Innsbruck (universität) - Mit einem Quanten-Coprozessor in der Cloud stoßen Innsbrucker Physiker
die Tür zur Simulation von bisher kaum lösbaren Fragestellungen in der Chemie, Materialforschung oder
Hochenergiephysik weit auf. Die Forschungsgruppen um Rainer Blatt und Peter Zoller berichten in der Fachzeitschrift
Nature, wie sie Phänomene der Teilchenphysik auf 20 Quantenbits simuliert haben und wie der Quantensimulator
das Ergebnis erstmals selbständig überprüft hat.
Aktuell beschäftigen sich viele Wissenschaftler mit der Frage, wie die „Quantenüberlegenheit“ auf heute
schon verfügbarer Hardware genutzt werden kann. Vor drei Jahren haben Physiker erstmals die spontane Entstehung
eines Elementarteilchen-Paares mit einem digitalen Quantencomputer an der Universität Innsbruck simuliert.
Aufgrund der Fehlerrate wären für komplexere Simulationen aber sehr viele Quantenbits nötig, die
in heutigen Quantencomputern noch nicht verfügbar sind. Auch der analogen Nachbildung von Quantensystemen
in einem Quantencomputer sind enge Grenzen gesetzt. Mit einer neuen Methode haben Forscher um Christian Kokail,
Christine Maier, Rick van Bijnen und Christian Roos am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI)
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften diese Grenzen nun gesprengt. Sie nutzen einen programmierbaren
Ionenfallen-Quantencomputer mit 20 Quantenbits als Quanten-Coprozessor, in den quantenmechanische Berechnungen,
die an die Grenze klassischer Computer stoßen, ausgelagert werden. „Wir verwenden die besten Eigenschaften
beider Technologien“, erklärt Experimentalphysikerin Christine Maier. „Der Quantensimulator übernimmt
die rechenaufwendigen Quantenprobleme und der klassische Computer löst die restlichen Aufgaben.“
Baukasten für Quantenmodellierer
Die Wissenschaftler nutzen die aus der theoretischen Physik bekannte Variationsmethode, wenden sie aber auf
ihr Quantenexperiment an. „Der Vorteil dieser Methode ist, dass wir den Quantensimulator als eine vom untersuchten
Problem unabhängige Quantenressource nutzen können“, erklärt Rick van Bijnen. „So lassen sich auch
komplexere Fragestellungen simulieren.“ Ein Vergleich macht den Unterschied deutlich: Ein analoger Quantensimulator
ist wie ein Puppenhaus, er bildet die Realität ab. Der programmierbare Variations-Quantensimulator bietet
hingegen einzelne Bausteine, mit denen viele unterschiedliche Häuser gebaut werden können. Diese Bausteine
sind im Quantensimulator Verschränkungsgatter und Einzel-Spin-Rotationen. Mit einem klassischen Computer wird
solange an diesen Stellschrauben gedreht, bis sich der gesuchte Quantenzustand einstellt. Dafür haben die
Physiker einen ausgeklügelten Optimierungsalgorithmus entwickelt, der in rund 100.000 Aufrufen des Quanten-Coprozessors
durch den klassischen Computer zum Ergebnis führt. Gepaart mit extrem schnellen Messzyklen des Quantenexperiments
wird der Simulator am IQOQI Innsbruck enorm leistungsfähig. So haben die Physiker erstmals auf 20 Quantenbits
die spontane Entstehung und Vernichtung von Elementarteilchen-Paaren im Vakuum simuliert. Weil die neue Methode
sehr effizient ist, lässt sich mit ihr auch auf noch größeren Quantensimulatoren rechnen. Demnächst
wollen die Innsbrucker Forscher einen Quantencomputer mit bis zu 50 Ionen bauen. Dies bietet interessante Perspektiven
für weitere Untersuchungen von Festkörpermodellen und Problemen der Hochenergiephysik.
Eingebauter Selbstcheck
Ein bisher ungelöstes Problem bei komplexen Quantensimulationen ist die Überprüfung der Simulationsergebnisse.
„Mit klassischen Computern lassen sich solche Berechnungen kaum bis gar nicht mehr überprüfen. Wie kontrollieren
wir also, ob das Quantensystem auch das richtige Resultat liefert?“, fragt der Theoretiker Christian Kokail. „Wir
haben diese Frage erstmals durch zusätzliche Messungen im Quantensystem gelöst. Anhand der Ergebnisse
beurteilt die Quantenmaschine die Qualität der Simulation“, erläutert Kokail. Ein solcher Verifikationsmechanismus
ist die Voraussetzung für noch komplexere Quantensimulationen, weil dabei die notwendige Zahl von Quantenbits
stark ansteigt. „Die Simulation auf 20 Quantenbits können wir am klassischen Computer noch überprüfen,
bei komplexeren Simulationen ist das schlichtweg nicht mehr möglich“, sagt Rick van Bijnen. „In unserem Experiment
war das Quantenexperiment sogar schneller als die Kontrollsimulation am PC. Wir mussten diese am Ende aus dem Rennen
nehmen, um das Experiment nicht auszubremsen“, erzählt der Physiker.
Innsbrucker Quanten-Cloud
Dieser Forschungserfolg basiert auf der einzigartigen Zusammenarbeit zwischen Experiment und Theorie am Quantenstandort
Innsbruck. Die Expertise aus jahrelanger experimenteller Quantenforschung trifft in Tirol auf innovative theoretische
Ideen. Dies führt gemeinsam zu weltweit beachteten Ergebnissen und begründet eine international führende
Stellung der Innsbrucker Quantenforschung. „In diesem Experiment stecken 15 Jahre sehr harter Arbeit“, betont Experimentalphysiker
Rainer Blatt. „Es ist sehr schön zu sehen, dass dies nun solche schönen Früchte trägt.“ Der
Theoretische Physiker Peter Zoller ergänzt: „Wir in Innsbruck sind nicht nur führend bei der Zahl der
verfügbaren Quantenbits, sondern jetzt auch in den Bereich der programmierbaren Quantensimulation vorgestoßen
und konnten erstmals die Selbstverifikation eines Quantenprozessors zeigen. Mit diesem neuen Zugang bringen wir
die Simulation von alltagsrelevanten Quantenproblemen in greifbare Nähe.“
Finanziell unterstützt wurde die nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Arbeit unter anderem
vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der Europäischen Union.
Publikation
Self-Verifying Variational Quantum Simulation of Lattice Models. C. Kokail*,
C. Maier*, R. van Bijnen*, T. Brydges, M. K. Joshi, P. Jurcevic, C. A. Muschik, P. Silvi, R. Blatt, C. F. Roos,
and P. Zoller. Nature 2019 DOI: 10.1038/s41586-019-1177-4; https://www.nature.com/articles/s41586-019-1177-4
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