Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ruft im Nationalrat zum Zusammenhalt
auf
Wien (pk) - Seit 70 Jahren gibt es den Europarat. Nach dem Schrecken der beiden Weltkriege 1949 als internationale
Organisation zur Förderung von Menschenrechten und Demokratie gegründet, sichert der Europarat weiterhin
die Einhaltung von Grund- und Freiheitsrechten, wie die Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des
Europarats, Liliane Maury Pasquier, am 13. Juni im Nationalrat erklärte. Aggressive Angriffe auf die
Presse- und Versammlungsfreiheit sowie die Infragestellung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
gebe es auch in europäischen Ländern. Dennoch rief sie dazu auf "nicht in Pessimismus zu versinken".
Immerhin hätten die europäischen Völker "selbst nach den verheerenden Kriegen den Mut besessen,
den Pfad des Friedens und der Versöhnung zu beschreiten". Die Werte, die Europas Staaten einen, würden
trotz politischer Spaltungen auch künftig für Zusammenhalt sorgen, ist Pasquier überzeugt.
Anlass der Einladung von Präsidentin Pasquier in den Nationalrat ist das heurige Jubiläum der Gründung
des Europarats. Dessen Parlamentarische Versammlung wählt die wichtigsten EuroparatsrepräsentantInnen,
darunter den oder die PräsidentIn und die Mitglieder des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR).
Neben der Aufrechterhaltung des parlamentarischen Dialogs der Europaratsmitglieder gehört zu den Aktivitäten
der Versammlung auch das Setzen völkerrechtlicher Initiativen, die etwa zum Beschluss der Europäischen
Menschenrechtskonvention führten. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka begrüßte Pasquier
eingangs mit dem Hinweis, die Präsidentin habe sich sehr lobend über die österreichische Delegation
in ihrer Versammlung ausgesprochen.
Politische Drohgebärden dürfen europäische Wertegemeinschaft nicht schwächen
Das gemeinsame Erbe Europas, fußend auf den Werten der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit,
ist für Pasquier das wichtigste Verbindungsglied der Europaratsmitglieder. Deren insgesamt 830 Millionen BürgerInnen
würden in ihren Grundrechten durch einen klaren Rechtsrahmen, die Menschenrechtskonvention, geschützt.
Für die Durchsetzung der Rechte jeder und jedes Einzelnen könne als letzte Instanz der Europäische
Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg herangezogen werden. Die Präsidentin mahnte allerdings, "wir
müssen alle zusammenstehen, um ein Europa der Freiheit zu bewahren". Vielerorts bedrohten "politische
Spaltungen" das europäische Gefüge, auch über die Grenzen des Kontinents hinaus.
Österreich habe stets eine vermittelnde Funktion im Europarat eingenommen, würdigte Pasquier anhand eines
geschichtlichen Überblicks das Engagement österreichischer VertreterInnen in verschiedenen Gremien der
Organisation. Maßgeblich setze sich Österreich für die Rechte von Schutzbedürftigen ein, beschrieb
die Präsidentin Initiativen zum Kampf gegen Menschenhandel, zum Schutz von Frauen vor Gewalt und zur Sicherstellung
der Rechte von Menschen mit Behinderung. Seit 1956 Mitglied, habe die Republik außerdem fortwährend
am Ausbau des Europarats gearbeitet, besonders in Richtung Osteuropa. Pasquier zitierte den damaligen österreichischen
Bundeskanzler Josef Klaus, der 1965 in einer Rede vor dem Europarat festhielt, "Europa endet nicht an den
östlichen Grenzen meines Landes", das europäische Projekt sei ohne die Einbeziehung osteuropäischer
Staaten unvollständig. Die Parlamentarische Versammlung stelle in diesem Zusammenhang eine bedeutende Verbindungsstelle
dar, wies die Vorsitzende der Versammlung auf das Engagement ihres Vorgängers Peter Schieder hin, die Zusammenarbeit
mit dem Europäischen Parlament zu stärken.
70 Jahre nach Schaffung des Europarats sieht es Pasquier nun an der Zeit, das Menschenrecht der Gleichstellung
von Frauen und Männern als "grundlegendes Element jeder repräsentativen und vollständigen Demokratie"
anzuerkennen. Mit der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen habe der Europarat zwar ein essenzielles Instrument
gegen diese extremste Form der Diskriminierung und gegen häusliche Gewalt geschaffen. Dennoch würden
aktuelle Studien, zeigen, dass im Arbeitsumfeld immer noch ein Großteil der Frauen Opfer psychischer Gewalt
und sexueller Belästigung werden. Pasquier belegte dies anhand einer Studie, durchgeführt in nationalen
Parlamenten, wonach 85,2% der Parlamentarierinnen entsprechende Angaben machten. Nur ein Bruchteil von ihnen habe
aber die Vorfälle gemeldet. Neben rechtlichen Schritten zur Umsetzung eines nachhaltigen Diskriminierungsverbots
inklusive Sanktionen sieht Pasquier Aufklärung und Bildung als entscheidendes Mittel zur echten Gleichstellung
der Geschlechter. Dementsprechend hoffe sie, dass die seit 2018 laufende Europaratsinitiative gegen sexuelle Gewalt
nicht nur im österreichischen Parlament implementiert werde, sondern als globale Bewegung sämtliche Bereichen
der Gesellschaft erfasse.
Amon: Europarat ist Hüter der Menschenrechte
Als Leiter der österreichischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung betonte Werner Amon (ÖVP)
der Europarat habe viel zum wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt Europas beigetragen, der letztlich zur Europäischen
Union führte. Mit der Repräsentation der Parlamente im Europarat stelle die Organisation eine Art "europäische
UNO" dar, mit dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof als Hüter der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Als einen der großen Erfolge des Europarats wertet Amon die Abschaffung der Todesstrafe in "praktisch
ganz Europa". Nächste Woche stünden im Europarat wichtige Entscheidungen zur Stellung Russlands
in der Organisation an, wies der ÖVP-Mandatar auf aktuelle Herausforderungen hin. Die Mitglieder der Parlamentarischen
Versammlung hatten Russland nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim das Stimmrecht in ihrem Gremium
entzogen. Amon nutzte seine Rede auch, sich nach vielen Jahren als Abgeordneter zum Nationalrat, in den er 1994
eintrat, vom Plenum zu verabschieden. Ab 1. Juli 2019 fungiert er als Volksanwalt im kürzlich neu gewählten
Kollegium der Ombudsstelle.
Mit Blick auf die schrecklichen Bürgerkriegsbilder aus Syrien oder anhaltende Terroranschläge im Irak
erkenne man, dass ein Menschenleben in diesen Regionen nicht viel wert ist, gab Nikolaus Berlakovich (ÖVP)
zu bedenken, der den Mehrwert des Europarates für die Menschen betonte. Für ihn ist evident, dass der
Europarat nach wie vor gebraucht wird, zumal seine Mission, nämlich Demokratie, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit
abzusichern, noch heute aktuell ist. Ein zentraler Punkt sei dabei auch die Gesprächsbereitschaft mit Ländern,
die sich von gemeinsamen Werten abwenden wollen. Es gehe darum, in Dialog zu bleiben. Der Europarat könne
aber auch bei Herausforderungen wie der Migration oder dem Klimaschutz eine Rolle spielen, um gemeinsam Fortschritte
zu erzielen.
Bures: Europäischer Menschenrechtsgerichtshof unverzichtbar
Für die SPÖ verdeutlichte Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, die ebenfalls in der Parlamentarischen
Versammlung vertreten ist, dass es mit Referenz an die Donaumonarchie "im Wesen des österreichischen
Parlamentarismus liegt, über den Tellerrand zu blicken". Auch heute würden viele Abgeordnete in
verschiedenen Gremien den internationalen Dialog suchen, gerade im Europarat, eine der "bedeutendsten mulitlateralen
Organisationen". Grundstein für die Arbeit des Europarats bilde die Menschenwürde, ihre Wahrung
stelle der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sicher. Dabei sei es nicht entscheidend, ob ein
Staat Europaratsmitglied ist, so Bures. Unrechte Inhaftierungen etwa müssten überall geahndet werden.
"Es macht in Fragen der Menschenrechte einen Unterschied, ob die letzte Instanz ein nationales Gericht ist,
oder der Menschenrechtsgerichtshof." Großen Dank sprach sie Präsidentin Pasquier für ihr Eintreten
gegen Gewalt an Frauen aus.
Eine Lanze für den Europarat brach auch SPÖ-Abgeordneter Andreas Schieder (SPÖ), der sich heute
nach 13 Jahren im Hohen Haus in das Europäische Parlament in Brüssel verabschiedete. Der Europarat sei
jene entscheidende Institution, die die europäischen Grundrechte nicht nur entwickelt habe, sondern auch nach
wie vor beobachte, so Schieder. Es sei "unsere politische Pflicht", diese Rechte zu bewahren und zu verteidigen,
"wo immer es geht", appellierte der Abgeordnete, wer den Europarat in Frage stelle, hinterfrage damit
auch die Grundrechte. Denn die Orientierung auf Frieden, Grundrechten und Dialog sei nicht nur unverrückbar,
sondern sie betreffe auch jeden einzelnen Menschen.
In seiner Abschiedsrede betonte Schieder die Wichtigkeit eines breiten, fairen und parteilosen Agierens seitens
des Nationalratspräsidiums. Dies sei ein "wesentliches Asset" für einen funktionierenden Parlamentarismus.
Hervorgehoben wurde von Schieder in diesem Zusammenhang die ehemalige Nationalratspräsidentin Barbara Prammer.
Diese habe diese Standards stark geprägt. Die Frage der politischen Kultur, des Miteinanders, der Diskussions-
und Streitkultur sei etwas Wesentliches für Österreich und seine Politik.
Haider: Europarat muss sich neuen Verhältnissen anpassen
Ein weiteres Versammlungsmitglied, FPÖ-Abgeordneter Roman Haider äußerte sich insgesamt kritischer
zur aktuellen Verfasstheit des Europarats. Zwar blickte er würdigend auf die Europaratsgründung zurück,
die er als "mutig und richtungsweisend" bezeichnete, beispielsweise zur "Überwindung der sozialistischen
Diktaturen Osteuropas". Erbost meinte er aber, der Europarat scheue sich, Menschenrechtsverletzungen in seinen
Mitgliedsländern festzustellen und würde sogar Wahlfälschungen in Kauf nehmen. Überdies verurteilte
Haider die Sanktionen des Europarats gegen Russland infolge der Krim-Annexion, zumal brutale Behördeneinsätze
in der Türkei von der Organisation ohne Protest hingenommen worden seien. Kein Verständnis hat der FPÖ-Mandatar
auch für die Haltung des Europarats im Hinblick auf Abschiebungen illegaler Asylwerbender, für die westliche
Rechtsstaaten regelmäßig gerügt würden, und für Straßburgs Sicht auf islamistische
Tendenzen, deren nationalstaatliche Abwehr unter "Islamophobie" subsummiert werde. Der Europarat müsse
sich in seinem Wirken der Realität stellen, mahnte Haider, ansonsten würden die SteuerzahlerInnen die
Legitimität des Gremiums hinterfragen.
Wie Haider stellte auch FPÖ-Abgeordneter Martin Graf den Europarat trotz "aller grundsätzlicher
positiver Zielsetzungen" in Frage. Eine Diskussion über den Europarat könne man nicht führen,
ohne die eine oder andere Krise anzusprechen, meinte er. Konkret ortet Graf eine politische Krise in der Organisation,
zumal die Grundwerte von vielen Ländern nicht eingehalten würden. Dies führe zu strukturellen und
organisatorischen Problemen, sagte er etwa mit Verweis auf ausbleibende ParlamentarierInnen bei wichtigen Sitzungen
in Straßburg. Letztlich attestierte Graf dem Europarat eine "veritable budgetäre Krise", nachdem
Russland seine Beiträge aussetze und die Türkei freiwillige Beiträge eingestellt habe. Diese Entwicklungen
sollten aus seiner Sicht als Chance für Änderungen genutzt werden. Kritik äußerte Graf zudem
im Zusammenhang mit Korruptionsfällen durch Mitglieder in der Parlamentarischen Versammlung.
Scherak: Grund- und Freiheitsrechte stets verteidigen
Als Menschenrechtssprecher der NEOS betonte Nikolaus Scherak, die Unterzeichnung der Menschenrechtskonvention durch
die Mitglieder des Europarats sei die "größte Errungenschaft" zur Sicherung fundamentaler
Grund- und Freiheitsrechte, "die über Jahrzehnte erstritten wurden". Insgesamt stellt in seinen
Augen der Europarat einen unverzichtbare Garant zur Wahrung der Menschenrechte dar. In diesem Sinne unterstützte
er auch vollinhaltlich Pasquiers Aufruf gegen Gewalt an Frauen, verdeutlichte Scherak, der zudem appellierte, Gegner
der liberalen Demokratie in die Schranken zu weisen. Trotz aller berechtigten Kritik am Europarat dürften
niemals Entwicklungen, die beispielsweise die Pressefreiheit einschränken, gefördert werden. Entsprechende
Defizite habe Österreich nicht zuletzt gegenüber möglichen neuen Mitgliedern der EU aufzuzeigen.
Eine Hommage an die Rechtsstaatlichkeit legte Irmgard Griss (NEOS) ab. Diese sei die Grundlage für Demokratie
und Grundrechte, deswegen stehe Rechtstaatlichkeit für sie an erster Stelle. Parallelen zog die Abgeordnete
zu einem weiteren wichtigen Gut, nämlich der Gesundheit. Ihr Wert werde einem erst bewusst, wenn sie in Gefahr
ist. Außerdem müsse man auch für die Rechtstaatlichkeit etwas tun, um diese zu erhalten. Der Europarat
sei so etwas wie ein Arzt, der darauf Acht gebe. Gefordert seien neben unabhängigen Gerichten auch die Politik,
die den BürgerInnen Rechtsbewusstsein vorleben müsse. Es gelte, auch im eigenen Land auf der Hut zu sein
und dafür zu sorgen, dass es keine Korruption gibt.
Zadic für Beitritt Österreich zur Entwicklungsbank des Europarats
Der Europarat habe ein Leben in Frieden und Sicherheit gebracht, er sei aber auch heute ein Garant für ein
friedliches Miteinander, würdigte JETZT-Abgeordnete Alma Zadic die zwischenstaatliche Organisation. Die Nazi-Schreckensherrschaft
habe eindrücklich gezeigt, wie ein Staat seine eigenen BürgerInnen verfolgt und ermordet. Sie sei ein
Beleg dafür, dass "wir auf den Staat alleine nicht setzen können". Es brauche Gesetze und Rechte
für alle, die ihn daran hindern, die größte Gefahr für die eigenen Staatsbürger zu werden.
Die gemeinsamen Werte des Europarats würden heute immer wieder von gewissen Gruppierungen in Frage gestellt,
so die Abgeordnete mit Verweis auf den ehemaligen Innenminister Herbert Kickl, der gemeint habe, sich mit der Menschenrechtskonvention
anlegen zu müssen. "Frieden, Wohlstand, Sicherheit, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und der Schutz der
Würde des Menschen sind keine seltsamen, überholten Konstruktionen, sondern Errungenschaften, die wir
hochhalten müssen", sagte sie in Anlehnung an jüngst getätigte Aussagen des ehemaligen Innenministers.
Aus Sicht der Abgeordneten sollte Österreich außerdem der Entwicklungsbank des Europarates beitreten,
um auch die soziale Integration zu fördern.
In ihrer Antwort auf die Stellungnahmen der Abgeordneten betonte Pasquier die Wichtigkeit der Gesprächsbereitschaft
auch dann, wenn gewisse Grundrechte von manchen Ländern nicht eingehalten werden. Man sollte immer im Kopf
behalten, dass Dialog in solchen Situationen besser als ein Ausschluss ist, zumal es in erster Linie um den Schutz
der dortigen Bevölkerung gehe. "Durch Austausch kann man aufbauen anstatt zu zerstören", so
die Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung. In Bezug auf Korruptionsfälle sagte Pasquier, dass
die Parlamentarische Versammlung das Problem gut ausgelotet habe und die richtigen Maßnahmen getroffen wurden,
"um diesen Fluch zu bekämpfen". Neben Ausschlüssen gebe es nun auch Regelungen für mehr
Transparenz. Um gegen die Korruption zu kämpfen, brauche es auch die Medien sowie die Zivilgesellschaft.
Angesichts neuer Herausforderungen wie die Bekämpfung von moderner Sklaverei, einer steigenden Ungleichheit
in vielen Gesellschaften oder dem Umweltschutz rief die Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung schließlich
dazu auf, einen Kontinent aufzubauen, auf dem alle trotz oft unterschiedlicher Meinungen miteinander reden. "Der
Schutz der 830 Millionen Europäerinnen und Europäer verlangt von uns, dass wir alle gemeinsam in diesem
Haus Europa zusammenbleiben", so Pasquier.
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