte Kosteneinsparung. Das stetige Umbauen und Umstrukturieren der Regierung ginge hingegen auf
Kosten der SteuerzahlerInnen.
NEOS warnen vor Bürokratisierung zum Nachteil Geflüchteter
Wichtige Punkte wie die Qualitätssicherung bei Dolmetsch und Rechtsberatung gewährleiste die Gesetzesinitiative
nicht, bemängelte NEOS-Asylsprecherin Stephanie Krisper. Vielmehr habe der Staat künftig sämtliche
Kosten der Flüchtlingsbetreuung zu übernehmen, stellte sie ähnlich wie Lueger und Antoni die Kostenwahrheit
im Gesetzesentwurf in Abrede. Nicht einkalkuliert seien unter anderem reale Mietkosten und das Beratungspersonal
im nötigen Ausmaß. "Eine unfassbare Bürokratisierung" prophezeite Krisper durch die "Verstaatlichung"
der Asylwerberbetreuung, außerdem seien die zuständigen MitarbeiterInnen nicht mehr unabhängig,
wie es für faire Verfahren aber notwendig sei.
Asylverfahren sollten rascher, effizienter und fairer ablaufen, widmete sich Irmagrd Griss (NEOS) speziell der
mit dem BBU angepeilten Verfahrensbeschleunigung. Nötig sei dafür jedoch eine Vereinfachung des Asyl-
und Fremdenrechts. Eine Verstaatlichung der Rechtsberatung durch Bedienstete jener Institution, gegen die ein Anspruch
geltend gemacht wird, sei "ein Widerspruch in sich", zeigte Griss auf. Praktische Konsequenz dieser Maßnahme
seien möglichst rasche Ausweisungen, ohne vorab alle Möglichkeiten von Geflüchteten abzuwägen.
An der angekündigten Effizienzsteigerung zweifelt sie ebenso, seien doch nicht ausreichend personelle Ressourcen
vorhanden, um die komplexe Rechtsmaterie schnell anzuwenden.
JETZT fürchtet Verschlechterung der Verfahrensrechte für AsylwerberInnen
Alfred J. Noll, Justiz- und Verfassungssprecher von JETZT, hält grundsätzlich die Grundversorgung für
eine staatliche Aufgabe. Die Errichtung der Bundesagentur sei daher per se nicht abzulehnen, die geplante Ausstattung
des BBU sei aber zu gering. Außerdem würden die im Gesetz beschriebenen Aufgaben in der Organisation
nicht abgebildet – "das ist rechtsstaatlich nicht gut gemacht". RechtsberaterInnen würden etwa "flugs
zu Rechtsvertretern", wodurch die Objektivität der Beratungsleistungen in Frage zu stellen sei. Falls
Betroffene einen Rechtsanwalt beiziehen, müsse dessen rechtsanwaltliche Verschwiegenheit sichergestellt sein,
fordert JETZT gemeinsam mit NEOS eine Klarstellung im Gesetz, dass ein zusätzlicher Rechtsvertreter eines
Asylwerbers nicht automatisch Informationen zum Fall an die BBU weitergeben muss. Mit einem Entschließungsantrag
fordert JETZT außerdem die Abschaffung des Namens "Ausreisezentren" für Asylunterkünfte.
Direkt an Innenminister Kickl wandte sich Alma Zadic (JETZT), als sie an die Freiheitsrechte Europas als Kern des
hiesigen Rechtsverständnisses erinnerte. Dabei gehe es vor allem um die Freiheit vom Staat als Grundlage für
ein faires Verfahren mit dem "Gebot der Waffengleichheit". Letztere erfordere wiederum, mahnte Zadic,
dass eine Rechtsberatung bzw. –vertretung im ausschließlichen Interesse des Antragstellers erfolge. Da das
BBU vollständig unter Einfluss des Innenministeriums stehe, sei dies unwahrscheinlich, zumal laut Gesetzesentwurf
ein Rechtsanspruch auf Rechtsberatung im Zulassungsverfahren nur besteht, wenn die Einvernahme innerhalb von 72
Stunden erfolgt. Diese zeitliche Einschränkung müsse gestrichen werden, zudem sei die Rechtsvertretung
im Interesse der oder des Asylwerbenden explizit unter den BBU-Aufgaben anzuführen, verdeutlichte Zadic in
zwei von ihr eingebrachten Abänderungsanträgen, die allerdings wie auch die anderen Oppositionsanträge
zum BBU mehrheitlich abgelehnt wurden.
ÖVP erwartet mehr Qualität und Objektivität bei Flüchtlingsberatung
ÖVP-Polizeisprecher Karl Mahrer sieht in der Neuaufstellung der Asylpolitik durch die Bundesbetreuungsagentur
anders als die Oppositionsparteien die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte vollständig
berücksichtigt. Qualität und Objektivität würden im BBU durch hoch ausgebildete MitarbeiterInnen
sichergestellt. Zu bedenken gab Mahrer allerdings, "die Betreuung von AsylwerberInnen ist eine hoheitliche
Aufgabe". Wichtig sei dabei eine "realistische Prognose" für die Betroffenen, denn bislang
hätten die privaten Beratungsstellen eine solche nicht immer gegeben. Damit habe man der "Menschenwürde"
von AsylwerberInnen keinen guten Dienst getan. Das BBU werde nun nach den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit
koordiniert mit dem Justizministerium dafür Sorge tragen. Zudem würden unabhängige MenschenrechtsbeobachterInnen
den Abschiebungen beiwohnen.
Nikolaus Prinz (ÖVP) nannte es vernünftig, alle Aufgaben des Bundes bei der Flüchtlingsbetreuung
unter "ein gemeinsames Dach" zu stellen. Das BBU sei keine gewinnorientierte Gesellschaft, betonte Prinz,
der bei den bisher zuständigen externen Leistungsträgern durchaus die Gewinnmaximierung als wichtigen
Punkt bei den Beratungen ortete. Die Rechtsberater im BBU seien weisungsfrei gestellt, durch objektive Beratungen,
die Menschen keine unerfüllbaren Hoffnungen machen, werde es mehr freiwillige Rückkehren geben.
FPÖ begrüßt Bundesagentur als Maßnahme gegen Asylmissbrauch
Erfreut zeigte sich Hans-Jörg Jenewein (FPÖ) über die Gesetzesinitiative, da sie eine langjährige
Forderung der FPÖ umsetze. Erstmals würden nun Rechts- und Rückkehrberatung objektiviert. Bislang
seien private Stellen dafür zuständig gewesen, die Asylverfahren häufig ungebührlich in die
Länge gezogen hätten, oft aus Gewinngründen. "Mit diesem Unwesen wird jetzt Schluss gemacht."
Die BBU sei ein "ganz wesentlicher Schritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit", sieht Jenewein eine "konkrete
Veränderung zum Positiven" im Sinne der österreichischen Bevölkerung. Sein Parteikollege Christian
Ries begrüßte ebenfalls, dass die Flüchtlingsbetreuung in die "Obhut des Staates" zurückkehrt,
die Verfahren würden unabhängig und weisungsfrei durchgeführt. Vielfach könnten aktuell als
BeraterInnen tätige Personen nun als Bedienstete des Staates arbeiten. "Die Erwirtschaftung von Gewinnen"
dürfe aber im Asylsystem keine Rolle mehr spielen.
Asylmissbrauch sieht der Freiheitliche Günther Kumpitsch als großes Problem für einen funktionierenden
Rechtsstaat. Gewalttätige oder straffällig gewordene AsylwerberInnen würden derzeit von NGOs dabei
unterstützt, ihre Abschiebungen zu verzögern, "das gilt es abzustellen". Das BBU werde künftig
eine neutrale Darlegung der Erfolgsaussichten für Asylanträge gewährleisten, wodurch Beschwerdeverfahren
mit geringen Chancen hintangehalten werden. Außerdem begrüßt Kupitsch die Bundesagentur aus finanziellen
Gründen. Die Betreuungskosten für AsylwerberInnen seien in den letzten Jahren nämlich im Verhältnis
zu den zu betreuenden Personen unverhältnismäßig gestiegen.
FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz betonte, dass sowohl die Beamten, die die Betreuungs- und Beratungsleistungen
ausführen werden, als auch der Aufsichtsrat nicht weisungsgebunden sind. Künftig werde die Rechtsberatung
und Flüchtlingsbetreuung auch endlich korrekt, objektiv, kosteneffizient und ohne Eigeninteressen ablaufen,
sagte Susanne Fürst (FPÖ). Bisher sei das bei den von den eigenen Interessen geleiteten NGOs nicht der
Fall gewesen. Auch FPÖ-Mandatar Werner Herbert meinte, die bisher betrauten NGOs hätten bewusst Verfahrensverzögerung
betrieben. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Rechtsberatung und Rechtsvertretung künftig von den öffentlich
Bediensteten gewissenhaft und unparteiisch erfüllt wird. Sowohl Herbert als auch sein FPÖ-Fraktionskollege
David Lasar betonten gegenüber der Oppositionskritik, dass die BBU ohnehin der Kontrolle des Rechnungshofs
unterstellt ist und eine Informationspflicht gegenüber dem Justizministerium bestehe. Es sei davon auszugehen,
dass durch die Bündelung der Leistungen nun eine Qualitätssicherung auf sehr hohem Niveau erreicht werde,
meinten beide. Lasar hob ebenso positiv hervor, dass die Abhängigkeit gegenüber externen Leistungserbringern
entfällt.
Unterstützung für die Entscheidung, die Flüchtlingsbetreuung in die Hände des Bundes zu legen,
kam seitens des fraktionslosen Abgeordneten Efgani Dönmez. Er bezeichnete die Verstaatlichung als logischen,
nachvollziehbaren Schritt. Wichtig ist für ihn, jenen AsylwerberInnen, die Unterstützung brauchen, bestmögliche
Hilfe zu bieten.
Innenminister Kickl: Kürzere Asylverfahren, weniger Asylanträge
Eine drastische Verkürzung der Asylverfahren kündigte Innenminister Kickl mit der neuen Bundesasylagentur
an. Rechtsberatung- und vertretung würden dabei klar getrennt, wies er den diesbezüglichen Vorwurf von
JETZT zurück. Die Flüchtlingsbetreuung und -beratung sei eben eine hoheitliche Aufgabe, wandte er sich
gegen Privatisierungen in diesem Bereich. Die Opposition lehne die Bundesasylagentur aus ideologischen Gründen
ab, vermutete Kickl, dabei garantiere die BBU ein krisenfestes Asylsystem. BeamtInnen und nicht gewinnorientierte
Privatorganisationen würden tatsächlich zwischen jenen unterscheiden, die des Schutzes bedürfen,
und anderen MigrantInnen, die den Weg nach Österreich gefunden haben und womöglich das System durch Verfahrensverschleppungen
"missbrauchen". In diesem Zusammenhang pochte der Innenminister darauf, dass die Kosten mit dem BBU sinken,
gerade in organisatorischer Hinsicht. So werde es nur einen einzigen Geschäftsführer geben.
Sein Ziel sei die "Nulllinie" bei Asylanträgen, beschrieb Kickl das Vorhaben, die Antragstellungen
zu reduzieren. Missbrauch werde strenger geahndet, Aberkennungen des subsidiären Schutzes sollten schneller
erfolgen. Deutlich verteidigte der Minister den Ausdruck "Ausreisezentren" für Erstaufnahmestellen,
da die Schutzwürdigkeit der dort untergebrachte Personen noch unklar sei. Das Jahr 2015 dürfe sich nicht
wiederholen, erinnerte er an die "Menschenmassen", die als Flüchtlinge die österreichische
Grenze passierten. Bis heute seien die Gerichte mit diesen Fällen befasst. Man erfülle mit dem BBU vollständig
europäisches Recht, betonte Kickl, biete die Bundesagentur doch unabhängige Beratung mit objektiver Information.
Aber es gebe keine "Übererfüllung" von EU-Vorgaben mehr, die "für alle nur Kosten
und Umstände produziert".
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