Zukunft Europas Thema im Nationalrat - Opposition wirft Regierung Anti-EU-Politik vor
Wien (pk) - Der EU-Wahlkampf machte am 15. Mai Station im Nationalrat. Obwohl durch EU-Minister Gernot
Blümel vertreten, war Bundeskanzler Sebastian Kurz in der Plenardebatte zur Aktuellen Europastunde sehr präsent.
Die Forderung von Kurz, durch eine EU-Vertragsänderung die "Bevormundung" durch die EU zu beenden
und 1.000 EU-Gesetze zu streichen, wurde heftig diskutiert, wobei die Kommentare dazu sehr unterschiedlich ausfielen.
Während die ÖVP darin eine Fortschreibung der Vorschläge von Kommissionspräsident Jean-Claude
Juncker zur EU-Reform sieht, wertet die FPÖ Kurz' Aussagen als Kopie freiheitlicher Forderungen.
Die Opposition warf der Regierung eine anti-europäische Haltung vor und kontrastierte die Regierungslinie
mit eigenen Schwerpunkten. Als Befürworterin einer Sozialunion, die von Konzernen europaweit gerechte Beiträge
verlangt, präsentierte sich die SPÖ. Für die NEOS muss die EU handlungsfähiger werden, um im
globalen Umfeld zu bestehen. Die Liste JETZT kann sich einen neuen EU-Vertrag nur unter der Voraussetzung vorstellen,
dass er vom Klimawandel bis zur Steuerumgehung alle großen Probleme des 21. Jahrhunderts aufgreift.
"Ordnung, gute Lebensperspektive und Hausverstand: Ein neuer Vertrag für die Zukunft Europas", so
lautete denn auch der von der ÖVP gewählte Titel der Europastunde im Vorfeld der Wahl zum Europäischen
Parlament am 26. Mai 2019.
Blümel für EU-Rechtsbereinigung nach Vorbild Österreichs
Die Anregung von Bundeskanzler Kurz, 1.000 redundante EU-Regelungen in Anlehnung an die vollzogene Rechtsbereinigung
in Österreich zu streichen, entspricht laut Bundesminister Blümel den Plänen der Europäischen
Kommission zur Weiterentwicklung der EU. "Weniger, aber effizienter", mit diesem Motto habe der österreichische
Ratsvorsitz bereit 2018 an der Neugestaltung der EU gearbeitet. Die Einhaltung notwendiger EU-Vorgaben, etwa zur
Steuer- oder Migrationspolitik der Mitgliedstaaten, müsse dagegen besser gewährleistet sein. So schlug
Blümel Sanktionen vor, wenn EU-Länder eine "übertriebene Schuldenpolitik" betreiben oder
sich das "Weiterwinken illegaler Migranten" erlauben. Schließlich gelte es auch, die EU-Verfahren
gegen Rechtsstaatlichkeitssünder durchsetzungsstärker zu machen, etwa mittels der Einbeziehung unabhängiger
Gerichte in die Bewertung einer Verletzung der Rechtsstaatlichkeit. Fraglos habe Österreich aus seiner EU-Mitgliedschaft
großen Nutzen gezogen, unterstrich Blümel mit Hinweis auf die Ankurbelung von Wirtschaft und Arbeitsplatzwachstum.
"Damit diese Erfolgsgeschichte fortgeschrieben wird, ist Europa weiterzuentwickeln", warb er für
eine EU-Vertragsänderung.
Opposition wirft Regierung Populismus vor
Eine Richtungsentscheidung für oder gegen Europa ist die EU-Wahl aus Sicht von SPÖ-Klubvorsitzender Pamela
Rendi-Wagner. Der türkisen ÖVP sprach sie dabei ab, eine Europapartei zu sein, nachdem Bundeskanzler
und ÖVP-Parteichef Kurz sich gegen EU-Regelungen für das Zusammenleben in der Union ausgesprochen habe.
"Eine ehrliche und verantwortungsvolle Politik" erwartet Rendi-Wagner von Kurz, dem sie vorwarf, "Erfüllungsgehilfe"
der nationalistischen Populisten in der EU zu sein. Als langjährige Abgeordnete im EU-Parlament versteht auch
Evelyn Regner die Aussagen von Kurz als "EU-Bashing". Auf europäischer Ebene beschlossene Regelungen
dienten dem Schutz der europäischen Bevölkerung, sagte Regner und nannte konkret die Arbeitsmarktrichtlinie.
Der Mensch habe bei der EU-Politik im Mittelpunkt zu stehen, so die SPÖ-Delegationsleiterin im Europaparlament,
Konzerne müssten ihren "gerechten Beitrag" leisten. Die Probleme im 21. Jahrhundert seien nur in
einem gemeinsamen Europa zu lösen.
Der aktuelle Handelskrieg zwischen den USA und China war eines der Beispiele, das NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger
in ihrem Appell für eine "große Reform für Europa" anführte. Zentral dabei sei die
Handlungsfähigkeit der Union, sprach sie sich für die Abkehr von einstimmigen Beschlüssen der Nationalstaaten
aus. Erleichtert würde dadurch eine progressive Politik, etwa gegen den Klimawandel und für Wettbewerbsstandards,
die weltweite Geltung haben. Die Reise müsse in Richtung "Vereinigte Staaten von Europa" gehen,
anstatt in den "Schrebergarten" der populistischen Nationalstaatlichkeit zurückzukehren.
Alma Zadic (JETZT) hinterfragte einmal mehr die Vorschläge von Bundeskanzler Kurz, als sie den Reformbedarf
in der EU aufgriff. Immerhin habe die österreichische Regierung im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft
keine Vorschläge wie die Streichung von EU-Regelungen präsentiert, vielmehr bestimme der Europäische
Rat der Staats- und Regierungschefs, welche Gesetze die Europäische Kommission auszuarbeiten habe.
Die fraktionsfreie Abgeordnete Martha Bißmann appellierte grundsätzlich an Bürgerinnen und Bürger,
wählen zu gehen. Das Wahlrecht sei hart erkämpft worden. "Die Demokratie ist nicht vom Himmel gefallen
und es gilt, sie jeden Tag zu verteidigen." Wahlempfehlung gab Bißmann keine ab, doch hob sie die Klimakrise
als eines der zentralen Themen hervor, die wahlentscheidend seien.
Regierungsfraktionen für mehr Subsidiarität
Angelika Winzig sieht die Zukunft der EU in den Regionen. Die Spitzenkandidatin der Oberösterreichischen Volkspartei
für die EU-Wahl plädierte im Plenum für eine "gelebte Subsidiarität", ausgerichtet
gegen die "Detailverliebtheit" der EU in vielen Bereichen, die besser auf nationalstaatlicher oder regionaler
Ebene zu entscheiden seien. Die Europäische Union habe sich als global selbstbewusster Player mit großen
Themen wie Handelspartnerschaften, der Energieunion, Sicherheit und Migration zu befassen. In diesem Sinne sei
auch die Organisationsstruktur der Union zeitgemäß auszurichten, sodass Mitgliedsländern, die "verantwortungslose
Schuldenpolitik" betreiben, oder illegale Migration zulassen, mit Sanktionen zu rechnen hätten.
Winzigs Parteikollegen Gerog Strasser und Reinhold Lopatka wiesen darauf hin, das Vertrauen der BürgerInnen
in die EU steige zwar, die Bevölkerung fordere aber Reformen. Strasser machte den Reformbedarf an der EU-Agrarpolitik
fest, wobei er für eine Höherdotierung des Förderbudgets eintrat. Gleichzeitig sollte Europa durch
Bürokratieabbau schlanker werden. Lopatka betonte, gut funktionierende Nationalstaaten seien die beste Grundlage
für eine erfolgreiche EU. Die Bundesregierung wolle ein aktiver Partner in einer starken EU sein, die auf
einem subsidiären Entscheidungssystem beruhe. Die Vorschläge des Bundeskanzlers hätten diesem Ansatz,
der auch von der Europäischen Kommission geteilt werde, Rechnung getragen.
Petra Steger, die als Listenzweite für die FPÖ bei der EU-Wahl kandidiert, wies zurück, dass ihre
Partei die EU zerstören will. Vielmehr trachteten die Freiheitlichen danach, den Nationalstaaten im Sinne
nationalstaatlicher Interessen mehr Gewicht in der EU zu geben. Deswegen lehne die FPÖ auch als einzige politische
Kraft in Österreich die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip ab. Das Vereinigte Königreich habe sich letztlich
wegen des zunehmenden Zentralismus in der EU für den Austritt entschieden. Bemerkenswert findet Roman Haider
(FPÖ) am laufenden EU-Wahlkampf, einzig die FPÖ trete für einen souveränen Nationalstaat in
einer EU mit klar abgegrenzten Kompetenzen ein. Die NEOS seien für die Auflösung Österreichs, die
SPÖ fordere neue Steuern zum Schaden der Industrie und die ÖVP kopiere freiheitliche Forderungen nach
einer Redimensionierung der EU, wiewohl ihr Spitzenkandidat einen europäischen Zentralstaat präferiere.
Zukunft der EU wird von WählerInnen entschieden
Unter den SpitzenkandidatInnen für die kommende Wahl zum EU-Parlament herrscht nur in einem Punkt völlige
Einigkeit: Die ÖsterreicherInnen sollten von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, um die Zukunft der EU mitzugestalten.
Wie die künftige Union aussehen soll, darüber gehen die fraktionellen Ansichten auseinander.
"Österreich und die EU bedingen einander", hielt Othmar Karas (ÖVP) fest. Globale Herausforderungen
wie neue Sicherheitsbedrohungen oder "Steueroasen" könne kein Land alleine bewältigen, deswegen
brauche es "ein neues Miteinander" in der EU, getragen von einer "Mehrheit in der Mitte". Diese
Einstellung ist für Karas kein Widerspruch zu den Anregungen von Kurz. Sinnvolle EU-Gesetze seien "zu
100% umzusetzen", EU-rechtlich bedingte Einschränkungen nationaler Handlungsspielräume gelte es
zu beseitigen. Wie ein neuer EU-Vertrag aussehen könnte, sollte von der Unionsbevölkerung selbst mitbestimmt
werden, regte er EU-Bürgerforen auf Gemeindeebene im Vorfeld einer europaweiten Volksabstimmung zur Vertragsänderung
an.
Eine Gefahr für Europa sind in den Augen von Andreas Schieder (SPÖ) hingegen die Vorwürfe, die Bundeskanzler
Kurz der EU macht. Brüssel "Bevormundung" vorzuwerfen, sei nicht nur "skurril", da der
Kanzler selbst viele EU-Gesetze mitbeschlossen habe, sondern auch eine Unterstützung jener rechten Kräfte,
die die Union zerstören wollten. Während der Regierungschef nicht verdeutliche, welche Regelungen er
für obsolet hält, habe die SPÖ ein klares Programm zur EU-Reform vorgelegt. Daraus zitierte Schieder
unter anderem den Aufbau einer Sozialunion mit europaweiten Mindestlöhnen sowie ein Investitionspaket, das
bei schwacher Konjunktur für Arbeitsplätze sorgt. Überdies verlange seine Partei eine europäische
Wohnungsoffensive und einen Privatisierungsstopp. Generell müssten die Bedürfnisse der Menschen, und
nicht der Konzerne, im Vordergrund stehen.
Harald Vilimsky (FPÖ) warf daraufhin der SPÖ vor, regelmäßig eigene Mitglieder bei Konzernen
wie Siemens mit Posten zu versorgen. "Die Konzepte des Sozialismus passen nicht ins 21. Jahrhundert",
legte der Freiheitliche ein Bekenntnis zum Vorhaben seiner Partei ab, Kompetenzen von der EU nach Österreich
zurückzuholen. Vor diesem Hintergrund sei er erfreut über das Bestreben von Kurz, das EU-Recht zu entrümpeln
und die "überbordende Bürokratie" in Brüssel abbauen zu wollen. Ungeachtet dessen empfahl
Vilimsky den ÖsterreicherInnen, "das Original zu wählen und nicht die Kopie". Immerhin entsprächen
die Forderungen des Kanzlers genau der langjährigen FPÖ-Politik, die für eine Kooperation auf EU-Ebene
allein in Bereichen, wo es Sinn macht, stehe.
In ihren europapolitischen Ansichten unterscheiden sich ÖVP und FPÖ nach Meinung von Claudia Gamon (NEOS)
nicht mehr. Worte wie "Regulierungswahnsinn" in Zusammenhang mit EU-Verordnungen würden mittlerweile
auch vom Bundeskanzler benutzt, wodurch die ÖVP sich nicht länger eine pro-europäische Partei nennen
könne. Der Vorschlag, 1.000 nicht näher konkretisierte EU-Gesetze zu streichen, komme einem Angriff auf
die Union gleich, wie ihn bislang nur Populisten unternommen hätten, kritisierte Gamon. Außerdem würde
eine solche Deregulierung dem Binnenmarkt massiven Schaden zufügen.
Für JETZT befand Klubobmann Bruno Rossmann, "Bundeskanzler Kurz rüttelt an den Grundfesten des Binnenmarkts
und macht sich selbst zum Anti-Europäer". Indem Regierungsmitglieder EU-Regelungen, die sie in Brüssel
mitbeschlossen haben, in Österreich "verteufeln", seien sie für die allgemeine EU-Skepsis verantwortlich.
Zur angeregten Neugestaltung des EU-Vertrags meinte Rossmann, folgende Punkte müssten darin unbedingt enthalten
sein: eine Klimaunion mit CO2-Steuer, Pläne zur Reduktion des Einkommensverlusts der "Globalisierungsverlierer",
eine Sozialunion mit europäischer Arbeitslosenversicherung und eine Steuerunion gegen "Steuerdumping".
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