Wirtschaftspolitische Experten der Vertretung der EU-Kommission erläutern
bei einer Pressekonferenz in Wien die Länderspezifischen Empfehlungen für Österreich
Brüssel/Wien (ec) - Am 6. Juni erläuterten bei einer Pressekonferenz im Haus der Europäischen
Union in Wien die wirtschaftspolitischen Berater der Vertretung der Europäischen Kommission, Marc Fähndrich
und Jozef Vasak, die am 5. Juni 2019 von der EU-Kommission vorgelegten Länderempfehlungen für Österreich.
Sie stellten dabei fest, dass Österreichs Haushalt gegenwärtig im Einklang mit den EU-Budgetregeln steht,
jedoch bestehen mittelfristig Gefahren für die finanzielle Nachhaltigkeit der sozialen Sicherungssysteme.
Aufgrund der älter werdenden Bevölkerung sollten hier Reformen im Auge behalten werden. Bis 2070 werden
sich vermutlich die öffentlichen Ausgaben für Langzeitpflege von 1,9% auf 3,8% des BIP verdoppeln.
Abbau der Spitalslastigkeit des Gesundheitssystems
„Ein Abbau der "Spitalslastigkeit" im Gesundheitssystem, die mit einem hochwertigen Ausbau der Primärversorgung
einhergeht, ist im Sinne der Patienten und führt zu besseren Gesundheitsergebnissen und mehr Kosteneffizienz“,
stellte Fähndrich fest. „Bei steigender Lebenserwartung sollte man darüber nachdenken das gesetzliche
Pensionsantrittsalter anzupassen, wobei insbesondere das um fünf Jahre frühere gesetzliche Pensionsantrittsalter
der Frauen, die im Durchschnitt fast fünf Jahre länger wie Männer leben, jeglicher inneren Logik
entbehrt“, merkte Fähndrich kritisch an.
Auch im Verwaltungsbereich lassen sich erhebliche Kosten einsparen, welche über die schon angekündigte
Reform der Sozialversicherungen hinausgehen, indem z.B. EU-weite Ausschreibungen besser genutzt werden. Diese nutzt
Österreich bislang deutlich weniger als der EU-Durchschnitt. Vereinfachte Finanzbeziehungen zwischen Bund
und Ländern würden ebenfalls beitragen, öffentliche Ausgaben effizienter zu gestalten.
Gunst des Wirtschaftswachstums für Steuerreformen nutzen
Die Europäische Kommission erwartet für 2019 und 2020 ein Wirtschaftswachstum von 1,5% bzw. 1,6%.
Dieser Rückenwind sollte genutzt werden, um große Reformen im Interesse der BürgerInnen und nachhaltig
gesunder Finanzen anzugehen. "Die Steuer- und Abgabenlast auf Arbeit ist in Österreich immer noch zu
hoch und sollte gesenkt werden. Hier sollte über eine Veränderung des Steuermixes nachgedacht werden
z.B. durch eine Steuerverlagerung zu periodischen Immobiliensteuern oder gut konzipierten Vermögenssteuern,
die das Steuersystem gerechter machen würden. Eine Verlagerung auf Umweltsteuern trüge zusätzlich
dazu bei, negative Auswirkungen von umweltbelastenden Aktivitäten, die Gesundheit- und Klima schädigen
zu reduzieren“, erläuterte Fähndrich.
Ungenutztes Potential des Humankapitals mobilisieren
„Die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Geringqualifizierten, steigern sowie die Grundkompetenzen von Menschen
mit Migrationshintergrund verbessen, wären die wichtigsten Herausforderungen im sozialen Bereich“, erklärte
Jozef Vasak. Die im EU-Vergleich sehr hohe Teilzeitquote bei Frauen schlägt sich negativ in der Lohn- und
Pensionshöhe von Männern und Frauen nieder. Außerdem bleibt das Potenzial des Humankapitals zum
Teil ungenutzt. „Die Antwort darauf wären Investitionen in den Ausbau von ganztägigen, qualitativ hochwertigen
aber erschwinglichen Kinderbetreuungsplätzen, vor allem im ländlichen Raum", so Vasak.
In frühkindliche Bildung und lernschwache SchülerInnen investieren
Der Anteil der leistungsschwachen SchülerInnen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften ist in den
letzten Jahren angestiegen, wobei ungefähr ein Viertel aller SchülerInnen im 8.Schuljahr im Fach Deutsch
die Bildungsstandards nicht oder nur teilweise erreicht. „Aus diesem Grund empfehlen wir noch stärker in frühkindliche
Bildung und Sprachförderung zu investieren, und Schulen, die mit einem schwierigen sozioökonomischen
Umfeld konfrontiert sind, finanziell besser auszustatten,“ so Vasak weiter.
Und schließlich, sollte Österreich die Produktivität, das nachlassende Wirtschaftswachstum und
die Beschäftigung durch mehr Investitionen in digitale Kompetenzen, Infrastruktur, Forschung, Innovation und
Unternehmenswachstum fördern. Dies könnte u.a. durch Abbau von regulatorischen Hindernissen im Dienstleistungssektor
geschehen. Außerdem meinte Vasak: „Es kann nicht hingenommen werden, dass im 21. Jahrhundert fast 20% der
österreichischen Grundschulen keine Internetanbindung haben“.
Übergangsregierung ist gefordert
Mit Hinweise auf die kürzlich ins Amt gesetzte Regierung meinte Marc Fähndrich: "Die neue österreichische
Bundesregierung wird sich mit den Empfehlungen der Europäischen Kommission im Rahmen des Europäischen
Semester beschäftigen müssen denn schon am 20.-21. Juni stehen sie auf der Tagesordnung des Europäischen
Rates“.
Hintergrund
Das Europäische Semester wurde zur wirtschaftspolitischen Koordinierung innerhalb der EU eingerichtet.
Die gewünschten Wachstumseffekte können sich besser entfalten, wenn individuelle Anstrengungen der Mitgliedsstaaten
koordiniert werden. Aus diesem Grund nimmt die EU-Kommission jedes Jahr eine eingehende Analyse der Wirtschafts-
und Strukturpolitiken der EU-Länder vor, welche in länderspezifische Empfehlungen münden, die formell
vom Europäischen Rat und vom Rat der Finanzminister angenommen werden. Die EU-Mitgliedstaaten sind aufgefordert
diese umzusetzen.
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