Wien (hofburg) - Bundespräsident Alexander Van der Bellen trat am Abend des 27. Mai in seinen Amtsräumen
in der Wiener Hofburg an die Öffentlichtkeit und nahm Stellung zur aktuellen innenpolitischen Situation. Er
wird am Dienstag die Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz des Amtes entheben. Zuvor war dem Kabinett in
einer Sondersitzung des Nationalrates das Misstrauen ausgesprochen worden. Lesen Sie hier die Worte des Staatsoberhaupts
im Wortlaut:
Guten Abend
meine sehr geehrten Damen und Herren,
zu Hause vor den Bildschirmen,
sei es hier im Saal.
Guten Abend auch Journalistinnen und Journalisten!
Die österreichische Politik ist in einer außergewöhnlichen Situation.
Und deshalb darf mich direkt an Sie, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wenden und Ihnen berichten,
wo wir heute Abend stehen.
Also der Reihe nach:
1.
Eine Mehrheit der Abgeordneten des Nationalrats hat heute der Bundesregierung das Misstrauen ausgesprochen. Der
Herr Nationalratspräsident hat mich anschließend davon offiziell in Kenntnis gesetzt. Ich habe alle
Unterlagen überprüft und bin zum Ergebnis gelangt, dass dieser Beschluss des Nationalrates alle von unserer
Bundesverfassung geforderten Voraussetzungen erfüllt.
Also: Eine Mehrheit der gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter, eine Mehrheit der Abgeordneten im
Parlament haben der Bundesregierung heute ihr Vertrauen entzogen.
2.
Daher werde ich morgen am späteren Vormittag entsprechend meiner Verpflichtung nach Artikel 74 Absatz 1 des
Bundes-Verfassungsgesetzes diese Bundesregierung des Amtes entheben.
Das ist zwar kein alltäglicher, aber doch im Grunde genommen ein ganz normaler, demokratischer Vorgang.
Unsere Bundesverfassung hat dafür klar und unmissverständlich einzuhaltende Schritte vorgesehen.
Meine Aufgabe ist es jetzt, so wie schon in der Vorwoche, für die korrekte Abfolge und Einhaltung dieser Schritte
zu sorgen.
3.
Das ist in diesem Fall besonders wichtig, da auch in dieser politisch unübersichtlichen Situation unser Staat,
die Republik Österreich immer funktionieren muss.
Insbesondere müssen immer alle Ministerien zu jeder Zeit, zu jeder Minute mit einem Minister bzw. einer Ministerin
besetzt sein, um die volle Handlungsfähigkeit und die ordnungsgemäße Verwaltung der Republik sicherzustellen.
Warum ist das so wichtig? Stellen Sie sich vor, liebe Österreicherinnen und Österreicher, der Wirtschaftsminister
eines anderen Landes benötigt beispielsweise Informationen und versucht, seinen österreichischen Amtskollegen
zu erreichen und niemand hebt das Telefon ab.
Oder eine wichtige Überweisung oder ein Budget im Finanzministerium ist zu genehmigen und es gibt keinen Finanzminister?
Oder Richter könnten ohne Justizminister nicht ernannt werden.
Das ist undenkbar. Und deswegen sieht die Verfassung vor, dass alle Regierungsämter immer besetzt sein müssen.
Auch in Situationen eines Übergangs bis zur nächsten Nationalratswahl.
Meine Damen und Herren, die Bestellung einer neuen Bundesregierung, und sei es nur eine für eine Übergangszeit,
ist aber keine Angelegenheit, die man leichtfertig und überhastet angehen darf.
4.
Die Verfassung sieht für solche Fälle unter anderem die Möglichkeit vor, dass der Bundespräsident
bis zur Ernennung einer neuen Bundesregierung die aus dem Amt scheidenden Bundesminister mit der Fortführung
der Verwaltung ihrer Ressorts betraut.
Um Zeit für die notwendigen Gespräche zu gewinnen, werde ich daher von dieser in unserer Bundesverfassung
für solche Fälle vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen und gemäß Artikel 71 der Verfassung
gleichzeitig mit der Enthebung der Bundesregierung diese mit der Fortführung der Amtsgeschäfte betrauen.
Klingt ein wenig kompliziert, ist aber grundvernünftig.
Herrn Vizekanzler Hartwig Löger werde ich im Rahmen dieses Vorganges mit der Fortführung der Verwaltung
des Bundeskanzleramtes und mit dem Vorsitz in der einstweiligen Bundesregierung betrauen.
Meine Damen und Herren, das ist quasi eine Art Provisorium, bis wir in wenigen Tagen eine Lösung gefunden
haben werden, die bis zu den Neuwahlen trägt.
5.
Wie geht es nun weiter? Zum Wohle unserer Republik gilt es, eine stabile, tragfähige Situation herzustellen.
Selbstverständlich werde ich darauf schauen, dass die Suche nach einer neuen Bundesregierung so rasch wie
vertretbar, aber so sorgfältig und umsichtig wie geboten erfolgt.
Ich werde nur eine Kanzlerin bzw. einen Kanzler vorschlagen, die oder der sich der Unterstützung, oder zumindest
der Duldung im österreichischen Nationalrat sicher sein kann.
Ich beabsichtige, eine breite Zustimmung sicherzustellen, bevor die Übergangsregierung eingesetzt wird. Auch
um weitere Misstrauensvoten nach einer Einsetzung zu vermeiden.
Ich appelliere daher an die Parteien, an alle Parteien im Nationalrat, sich konstruktiv an dieser Entscheidungsfindung
zu beteiligen.
Es braucht nun einen gewissen Konsens, um das Wohl Österreichs weiterhin sicher zu stellen.
Ich habe in diesem Sinne begonnen Gespräche mit allen im Parlament vertretenen Parteien zu führen und
werde das auch weiterhin intensiv tun.
Liebe Österreicherinnen und Österreicher!
Wie eingangs erwähnt: Das ist zwar kein alltäglicher, aber doch im Grunde genommen
ein ganz normaler, demokratischer Vorgang.
Und was mich dabei beruhigt, wir haben unsere elegante Österreichische Bundesverfassung, die uns durch diese
Tage leitet.
Und auf die Bundesverfassung ist Verlass.
Dankeschön - einen schönen Abend noch!
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