Bilderwelten zwischen den Kriegen von 17. Mai bis 27. OKotber 2019 im Tiroler Landesmuseum
Ferdinandeum
Innsbruck (tlm) - Der eine posthum von den Nationalsozialisten als „Bauernmaler“ für sich entdeckt,
der andere von ihnen verhasst, verleumdet und seines Postens an der Kunsthochschule in Dresden enthoben. Albin
Egger-Lienz und Otto Dix, beide vom Ersten Weltkrieg in ihrer kritischen Schaffens- und qualvollen Lebenswelt geprägt,
zeichnen in der Sonderausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum ein eindrucksvolles Bild der Zwischenkriegszeit.
Einige von Dix' Meisterwerken, wie etwa „Die Irrsinnige“ (1925), sind zum ersten Mal in Österreich zu sehen.
Die bei dem Deutschen Otto Dix sexuell aufgeladene Figur der Witwe trifft in der Ausstellung auf die gequälten
Kriegsfrauen des Tiroler Malers Albin Egger-Lienz. Diese und weitere Begegnungen geben einen Einblick in die tiefen
menschlichen Abgründe und existentielle Not, die das prekäre Leben der 1920er-Jahre prägten. PD
Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen, erklärt:„Beide Künstler erlebten den
Ersten Weltkrieg auf unterschiedliche Weise: Dix kämpfte bis zuletzt an der Front, während Egger-Lienz
die meiste Zeit als Kriegsmaler tätig war. Sie brachten ihre damalige Lebenswelt in einer kompromisslosen,
kritischen Weise auf die Leinwand. Eine Gegenüberstellung der beiden zeichnet ein facettenreiches Bild der
Kriegs- und Zwischenkriegszeit.“Anstatt den Ersten Weltkrieg dokumentarisch abzubilden, kreierten Dix und Egger-Lienz
universelle Ikonen des Leids und der Verwüstung, die bei der Betrachtung besonders berühren. Die aufwändige
Präsentation ihrer Werke ist das Ergebnis einer fünf Jahre langen Vorbereitung.
Zwiespältige Faszination
Im ersten Bereich der Ausstellung wird eine zwiespältige Faszination für Krieg und Gewalt thematisiert,
die die Kunstwelt zu Beginn des Ersten Weltkrieges prägte. „Wer sich Dix' farbenprächtigen Gemälden
nähert, die ob ihrer künstlerischen Vollkommenheit imponieren, wird mit dem Grauen schonungslos konfrontiert.
Menschen, die unvorstellbare Qualen erleiden, im Sterben liegen oder bereits tot sind, bevölkern die brutalen
Bilderwelten. Dix gelingt es, den Abschaum auf ästhetische Weise zu verarbeiten. Ein gutes Beispiel dafür
sind auch die auf den ersten Blick schwer erkennbaren Motive der Schwarz-Weiß-Grafiken. Erkennt man, womit
man es hier zu tun hat, ist ein Entkommen nicht mehr möglich“, so Dr.Helena Pereña,Hauptkuratorin der
Tiroler Landesmuseen und Kuratorin der Sonderausstellung. Dix sorgte dadurch zu Lebzeiten für Unbehagen, seine
Kunst wurde sogar als „zum Kotzen“ beschrieben.
Frauenrolle zwischen Prostituierter, Witwe und Mutter
Im Obergeschoss der Ausstellung sind keine Leichenfelder mehr zu sehen, sondern die Hinterbliebenen in der
Nachkriegszeit: Witwen und Prostituierte sowie Kranke und Kriegsversehrte. Juliette IsraëlsAusstellungsarchitektur
ordnet die verschiedenen Bereiche nach dem Vorbild einer Stadt an, die sich über Straßen und Kreuzungen
erkunden lässt. Als zentraler Knotenpunkt dient Dix' „Die Irrsinnige“ (1925), eine halb entblößte
Witwe über deren Kopf feuerrote Dämonen kreisen. Sie vereint Leben und Tod, die eine Verbindung miteinander
eingehen, die sich durch das gesamte Obergeschoss zieht. Der hagere Frauenkörper vermittelt Vergänglichkeit,
während ihre herunterhängenden Brüste an die dürre alte Frau hinter der aufreizenden jungen
Figur in der „Vanitas“ (1932) erinnern und damit auf den Verfall als Rückseite des prallen Lebens verweist.
„In den zutiefst existenziellen Darstellungen von Dix und Egger-Lienz treten Leben und Tod nie als Gegensatz auf,
sie bedienen einander und treffen im ewigen Lebenskreislauf aufeinander. Dix erkennt dabei das radikal Menschliche
im Sexuellen. Die Vergänglichkeit und die Vereinzelung des Menschen sind aber auch bei Egger-Lienz ein zentrales
Thema“, so Dr. Helena Pereña.
Die Witwen stellen einen Schwerpunkt der Ausstellung dar. Dix gestaltete sie oft ähnlich wie die Prostituierten.
Damit thematisierte er die zwiespältige Rolle der Frau in der Zwischenkriegszeit: Auf der einen Seite tritt
sie als Witwe der im Krieg gefallenen Soldaten auf, deren prekäre Situation häufig in die Prostitution
führte. Auf der anderen Seite blieb sie immer noch die Mutter, die für die Familie sorgte. Egger-Lienz
stellte die Witwen als „Kriegsfrauen“ (1918–22) mit verzerrten, maskenhaften Mienen dar. Sie erinnern an Klageweiber,
denen Mitsprache und Mitwirkung an ihrer misslichen Lage entzogen wurde. Die Trauer um verlorene Männer und
Söhne manifestiert sich in resignierten Gesichtern. Eine noch schärfere Nuance verlieh er ihnen, als
er für „Die Mütter“ (1922–23) ein Kruzifix in die Stube legte und damit jeden Hoffnungsschimmer aus den
Gesichtern der Frauen und des abgebildeten Säuglings radierte.
Proletarische Kunst
Die ikonenhafte, universelle Wirkung, die sowohl Egger-Lienz als auch Dix erzielten, zieht sich auch durch
die Werke zu den Themen Arbeit und Industrie, denen ein eigener Ausstellungsbereich gewidmet ist. „Egger-Lienz
reduzierte das Menschliche, von subjektiven Gesichtszügen bis hin zu auffälliger Kleidung, auf ein Minimum
und verwendete zudem wenig Farbe. Damit bildete er Arbeiter und Bauern ab, ohne ihren individuellen Charakter zu
offenbaren. Der Zweck steht klar im Vordergrund“,so PD Dr. Wolfgang Meighörner.
Als Egger-Lienz 1924 den Auftrag annahm, Lünetten für den Sitzungssaal der Industriellen in der Tiroler
Handelskammer in Innsbruck zu gestalten, musste er zwangsläufig etwas konkreter arbeiten. Er beugte sich jedoch
nicht den Wünschen der Auftraggeber, auch für die Längsseite des Saals Figuren darzustellen, sondern
wählte eine menschenleere Fabrik. Auch in Dix' Werken ist das Thema Arbeit präsent, bei ihm steht jedoch
das Milieu im Mittelpunkt. Trotz seines sarkastisch distanzierten Zugangs scheute er den Blick in die menschlichen
Abgründe dabei nicht.
Die beiden Künstler im Porträt
Der Erste Weltkrieg prägte sowohl Albin Egger-Lienz als auch Otto Dix. Zum einen nahmen sie als kämpfende
Soldaten beziehungsweise Kriegsmaler am Geschehen dieser Zeit teil, zum anderen erlebten sie die damalige Lebenswelt
in ihrer zivilen Wirklichkeit mit der persönlichen Erfahrung von Vergänglichkeit, Schmerz, Angst, Wut
und Trauer. Die Bilder beider Künstler zählen zu den eindrucksvollsten künstlerischen Auseinandersetzungen
mit dem Krieg und dessen Folgen.
Albin Egger-Lienz – das Schicksal als universelles Thema
Albin Egger-Lienz, damals 47-jährig, meldete sich 1915 freiwillig zu den Tiroler Standschützen. Aufgrund
von attestierten Herzbeschwerden musste er den Dienst jedoch nach nur zwei Wochen wieder abtreten und war von da
an als ziviler Kriegsmaler tätig. Nach Ende des Ersten Weltkrieges war er in St. Justina bei Bozen ansässig,
wo er Kontakt zur italienischen Kunstszene pflegte. Diese Erlebnisse t beeinflussten sein Werk, das durch Stille
und Konzentration zutiefst emotional anspricht.
Viele der Hauptwerke dieser Zeit sind in der Ausstellung zu sehen. In „Der Krieg“ (1915/1916) und „Den Namenlosen
1914“ (1916) nehmen die Kriegstreibenden eine universelle Gestalt an. In „Finale“ (1918) zeigt er ein trostloses
Leichenfeld, dem nichts hinzuzufügen ist, und in „Kriegsfrauen“ (1918-22) verdeutlicht er die missliche Lage
der Frauen, die ihre qualvolle Situation und die Trauer um die gefallenen Männer und Söhne nur hinnehmen
konnten. Ein Highlight ist die Gegenüberstellung von „Mütter“, „Pietà“ und „Auferstehung“, die
die Allgegenwart des Todes in drei Werken abbildet.
Otto Dix – schonungsloser Beobachter der Weimarer Republik
Otto Dix meldete sich 1915 ebenfalls freiwillig zum Dienst und kämpfte bis Kriegsende an der Front. Seine
schonungslosen Aussagen über den „ästhetischen Gehalt des Grauens“ sowie sein Schaffenswerk, ein gemaltes
Zerrbild der Weimarer Republik, machten ihn zu einem von den Nazis verhassten und verleumdeten Künstler der
Klassischen Moderne. Er wurde 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, seines Lehrstuhles an
der Dresdener Kunsthochschule enthoben. Seine Werke – allen voran der „Schützengraben“ – wurden posthum als
Antikriegsbilder interpretiert. Doch Dix sträubte sich gegen feste Zuschreibungen. Sein distanzierter Sarkasmus
ist dabei allgegenwärtig.
Zu den bedeutsamen Werken, die in der Ausstellung zu sehen sind, zählen unter anderem Dix' Radierzyklus „Der
Krieg“ (1924), darunter das leidenschaftlich klagende Werk „Totentanz anno 17“ und „Schädel“. Mit Hauptwerken
wie „Die Irrsinnige“ (1925), „Witwe“ (1922), „Mieze“ (1923) und „Vanitas“ (1932) stellt auch er ein breites thematisches
Spektrum der Kriegs- und Zwischenkriegszeit dar. Ein intimes Bilderbuch, das Dix 1925 mit biblischen Szenen für
seine Stieftochter Hana gefertigte, wurde erst vor drei Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
und wird ebenfalls ausgestellt.
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